Das Bundesgesetz über die Arbeit in Industrie, Gewerbe und Handel (Arbeitsgesetz, ArG) ist ausser mit Bezug auf die Vorschriften über den Gesundheitsschutz u. a. nicht auf Arbeitnehmer, die eine höhere leitende Tätigkeit ausüben, anwendbar (Art. 3 lit. d ArG). Damit untersteht diese Personengruppe namentlich nicht den Vorschriften zu Arbeits- und Ruhezeiten. Auf sie sind die gesetzlich festgelegten wöchentlichen Höchstarbeitszeiten, Nacht- und Sonntagsarbeitsverbote und Mindestruhezeiten nicht anwendbar. Folglich gelten auch die Vorschriften zur Überzeit hier nicht. Höhere leitende Angestellte sollen für den Arbeitgeber in zeitlicher Hinsicht frei verfügbar sein (BGE 98 Ib 344, E. 2) und bedürfen wegen ihrer besonderen Stellung im Betrieb nicht des öffentlich-rechtlichen Schutzes des Arbeitsgesetzes (mit Ausnahme des Gesundheitsschutzes).
Wer gilt als höherer leitender Angestellter?
Was unter einer höheren leitenden Tätigkeit zu verstehen ist, definiert Art. 9 der Verordnung Nr. 1 zum ArG (ArGV 1). Demnach gilt, dass eine höhere leitende Tätigkeit ausübt, «wer auf Grund seiner Stellung und Verantwortung sowie in Abhängigkeit von der Grösse des Betriebes über weitreichende Entscheidungsbefugnisse verfügt oder Entscheide von grosser Tragweite massgeblich beeinflussen und dadurch auf die Struktur, den Geschäftsgang und die Entwicklung eines Betriebes oder Betriebsteils einen nachhaltigen Einfluss nehmen kann.»
Mit der gesetzlichen Definition ist noch nicht viel gesagt. Die Abgrenzung zum normalen leitenden Angestellten ist im Einzelfall selbst für den juristischen Profi schwierig, was sich in den einschlägigen Entscheiden des Bundesgerichts regelmässig widerspiegelt. Zudem handelt es sich bei Art. 3 lit. d ArG um eine Ausnahmebestimmung. Das heisst, im Zweifel ist eher nicht von einer «höheren leitenden Tätigkeit» auszugehen. Die Beurteilung, ob ein höherer leitender Angestellter vorliegt, muss im Einzelfall anhand sämtlicher massgebender Umstände des Arbeitsverhältnisses vorgenommen werden. Die Funktionsbezeichnung, die hierarchische Stellung im Unternehmen oder eine bestimmte Ausbildung sind für sich alleine unerheblich. Das Gesetz stellt ausdrücklich auf die tatsächlich ausgeübte Tätigkeit des Arbeitnehmers ab. Massgebend ist demnach, ob der Arbeitnehmer die ihm auf Grund seiner Stellung im Unternehmen eingeräumte Entscheidungsbefugnis ausübt oder nicht.
Was sind weitreichende Entscheidungsbefugnisse?
Der Begriff «weitreichende Entscheidungsbefugnis» beinhaltet, dass der fragliche Mitarbeiter selbständig Entscheide in wesentlichen Belangen des Unternehmens treffen kann und darf. Die Entscheide müssen geeignet sein, den Gang oder die Struktur des Unternehmens mindestens in einem hauptsächlichen Teil nachhaltig zu bestimmen. In Frage kommen etwa Entscheide über die Einstellung oder den Einsatz des Personals, die Einteilung der Arbeitszeiten im Unternehmen oder für eine grössere Zahl Mitarbeiter, die Lohnpolitik oder «Grundsatzfragen der Geschäftspolitik» (BGE 98 Ib 344, E. 3.b).
Kriterien zur Abgrenzung
Weitere Kriterien zur Abgrenzung des Arbeitnehmers mit höherer leitender Tätigkeit können zudem (aber nie nur für sich alleine; BGE 126 III 337) sein:
- Unterschriftsberechtigung für das Unternehmen (namentlich kann ein Mitarbeiter ohne Unterschriftsberechtigung keine Entscheide gegen aussen umsetzen).
- Besondere Vertrauensposition im Unternehmen.
- Hierarchische Stellung unter Berücksichtigung der Grösse dieser Hierarchiestufe im Vergleich zur Gesamtbelegschaft.
- Anzahl unterstellter Mitarbeiter und das Ausmass des Weisungsrechts.
- Verantwortung über eine Unternehmenseinheit, namentlich hinsichtlich Definition von Jahreszielen, Festlegung oder Einhaltung des Budgets und anderer Unternehmenskennzahlen.
- Höhe des Lohns.
Auch die Grösse des Unternehmens kann eine Rolle spielen. Das Bundesgericht kam in einem Entscheid zum Schluss, dass in sehr kleinen Unternehmen, bei dem alle Angestellten im Wesentlichen dieselben Arbeiten verrichten, keinem der Angestellten der Status eines höheren leitenden Angestellten zukommt. Es braucht hierfür eine entsprechende Struktur und Hierarchie (BGE 2C_745/2014 vom 27. März 2015).
Gibt es Arbeitszeitbeschränkungen für höhere leitende Angestellte?
Höhere leitende Angestellte sind hinsichtlich der Bestimmungen des Arbeitsgesetzes nur den Gesundheitsschutzbestimmungen unterworfen. Damit gilt, dass ihre Gesundheit im Allgemeinen (Art. 6 ArG) und diejenige von Arbeitnehmerinnen bei Mutterschaft im Besonderen (Art. 35 f. ArG) zu schützen ist. Damit beurteilt sich die zulässige Höchstarbeitszeit für höhere leitende Angestellte alleine nach der Frage, ob eine Gesundheitsgefährdung oder eine Überbeanspruchung des fraglichen Angestellten vorliegt. Ist dies der Fall, gelten auch für den entsprechenden leitenden Angestellten Beschränkungen in Bezug auf die Arbeitszeit.
Praxisrelevanz der Abgrenzung
Wegen der Nichtanwendbarkeit der Höchstarbeitszeiten und damit die fehlende Überzeitentschädigung ist in der Praxis die Abgrenzung vom höheren leitenden zu den übrigen (leitenden) Angestellten von hoher Relevanz. Gerade in diesem Zusammenhang werden Mitarbeitende oft unzulässigerweise als höhere leitende Angestellte qualifiziert.
Die Abgrenzung des höheren leitenden Angestellten bleibt trotz der erwähnten Kriterien schwierig, was auch die Rechtsprechung zu diesem Thema zeigt. Bei Zweifeln entscheidet grundsätzlich die kantonale Arbeitsbehörde über die Anwendbarkeit des ArG auf ein Arbeitsverhältnis (Art. 41 Abs. 3 ArG). Fällt ein Arbeitsverhältnis nicht unter das ArG, empfiehlt es sich, die bestehenden Möglichkeiten auszuschöpfen und die arbeitsvertraglichen Regelungen entsprechend den bestehenden grösseren Freiheiten auszugestalten. Es besteht namentlich die Möglichkeit, die Überstunden- und Überzeitentschädigung auszuschliessen. Solche Regelungen sollten im Vertrag sehr sorgfältig formuliert werden.
Weitere Beiträge zum Arbeitsgesetz:
- Kurzeinführung in das Arbeitsgesetz
- Änderung der Verordnung Nr. 2
- jugendliche Arbeitnehmende
- Höhere leitende Arbeitnehmende
- Mobbing
- Arbeits- und Ruhezeiten für Taxifahrer
- Arbeitsweg und Arbeitszeit
- Der Nachweis von Überstunden
- Überstunden nach GAV?
- Regelung von Überstunden
- Pausen im Arbeitsrecht
- Pause oder Arbeitszeit?
- Nachtarbeit wegen technischen oder wirtschaftlichen Gründen
- Missbräuchliche Forderung des Nachtarbeitzuschlages?
- Schwangere Frauen im Arbeitsrecht
- Arbeitszeiterfassung
- Neue Regeln der Arbeitszeiterfassung
- Änderungen ArGV 1: Arbeits- und Ruhezeitbestimmungen
- Temperaturen und Arbeitsbedingungen
- Tageslicht am Arbeitsplatz
Autoren: Nicolas Facincani / Reto Sutter
Hohere leitende Angestellte sind hinsichtlich der Bestimmungen des Arbeitsgesetzes nur den Gesundheitsschutzbestimmungen unterworfen. Damit gilt, dass ihre Gesundheit im Allgemeinen (Art. 6 ArG) und diejenige von Arbeitnehmerinnen bei Mutterschaft im Besonderen (Art. 35 f. ArG) zu schutzen ist. Damit beurteilt sich die zulassige Hochstarbeitszeit fur hohere leitende Angestellte alleine nach der Frage, ob eine Gesundheitsgefahrdung oder eine Uberbeanspruchung des fraglichen Angestellten vorliegt. Ist dies der Fall, gelten auch fur den entsprechenden leitenden Angestellten Beschrankungen in Bezug auf die Arbeitszeit. Wegen der Nichtanwendbarkeit der Hochstarbeitszeiten und damit die fehlende Uberzeitentschadigung ist in der Praxis die Abgrenzung vom hoheren leitenden zu den ubrigen (leitenden) Angestellten von hoher Relevanz. Gerade in diesem Zusammenhang werden Mitarbeitende oft unzulassigerweise als hohere leitende Angestellte qualifiziert.