Dass es in den Sommermonaten in der Schweiz zu starken Regenfällen kommt, ist keine Seltenheit. Doch auch von anderen Naturkatastrophen – wie etwa von Bergstürzen, Lawinen und Erdbeben – wurde und wird die Schweiz immer wieder heimgesucht. Solche Naturkatastrophen stellen einschneidende Ereignisse im Leben der Betroffenen dar und sind für die Gesamtwirtschaft folgenreich. Im vorliegenden Beitrag soll untersucht werden, wie sich Naturkatastrophen auf die vertraglichen Hauptpflichten von Arbeitnehmern und Arbeitgebern auswirken.

In welchen Fällen besteht Lohnfortzahlungspflicht des Arbeitgebers?

Ein erster Fokus wird auf die Frage gelegt, welche (insbesondere finanziellen) Konsequenzen ein Fernbleiben des Arbeitnehmers von der Arbeitsstätte für denselben hat. Hat ein Arbeitnehmer, der – wie oben beschrieben – aufgrund einer allgemeinen Verkehrsblockade oder aufgrund von dringenden Aufräumarbeiten dem Arbeitsplatz fernbleiben muss, Anspruch auf Auszahlung seines Lohnes?

 

Grundsatz: Ohne Arbeit keinen Lohn

Der Arbeitsvertrag ist ein sogenannter synallagmatischer (zweiseitiger) Vertrag, gemäss dem sich beide Parteien je zu gewissen Leistungen verpflichten: Der Arbeitnehmer hat – auf bestimmte oder unbestimmte Zeit – Arbeit im Dienst des Arbeitgebers zu leisten, während dieser sich zur Entrichtung eines Lohnes verpflichtet (vgl. Art. 319 Abs. 1 OR). Die zeitliche Reihenfolge der Erfüllung von synallagmatischen Verträgen wird durch die allgemeinen Bestimmungen des Obligationenrechtes geregelt. Und zwar sieht Art. 82 OR vor, dass die eine Partei die andere nur dann zur Erfüllung anhalten kann, wenn sie bereits erfüllt hat oder die Erfüllung angeboten hat. Mit anderen Worten besitzt der Arbeitnehmer nur dann eine Lohnforderung gegenüber dem Arbeitgeber, wenn er seine Arbeit geleistet oder zumindest angeboten hat. Der Arbeitgeber auf der anderen Seite kann nur dann Arbeit vom Arbeitnehmer verlangen, wenn er sich mit der Lohnzahlung nicht in Rückstand befindet. Es gelten die Grundsätze «ohne Arbeit keinen Lohn» sowie «ohne Lohn keine Arbeit».

Vor diesem Hintergrund ist zunächst festzustellen, dass der Arbeitnehmer, der ungerechtfertigter Weise nicht zur Arbeit erscheint – etwa weil er verschlafen hat oder «blau» macht – die Zeit seiner Absenz nachzuholen hat. Ist eine Kompensation nicht möglich, darf der Arbeitgeber unter bestimmten Voraussetzungen gemäss Art. 323a OR die geschuldete Arbeitsleistung vom Lohn abziehen. Da das ungerechtfertigte Zuspätkommen oder Fernbleiben des Arbeitnehmers eine Vertragsverletzung darstellt, rechtfertigt ein solches Verhalten im Widerholungsfall gemäss Art. 337 Abs. 3 OR eine fristlose Entlassung durch den Arbeitgeber, sofern dieser gegenüber dem Arbeitnehmer eine entsprechende Warnung ausgesprochen hat.

Bei Naturkatastrophen liegen die Dinge aber ein wenig anders. Naturkatastrophen sind gemäss Definition des Bundesgerichtes Vorfälle, die «so aussergewöhnlich [sind], dass mit ihnen nicht gerechnet werden muss» (BGE 100 II 134, E. 5). Es sind Ereignisse höherer Gewalt, welche die Arbeitsleistung unmöglich werden lassen und welche niemand zu verschulden hat. Hinsichtlich der Folgen von solch objektiven Leistungshindernissen kann, so die Regel, auf die allgemeinen Bestimmungen des Obligationenrechts verwiesen werden: Art. 119 OR sieht für zweiseitige Verträge vor, dass – soweit die Leistung des Schuldners durch Umstände, die er nicht zu verantworten hat, unmöglich geworden ist –, die Forderung als erloschen gilt (Abs. 1). Im Gegensatz zur verschuldeten Nichtleistung muss hier der Arbeitnehmer die verpasste Arbeitszeit also nicht nachholen. Er begeht auch keine Vertragsverletzung. Gleichzeitig entfällt aber gemäss Abs. 2 auch die noch nicht erfüllte Gegenleistung: Der Arbeitgeber ist nicht zur Lohnzahlung verpflichtet. Für die Zeit des Bestehens des objektiven Leistungshindernisses sind also beide Parteien von ihren vertraglichen Hauptpflichten entbunden. Wenn folglich ein Arbeitnehmer mit einem Tag Verspätung aus den Ferien zurückreisen muss, weil aufgrund eines Vulkanausbruches zeitweise keine Flüge mehr starten konnten, wenn eine Arbeitnehmerin zwei Tage nicht am Arbeitsplatz erscheinen kann, weil die Strassen aufgrund von Überschwemmungen unbefahrbar sind, oder wenn ein Arbeitnehmer zu Hause bleiben und auf seine Kinder auspassen muss, weil die Kinderkrippe aufgrund von Steinrutschgefahr vorübergehend geschlossen wurde, so gilt, dass der Arbeitnehmer zwar von der Arbeitsstätte fernbleiben darf, er aber auch keinen Lohn erhält. Der Arbeitnehmer trägt damit das sogenannte «Wegrisiko» für den Fall, dass eine Naturkatastrophe ihn am Aufsuchen seiner Arbeitsstätte hindert.

Vom Grundsatz «ohne Arbeit keinen Lohn» gibt es aber Ausnahmen, auf die sich ein Arbeitnehmer im Falle einer Naturkatastrophe unter Umständen berufen kann.

 

Ausnahmen gemäss Art. 119 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 324a OR

Gemäss Art. 119 Abs. 3 OR werden beide Parteien nur dann aufgrund eines objektiven Leistungshindernisses von ihren Leistungspflichten entbunden, wenn die Gefahr nicht nach Gesetzesvorschrift oder nach dem Inhalt des Vertrages vor der Erfüllung auf den Gläubiger übergeht. Für den Arbeitsvertrag ist in diesem Zusammenhang Art. 324a Abs. 1 OR relevant: Gemäss dieser Bestimmung trifft den Arbeitgeber unter gewissen Voraussetzung eine Lohnfortzahlungspflicht, obwohl der Arbeitnehmer nicht zur Arbeit erscheint. En Detail sieht diese Bestimmung, die einen sozialen Zweck verfolgt (BGE 122 III 268, E. 3.a.aa), folgendes vor: Der Arbeitgeber hat dem Arbeitnehmer für den Fall, dass der Arbeitnehmer aus Gründen, die in seiner Person liegen, ohne sein Verschulden an der Arbeitsleistung verhindert wird, diesem für eine beschränkte Zeit den darauf entfallenden Lohn zu entrichten, sofern das Arbeitsverhältnis mehr als drei Monate gedauert hat oder für mehr als drei Monate eingegangen wurde. Im Folgenden soll kurz auf die wichtigsten Voraussetzungen eingegangen werden:

 

Gründe, die in der Person des Arbeitnehmers liegen

Eine Lohnfortzahlungspflicht des Arbeitnehmers ist nur denkbar bei Hinderungsgründen, die in der Person des Arbeitnehmers liegen. Beispielhaft verweist Art. 324a Abs. 1 OR auf die Szenarien, in denen der Arbeitnehmer erkrankt ist, einen Unfall erlitten, eine gesetzliche Pflicht (wie etwa Militär- oder Zivildienst) zu erfüllen oder ein öffentliches Amt (wie etwa der Dienst bei der Pflichtfeuerwehr oder die Ausübung eines parlamentarischen Mandats) auszuüben hat. All diese Umstände nehmen den Arbeitnehmer individuell in Anspruch und wirken sich unmittelbar hindernd auf seine Arbeitskraft aus. Weitere Umstände, die den Arbeitnehmer persönlich in Anspruch nehmen, sind etwa ein Arztbezug, ein Umzug, eine Heirat oder die temporäre Pflege eines erkrankten Angehörigen.

Im Gegensatz zu den eben genannten Beispielen betrifft eine durch eine Naturkatastrophe ausgelöste Verkehrsblockade den Arbeitnehmer in der Regel nicht individuell. Es ist davon vielmehr die Allgemeinheit betroffen, weshalb eben auch von «objektiven» und nicht von «subjektiven» Leistungshindernissen die Rede ist.

Nun sind aber in Katastrophenfällen Konstellationen denkbar, in denen der Arbeitnehmer speziell betroffen ist. Dies ist etwa dann der Fall, wenn das Haus des Arbeitnehmers durch eine Lawine oder Überschwemmungen in Mitleidenschaft gezogen wurde und ihn Aufräumarbeiten an der Leistung seiner vertraglichen Arbeit «hindern» (vgl. Art. 324a Abs. 1 OR). Illustrativ ist auch ein Fall, der vor dem Zürcher Arbeitsgericht behandelt wurde (AGer ZH in JAR 1982 S. 118 = SJZ 1981 S. 234): Ein Gebiet in Italien, in welchem Verwandte des Arbeitnehmers wohnten, war von einem Erdbeben heimgesucht worden. Weil der Arbeitnehmer seine Angehörigen telefonisch nicht erreichen konnte und deshalb nicht wusste, ob und wie stark sie vom Erdbeben betroffen waren, reiste er nach Italien. Da er sie dort glücklicherweise unverletzt vorfand, machte er sich umgehend wieder auf den Rückweg, wobei sich die Heimfahrt aufgrund von starken Schneefällen um einen Tag verlängerte. Das Zürcher Arbeitsgericht urteilte, dass die Ungewissheit darüber, ob die Verwandten vom Erdbeben betroffen waren, einen subjektiven Verhinderungsgrund bildete, währenddessen die durch starken Schneefall ausgelösten schlechten Verkehrsverhältnisse lediglich einen objektiven Verhinderungsgrund darstellten. Der Arbeitgeber wurde deshalb nur für den ersten Teil der Absenz des Arbeitnehmers zur Lohnfortzahlung verpflichtet.

 

Weitere Voraussetzungen nach Art. 324a Abs. 1 OR

Neben der formalen Voraussetzung, dass das Arbeitsverhältnis mehr als drei Monate gedauert hat oder für mehr als drei Monate eingegangen wurde, verlangt Art. 3234a Abs. 1 OR auch, dass das Leistungshindernis sich unverschuldet verwirklicht haben muss. Die Frage des Verschuldens stellt sich bei gewissen Hinderungsgründen mehr als bei anderen. Relevant wird diese Frage etwa dann, wenn der Arbeitnehmer bei der Ausübung einer Sportart verunfallt ist, weil er gewisse Vorsichtsmassnahmen ausser Acht gelassen hat.

Bei Naturkatastrophen tritt die Schuldfrage jedoch in den Hintergrund, da Naturkatastrophen gemäss Definition des Bundesgerichts ja eben aussergewöhnliche Ereignisse darstellen mit denen «nicht gerechnet werden muss» (BGE 100 II 134, E. 5). In seltenen Fällen kann aber auch bei Naturkatastrophen die Schuldfrage auftauchen – so etwa dann, wenn sich ein Arbeitnehmer trotz grosser Lawinengefahr auf eine Skitour begibt und daraufhin in eine Lawine gerät.

Gemäss Rechtsprechung und Lehre ist aber bei der Beurteilung dieser Voraussetzung nur grobe Fahrlässigkeit auf Seiten des Arbeitnehmers zu beachten, da «von einem Arbeitnehmer unter Berücksichtigung seiner persönlichen Freiheit in der Regel nicht verlangt werden [kann], von der Ausübung aller riskanten Sportarten wie Skifahren, Bergsteigen, Tauchen, Reiten etc. abzusehen» (BGE 122 III 268, E. 3.a.aa).

 

Was passiert, wenn der Arbeitgeber aufgrund einer Umweltkatastrophe in Annahmeverzug gerät?

Durch Naturkatastrophen geraten natürlich nicht nur Arbeitnehmer, sondern auch Arbeitgeber in Not. So können aufgrund von Überschwemmungen oder Erdbeben Maschinen Schaden erleiden und Waren zerstört werden. Ausserdem können beeinträchtigte Transportwege dazu führen, dass Material nicht geliefert werden kann oder dass selbst den Arbeitnehmern die Zufahrt zum Betrieb versperrt ist. Aufgrund der global verflochtenen Wirtschaftsbeziehungen kann sich zudem eine Naturkatastrophe fernab vom Ort ihres Ereignens noch auswirken. So bekamen im Jahr 2011 europäische Autoherstelle das Erdbeben und die Nuklearkatastrophe von Fukushima zu spüren, insofern es zu Lieferengpässen kam.

Wenn der Arbeitgeber die vom Arbeitnehmer ordnungsgemäss angebotene Arbeitsleistung nicht annehmen kann, gerät er in Annahmeverzug (vgl. Art. 91). Gemäss den allgemeinen Bestimmungen des Obligationenrechts darf der Schuldner beim Verzug des Gläubigers vom Vertrage zurücktreten (vgl. Art. 95 OR). Bezogen auf das Arbeitsverhältnis hat sich diese Regelung indes als unpassend erwiesen, weil dem Arbeitnehmer nicht geholfen wäre, wenn er vom Vertrag zurücktreten und dadurch seine Anstellung verlieren würde. Hier gilt deshalb Art. 324 Abs. 1 OR, der bestimmt, dass der Arbeitgeber im Falle eines verschuldeten Annahmeverzuges zur Entrichtung des Lohnes verpflichtet bleibt, ohne dass der Arbeitnehmer zur Nachleistung verpflichtet wäre. Unter Umständen kann der Arbeitgeber allerdings mit den Arbeitnehmern eine Kurzarbeitsvereinbarung abschliessen, gemäss welcher die Arbeit vorübergehend reduziert oder gar eingestellt und der vom Arbeitgeber zu entrichtende Lohn entsprechend reduziert wird.

Naturkatastrophen stellen für die betroffenen Personen und auch für die Wirtschaft Grossschadensereignisse dar. Im Bereich des Arbeitsrechts sieht das Gesetz eine Risikoaufteilung im Zusammenhang mit den aus einem Naturereignis resultierenden Schäden vor: Während der Arbeitnehmer (in der Regel) das Wegrisiko trägt, hat der Arbeitgeber das Betriebsrisiko zu tragen.

 

Weitere relevante Beitrage (Auswahl):

 

Autoren: Nicolas Facincani / Juliane Jendis