Der Online-Tagespresse war zu entnehmen, dass eine Telekommunikationsfirma Änderungen der Arbeitsverträge plane. So titelte der Blick: Schock für 400 Salt-Shop-Verkäufer – Sie sollen neue Verträge unterschreiben, sonst müssen sie gehen. Ob das Verhalten von Salt juristisch korrekt ist, kann hier nicht abschliessend beurteilt werden, doch könnte sich das Datum (1. Mai 2019) der geplanten Änderungen im Kündigungsfall (bzw. wenn die Änderungsofferte nicht angenommen wird und das Arbeitsverhältnis endet) für Salt als heikel erweisen, da es den Anschein macht, es sei für die Vertragsänderung nicht genügend Zeit eingeplant worden (siehe unten).

Ist eine einseitige Vertragsänderung rechtlich überhaupt möglich?

 

Änderungen des Arbeitsvertrages

Nach Abschluss des Arbeitsvertrages ist dieser einzuhalten (pacta sunt sevanda)

Es steht den Parteien eines Arbeitsvertrags aber frei, diesen im Nachgang abzuändern. Diese Möglichkeiten gelten für alle Vertragsbestandteile, also für den Vertrag an sich, für die Reglemente (es sei denn, es handle sich um Weisungen, die in den Reglementen niedergeschrieben sind) und für die Stellenbeschriebe. Eine solche Änderung kann auf verschiedene Weise erfolgen:

  • Vereinbarung der Parteien: Die Parteien des Arbeitsvertrages können den Arbeitsvertrag jederzeit durch Vereinbarung abändern. Auch hier sind die gleichen Voraussetzungen wie für den Abschluss des Arbeitsvertrags zu beachten (Handlungsfähigkeit, zulässiger Inhalt etc.). Die Änderung kann grundsätzlich formfrei erfolgen, auch wenn der Arbeitsvertrag schriftlich abgeschlossen wurde. Oft vereinbaren die Parteien, dass auch Änderungen der Schriftlichkeit bedürfen. Ändern die Parteien aber im Nachgang den Vertrag trotzdem nur mündlich, so wird dies als Verzicht des Schriftformerfordernisses angesehen und der Vertrag gilt trotzdem als abgeändert.
  • Stillschweigende Annahme einer Vertragsänderung: Es kann vorkommen, dass eine Vertragsänderung zustande kommt, ohne dass ihr beide Parteien zugestimmt haben. Dies kommt insbesondere in zwei Konstellationen vor:
    • Es liegt eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen vor, z.B. Lohnerhöhung, mehr Ferien etc.
    • Es gibt Situationen, in denen von der Rechtsprechung angenommen wird, ein Arbeitnehmer habe eine Änderung akzeptiert, z.B. wenn eine Vertragsänderung während längerer Zeit unwidersprochen bleibt. Dies ist aber nur zurückhaltend anzunehmen
  •  Änderungskündigung: Wenn keine Vereinbarung für die Vertragsanpassung erreicht wird, steht dem Arbeitgeber die Möglichkeit der Änderungskündigung offen.

 

Die Änderungskündigung

Eine der Möglichkeiten, Vertragsänderungen durchzusetzen, ist neben der vertraglichen Vereinbarung, die Änderungskündigung. Mit dieser kann der Arbeitgeber einseitig Vertragsänderungen durchsetzen.

Es werden grundsätzlich 2 Arten von Änderungskündigungen unterschieden: die Änderungskündigung i.e.S. (im engeren Sinne) – hier wird gekündigt und gesagt, die Kündigung gelte nicht, sofern die neuen Vertragsbedingungen angenommen werden – und die Änderungskündigung i.w.S. (im weiteren Sinne) – hier wird eine Vertragsofferte unterbreitet. Es besteht die Absicht, dass gekündigt wird, wenn die Offerte nicht angenommen wird. Bei einer Änderungskündigung im weiteren Sinne erfolgt zu Beginn also noch keine Kündigung.

Bei beiden Arten der Änderungskündigung hat es der Arbeitnehmer in der Hand, ob er die Vertragsänderungen akzeptieren will, oder nicht bzw. ob er seine Kündigung riskieren will.

 

Wirkungen der Änderungskündigung

Nimmt der Arbeitnehmer die neuen Vertragsbedingungen an, wird der Arbeitsvertrag mit den neuen Vertragsbedingungen fortgesetzt. Es wird kein neues Arbeitsverhältnis begründet. Während der laufenden Kündigungsfrist gelten die bisherigen Bedingungen unverändert weiter.

Nimmt der Arbeitnehmer die neuen Vertragsbedingungen nicht an, wird bei einer Änderungskündigung im engeren Sinne das Arbeitsverhältnis beendet, bei einer Änderungskündigung im weiteren Sinne nur, wenn der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis im Nachhinein auch kündigt.

Dieses Vorgehen wird grundsätzlich als zulässig erachtet. Dennoch gibt es Fälle, in welchen sich das Vorgehen des Arbeitgebers und somit die Kündigung (sofern die Änderungsofferte nicht angenommen wurde) als missbräuchlich erweist.

 

Missbräuchliche Änderungskündigungen

In der Schweiz gilt der Grundsatz der Kündigungsfreiheit. Dieses Prinzip wird eingeschränkt durch den sachlichen Kündigungsschutz. Die Kündigung darf nicht unter einen der in Art. 336 OR genannten missbräuchlichen Kündigungsgründe fallen. Auch wenn sich eine Kündigung als missbräuchlich erweist, ist diese gültig, kann aber eine Entschädigungspflicht nach sich ziehen (Art. 336a OR).

Wird die Kündigung aus den folgenden Gründen ausgesprochen, ist sie missbräuchlich – unabhängig davon, ob vom Arbeitgeber oder vom Arbeitnehmer ausgesprochen (Art. 336 OR):

  • Persönliche Eigenschaft der von der Kündigung betroffenen Partei, ohne Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis und ohne bedeutende Beeinträchtigung des Arbeitsklimas (Art. 336 Abs. 1 lit. a OR), z.B. aufgrund des Geschlechts, Alter, Krankheiten etc.
  • Ausübung eines verfassungsmässigen Rechts der durch die Kündigung betroffenen Partei, ohne Verletzung einer Pflicht aus dem Arbeitsvertrag und ohne bedeutende Beeinträchtigung des Arbeitsklimas (Art. 336 Abs. 1 lit. b OR), z.B. wegen Parteizugehörigkeit etc.
  • Verhinderung der Geltendmachung von Ansprüchen aus dem Arbeitsvertrag durch die von der Kündigung betroffene Partei (Art. 336 Abs. 1 lit. c OR), z.B. wenn der Arbeitgeber verhindern will, dass gewisse Leistungen erbracht werden müssen, auf die der Arbeitnehmer aufgrund des Dienstalters Anspruch hätte etc.
  • Geltendmachung von Ansprüchen aus dem Arbeitsvertrag durch die von der Kündigung betroffene Partei (Art. 336 Abs. 1 lit. d OR), wenn der Arbeitnehmer Leistungen aus Überstunden einfordert etc.
  • Leistungen von schweizerischem obligatorischem Zivilschutz-, Militär- oder Schutzdienst oder Übernahme einer nicht freiwillig übernommenen gesetzlichen Pflicht (Art. 336 Abs. 1 lit. e OR). Auch militärische Beförderungsdienste fallen darunter, wenn sie freiwillig angetreten werden.

In weiteren Fällen sieht das Gesetz die Missbräuchlichkeit der Kündigung in gewissen Fällen durch den Arbeitgeber vor:

  • Mitgliedschaft oder Nichtmitgliedschaft des Arbeitnehmers bei einer Gewerkschaft oder legale Tätigkeit bei einer Gewerkschaft (Art. 336 Abs. 2 lit. a OR)
  • Tätigkeit des Arbeitnehmers als gewählter Arbeitnehmervertreter in einer betrieblichen oder einer dem Unternehmen angeschlossenen Vorsorgeeinrichtung (Art. 336 Abs. 2 lit. b OR)
  • mangelnde oder zu kurzfristige Konsultierung der von einer Massenentlassung betroffenen Arbeitnehmer (Art. 336 Abs. 2 lit. c OR).

Durch Art. 336 OR wird das Rechtsmissbrauchsverbot von Art. 2 Abs. 2 ZGB konkretisiert (BGE 134 III 108 E 7.1), womit für eine eigenständige Anwendung des allgemeinen Rechtsmissbrauchsverbots eigentlich kein Raum bestehen würde (siehe allerdings BGE  121 III 60). Somit sind nicht nur die in diesem Artikel aufgelisteten Fälle missbräuchlich. Vielmehr ist Art. 336 nicht abschliessend. Somit fallen auch gegen das Rechtsmissbrauchsverbot fallende Fälle darunter, die eine mit den in Art. 336 OR genannten vergleichbare Schwere aufweisen (BGE 136 III E 2.3) (siehe hierzu insbesondere den Beitrag „Der Arbeitgeber war schuld?!“).

Liegt bei einer Änderungskündigung ein soeben beschriebener Sachverhalt vor, ist die Änderungskündigung missbräuchlich, sofern der Arbeitsvertrag beendet wird (d.h. wenn die Offerte zur Vertragsänderung nicht angenommen wurde).

 

Missbräuchliche Änderungskündigungen im Besonderen

Im Zusammenhang mit Änderungskündigungen gibt es insbesondere 2 Konstellationen, welche nach der Rechtsprechung als missbräuchlich gelten (wenn die Offerte zur Vertragsänderung nicht angenommen wurde und das Arbeitsverhältnis endet). Dies ist in den folgenden Situationen u.a. gegeben:

  • Der Arbeitgeber will eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen ohne Einhaltung der Kündigungsfristen durchsetzen – es ist unklar, ob dies von Salt eingehalten wurde, wird doch gemäss Blick die Änderung bereits per 1. Mai 2019 verlangt.
  • Die Änderungskündigung führt zu einer unbilligen, sachlich nicht gerechtfertigten negativen Anpassung der Arbeitsbedingungen, ohne dass betriebliche oder marktbedingte Gründe vorliegen.

Liegt eine missbräuchliche Kündigung vor, so kann der Arbeitnehmer Einsprache gegen die Kündigung erheben und eine Entschädigung verlangen.

 

Anwendbarkeit der Regeln der Massenentlassung

Eine Massenentlassung liegt vor, wenn ein Arbeitgeber in einem Betrieb innert 30 Tagen eine gewisse Anzahl von Arbeitnehmer entlässt, ohne dass die Kündigungen in einem Zusammenhang mit der Person der Arbeitnehmer (z.B. Leistung, Verhalten) stehen.

Ob aus rechtlicher Sicht eine Massenentlassung vorliegt, hängt von der Grösse des Betriebs und der Anzahl der entlassenen Arbeitnehmer ab. Rechtlich als Massenentlassung gilt die Entlassung von:

  • mindestens 10 Arbeitnehmer in Betrieben, die «in der Regel» (dies entspricht der durchschnittlichen Zahl der Arbeitnehmer, die in einer repräsentativen Referenzperiode, z.B. einem halben Jahr, angestellt sind, wobei Ersatz- und Aushilfskräfte unberücksichtigt bleiben) mehr als 20 Arbeitnehmer und weniger als 100 Arbeitnehmer beschäftigen;
  • mindestens 10 Prozent der Arbeitnehmer in Betrieben, die in der Regel mindestens 100 und weniger als 300 Arbeitnehmer beschäftigen sowie
  • mindestens 30 Arbeitnehmer in Betrieben, die in der Regel mindestens 300 Arbeitnehmer beschäftigen.

Ein Unternehmen kann aus mehreren Betrieben bestehen. Die Prüfung, ob eine Massenentlassung vorliegt, findet für jeden einzelnen Betrieb statt. D.h., umfasst ein juristisches Unternehmen mehrere Betriebe, so ist für die Bestimmung der Beschäftigten sowie der in Betracht gezogenen Kündigungen nicht auf das Unternehmen, sondern auf die einzelnen Betriebe abzustellen

Ungeachtet dieser Grenzwerte finden die Vorschriften zur Massenentlassung keine Anwendung, wenn der Massenentlassung eine gerichtliche Betriebseinstellung, der Konkurs des Arbeitgebers oder ein Nachlassvertrag mit Vermögensabtretung zu Grunde liegen.

 

Massentlassungsverfahren und Änderungskündigungen

Grundsätzlich wird davon ausgegangen, dass auch Änderungskündigungen von den Bestimmungen einer Massenentlassung erfasst sind.

Sollen lediglich Verträge geändert werden, so ist zu beachten: Stimmt eine Partei der Änderung des Arbeitsvertrages nicht zu, so könnte diese lediglich durch eine Änderungskündigung abgeändert werden. Änderungskündigungen i.e.S. sind auf jeden Fall für die Berechnung der Schwellenwerte einer Massenentlassung mitzuzählen. Unklarer ist die Situation in Bezug auf die Änderungskündigung i.w.S. Man könnte argumentieren, die Kündigung sei auch hier geplant. So wäre eine Änderungskündigung i.w.S. bereits zum Zeitpunkt der Übermittlung der Änderungsofferten die Berechnung der Schwellenwerte einer Massenentlassung mitzuzählen. Diese Ansicht wird in der Literatur nur vereinzelt vertreten.

Auf der anderen Seite kann man argumentieren, dass es im Zeitpunkt der Übermittlung der Änderungsofferte noch nicht klar ist, ob dann tatsächlich eine Kündigung ausgesprochen wird. Wenn diese tatsächlich ausgesprochen wird, würde diese aber auf jeden Fall mitzuzählen sein. Somit stellt sich m.E. das Dilemma, dass im ersten Schritt, d.h. bei der Vertragsofferte, noch keine Berücksichtigung stattfindet, sondern nur, wenn die Offerte tatsächlich abgelehnt wird und es zur Kündigung kommt.

Liegt aufgrund der Vertragsänderungen eine Massenentlassung vor, so wäre das entsprechende Verfahren einzuhalten, ansonsten betroffene Mitarbeiter auch unter dem Gesichtswinkel von Verfahrensverletzungen im Rahmen der Massenentlassungen eine Entschädigung (bis 2 Monatslöhne) verlangen könnten oder im extremeren Fall, das Arbeitsverhältnis nicht wie erwartet beendet wird (wenn das kantonale Arbeitsamt nicht informiert wird).

 

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Autor: Nicolas Facincani