Anerkennung von Diplomen: Nach Art. 2 des zwischen der Schweiz und der EU/EFTA geltenden Freizügigkeitsabkommens (FZA) dürfen die Staatsangehörigen einer Vertragspartei, die sich rechtmässig im Hoheitsgebiet einer anderen Vertragspartei aufhalten, bei der Anwendung des Freizügigkeitsabkommens gemäss den Anhängen I, II und III nicht aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit diskriminiert werden.

Das FZA regelt im Wesentlichen

  • Freie Wahl Arbeitsort
  • Einfache Wohnsitznahme
  • Koordinierung Sozialversicherungssysteme
    • Keine Vereinheitlichung, aber Koordination
    • Länder entscheiden über Versicherungen selbständig
    • Keine Verlust Versicherungsansprüche bei Arbeit in einem anderen Land
  • Anerkennung Diplome

 

Anerkennung von Diplomen

Gemäss Art. 9 FZA treffen die Vertragsparteien nach Anhang III die erforderlichen Massnahmen zur gegenseitigen Anerkennung von Diplomen, Zeugnisse und sonstigen Befähigungsnachweise und zur Koordinierung ihrer Rechts- und Verwaltungsvorschriften über den Zugang zu unselbständigen und selbständigen Erwerbstätigkeiten und deren Ausübung sowie die Erbringung von Dienstleistungen. Die Schweiz hat sich in Anhang III FZA verpflichtet, Diplome, Zeugnisse und sonstige Befähigungsnachweise gemäss den dort genannten Rechtsakten der EU anzuerkennen. Zu diesen Rechtsakten gehört auch die Richtlinie 2005/36/EG, die mit dem Beschluss Nr. 2/2011 des Gemischten Ausschusses für die gegenseitige Anerkennung von Berufsqualifikationen (AS 2011 4859 ff.) für anwendbar erklärt wurde. In Art. 13 der Richtlinie 2005/36/EG wurde festgelegt, dass die Ausübung eines reglementierten Berufs, der im Aufnahmemitgliedstaat vom Besitz bestimmter Berufsqualifikationen abhängig ist, den Antragstellern unter denselben Voraussetzungen gestattet wird wie Inländern, sofern sie den Befähigungs- oder Ausbildungsnachweis besitzen, der in einem anderen Mitgliedstaat erforderlich ist, um die Erlaubnis zur Aufnahme und Ausübung dieses Berufs zu erhalten. Art. 14 der Richtlinie 2005/36/EG regelt die Voraussetzungen für die Anordnung allfälliger Ausgleichsmassnahmen.

 

Umsetzung durch die Schweiz

Die Schweiz hat die Anerkennung der EU/EFTA Diplome in der VO Ausland umgesetzt. Diese verweist im Wesentlichen auf die Europäischen Richtlinien:

Die Überprüfung der Berufsqualifikationen aus EU- und EFTA-Staaten nach Massgabe der Bestimmungen dieser Verordnung und in Anwendung der Richtlinie 2005/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. September 2005 über die Anerkennung von Berufsqualifikationen (ABl. 2005 L 255 vom 30. September 2005, S. 22 ff.). Für gewisse Berufe werden zudem Mindestgrundsätze vorgesehen.

Die ausländische Berufsqualifikation muss gemäss Art. 3 Abs. 2 VO Ausland

  • vom betreffenden ausländischen Staat oder von einer zuständigen staatlichen Behörde ausgestellt sein (lit. a),
  • den Abschluss der Ausbildung bestätigen (lit. b)
  • und im Herkunftsland den direkten Zugang zur Ausübung der Osteopathie ermöglichen (lit. c).

 

Entscheide 2C_662/2018 und 2C_663/2018 vom 25. Februar 2019

In den Entscheiden 2C_662/2018 und 2C_663/2018 vom 25. Februar 2019 hatte sich das Bundesgericht mit der Anerkennung französischer Diplome vom Osteopathen auseinanderzusetzen. Diese wurden den entsprechenden Personen an einen Collège in Frankreich und in München ausgestellt.

Die Interkantonale Prüfungskommission PR/GDK wies das Gesuch um Anerkennung ab, da die Diplome nicht vom zuständigen Staat erlassen worden seien. Die Anerkennung der Ausbildungsstätte durch das Gesundheitsministerium ändere nichts daran, dass das Diplom nicht vom französischen Staat ausgestellt worden sei. Insbesondere fehle ein entsprechendes Siegel einer Behörde.

 

Richtlinie 2005/36/EG

Zu prüfen war vom Bundesgericht insbesondere, ob die Entscheidung der Interkantonale Prüfungskommission PR/GDK in Übereinstimmung mit dem FZA bzw. der Richtlinie erging.

  • Die Richtlinie 2005/36/EG setzt mithin für die Anerkennung von Berufsqualifikationen nicht voraus, dass diese durch eine staatliche Behörde ausgestellt wurden. Der Begriff der zuständigen Behörde ist insofern weiter gefasst, als auch vom Staat bezeichnete Behörden oder Stellen mit der Befugnis ausgestattet werden können, Ausbildungsnachweise auszustellen (Art. 13 Abs. 1 lit. a i.V.m. Art. 3 Abs. 1 lit. d Richtlinie 2005/36/EG). Soweit die GDK in Art. 3 Abs. 2 VO Ausland eine engere Formulierung verwendet und vorsieht, dass die ausländische Berufsqualifikation vom betreffenden ausländischen Staat oder von einer zuständigen  staatlichenBehörde ausgestellt sein müsse, um anerkannt zu werden, ist dies im Lichte der Richtlinie 2005/36/EG auszulegen. Die VO Ausland selbst verweist in Art. 1 Abs. 1 auf die Berücksichtigung des internationalen Rechts und sieht in Art. 2 Abs. 1 ausdrücklich vor, dass die Überprüfung der Berufsqualifikationen in Anwendung der Richtlinie 2005/36/EG erfolgen soll. Angesichts dieser deutlichen Aussagen besteht keinerlei Grund zur Annahme, die GDK habe von der Regelung gemäss dieser Richtlinie abweichen wollen. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die Regelung von Art. 3 Abs. 2 lit. a VO Ausland die Umsetzung von Art. 13 Abs. 1 lit. a Richtlinie 2005/36/EG bezweckt, ohne diesbezüglich eine zusätzliche, strengere Voraussetzung für die Anerkennung schaffen zu wollen.
  • Die Bestimmung von Art. 3 Abs. 2 VO Ausland ist nach dem Gesagten im Sinne des höherrangigen Rechts so auszulegen, als dass die dort genannten Anerkennungsvoraussetzungen mit denjenigen der Richtlinie 2005/36/EG übereinstimmen.

 

Angesichts der anwendbaren Richtlinien und der Auslegung von Art. 3 Abs. 2 VO Ausland kam das Bundesgericht zum Schluss, dass auch Diplome zu anerkennen sind, die wie im Vorliegenden Fall von einer Ausbildungsstätte stammen, die vom entsprechenden Staat der EU/EFTA anerkannt sind. Die materiellen Voraussetzungen wurden nicht geprüft.

 

Autor: Nicolas Facincani