Zu den klassischen Missbrauchstatbeständen im Rahmen der Kündigung eines Arbeitsverhältnisses gehören diejenigen, welche im Gesetz, Art. 336 OR, aufgeführt sind.

Durch die Gerichte werden stets neue Missbrauchstatbestände geschaffen. Besondere Aufmerksamkeit erregte in letzter Zeit die sog. Alterskündigung. Daneben hat das Bundesgericht auch in den nachfolgenden Fällen eine missbräuchliche Kündigung gesehen (siehe hierzu insbesondere den Beitrag „Der Arbeitgeber war schuld?!“):

  • Kündigungen nach unzureichenden Bemühungen bei Konflikten
  • Kündigungen mit Mobbing-Background (sofern dem Mobbing – Opfer aufgrund nachlassender Leistung gekündigt wird)
  • Art und Weise der Kündigung
  • Kündigungen nach Leistungseinbrüchen nach Überlastung

 

Art und Weise der Kündigung in BGer 4A_92/2017 vom 26. Juni 2017

Dem Urteil des Bundesgerichts 4A_92/2017 vom 26. Juni 2017 lag der folgende Sachverhalt zugrunde:

Die betreffende Arbeitnehmerin war als Direktorin im Bereich Human Resources bei einem Alters- und Pflegeheim (Beschwerdeführerin) im Kanton Genf angestellt. Im Rahmen ihrer Tätigkeit wurde sie  wegen diverser Entlassungen von Angestellten von einem Vorstandsmitglied der Arbeitgeberin immer wieder kritisiert, die Arbeitgeber unterstützte jedoch die Direktorin in ihrem Handeln und sprach ihr das volle Vertrauen aus

Am 17.01.2014 wurde der Direktorin auf den 31.07.2014 das Arbeitsverhältnis gekündigt und sie wurde mit sofortiger Wirkung von der Arbeitsleistung freigestellt. Die Arbeitgeber führte als Kündigungsgrund den Vertrauensbruch mit der Direktorin aufgrund von Mängeln in der Personalführung sowie die mangelnde Zusammenarbeit mit dem nun schon bereits dritten Stellvertreter an. Umgehend nach Aussprache der Kündigung musste die Direktorin ihre Schlüssel abgeben, das Betriebsgelände verlassen und ihr wurde ein Hausverbot erteilt.Wenige Tage später konnte sie in Begleitung einer Person einige ihrer persönlichen Sachen abholen. Zudem konnte sich die Arbeitnehmerin von den Bewohnern des Alters- und Pflegeheims sowie von den leitenden Angestellten nicht mehr verabschieden.

 

Entscheid des Bundesgerichts

Das Bundesgericht betrachtete die Kündigung als missbräuchlich, die aus den folgenden Erwägungen:

  • die kantonalen Vorinstanzen erachteten die Kündigung aufgrund der Art und Weise, wie sie ausgesprochen wurde sowie aufgrund des Fehlens eines plausiblen, sachlichen Grundes als missbräuchlich;
  • das Bundesgericht schloss sich in seiner Begründung der Vorinstanz an und stellte fest, dass eine Kündigung, der eine sofortige Freistellung der Arbeitnehmerin folgt, verbunden mit der Rückgabe von Schlüsseln, der Aussprache eines Verbotes, das Betriebsgelände des Arbeitgebers betreten zu dürfen, sowie der Begleitung durch eine Person, um ihren Arbeitsplatz (persönliche Sachen) zu räumen und das Betriebsgelände zu verlassen, nach allgemeiner Lebenserfahrung geeignet sei, bei den anderen Mitarbeitern den Anschein zu erwecken, die Kündigung sei aus schwerwiegenden Gründen ausgesprochen worden, was missbräuchlich sei (E. 2.5.2);
  • im vorliegenden Fall habe für den Arbeitgeber kein Grund für ein derartiges Vorgehen im Zusammenhang mit der Freistellung und mit der Begleitung vorgelegen, da weder der Verlust heikler Daten noch der Verlust der Kundschaft des Arbeitgebers zu befürchten war
  • der Arbeitgeber wollte damit nur verhindern, dass die Arbeitnehmerin mit den anderen Arbeitskollegen noch kommunizierte (E. 2.3.1);
  • ferner konnte der Arbeitgeber seine Kündigung nicht plausibel begründen; so sei die Führung des Personals von der Arbeitnehmerin in der Vergangenheit nie bemängelt worden, vielmehr habe ein Vorstandsmitglied die Arbeitnehmerin aus persönlichen Gründen loswerden wollen.
  • Die Höhe der Entschädigung erachtete das Bundesgericht mit vier Monatslöhnen als angemessen, wobei es die hohe Anzahl Dienstjahre (20) und das Lebensalters (49 Jahre) der Gekündigten sowie den fehlenden Nachweis eines beruflichen Fehlverhaltens und die Schwierigkeit für die Gekündigte, eine neue Arbeitsstelle zu finden, berücksichtigte (E. 3.3.1)

 

Weitere Beiträge zur missbräuchlichen Kündigung (Auswahl):

 

Autoren: Nicolas Facincani / Annina Wyss