Im Verfahren vor dem Zürcher Obergericht (LA180014) hatte sich das Obergericht mit der Frage zu befassen, ob im konkreten Fall der Bonus einen Lohnanteil oder eine Gratifikation darstelle, insbesondere aufgrund der Akzessorietät (siehe zum Begriff der Akzessorietät unten – zum Verfahren vor Bundesgericht siehe den Beitrag Bonus als Lohnbestandteil qualifiziert).

Der Arbeitnehmer (Kläger) forderte knapp CHF 88’300 als Bonus für das Jahr 2012, da er der Ansicht war, der Bonus sei – soweit dieser zusammen mit dem Fixlohn nicht den fünffachen Medianlohn übersteige – als Lohn zu betrachten und daher geschuldet.

Der Arbeitnehmer hatte  in den Jahren ab 2005 bis zum umstrittenen Jahr 2012 nur gerade zwei Mal, nämlich in den Jahren 2008 und 2009, einen Bonus erhalten, der den Grundlohn nicht überstieg. Der durchschnittliche Grundlohn betrug in den fraglichen sieben Jahren Fr. 151’190.–, der Bonusdurchschnitt inkl. EOP Awards Fr. 197’286.– oder gut 130 %.

Das Obergericht ZH hatte die Möglichkeit, sich mit verschiedenen Aspekten der Bonusrechtsprechung auseinanderzusetzen, insbesondere mit der Frage der Akzessorietät. Die entsprechenden Ausführungen werden nachfolgend zu Teil wörtlich übernommen, da diese den aktuellen Stand der Rechtsprechung sehr gut darstellen.

 

Begriff des Bonus

Der Begriff des Bonus wird im Obligationenrecht nicht definiert. Es kann sich dabei um eine Gratifikation im Sinne von Art. 322d OR oder um einen Bestandteil des Lohns im Sinne von Art. 322 OR handeln. Ob es sich um das eine oder das andere handelt, ist im Einzelfall zu prüfen (BGE 142 III 381 E. 2 f. m.w.H.; BGE 141 III 407 E. 4).

 

Ermessen

Bei einer Gratifikation handelt es sich um eine Sondervergütung, die neben dem Lohn an bestimmten Anlässen ausgerichtet wird und deren Ausrichtung zumindest teilweise vom Willen des Arbeitgebers abhängt. Dies ist dann anzunehmen, wenn dem Arbeitgeber jedenfalls bei der Festsetzung der Höhe ein Ermessen zusteht. Ein solches Ermessen ist zu bejahen, wenn die Höhe nicht nur vom Erreichen eines bestimmten Geschäftsergebnisses, sondern zudem auch von der subjektiven Einschätzung der persönlichen Arbeitsleistung durch den Arbeitgeber abhängig gemacht wird. Ein im Voraus festgesetzter und fest vereinbarter Betrag kann daher keine Gratifikation sein.

 

Akzessorietät

Ob eine ins Ermessen des Arbeitgebers gestellte freiwillige Vergütung eine Gratifikation im Sinne von Art. 322d OR darstellt, hängt nach der Rechtsprechung weiter von der Höhe des Gesamteinkommens aus Arbeitsvertrag und allenfalls vom Verhältnis der freiwilligen Vergütung zum vereinbarten Lohn ab. Um den Charakter einer Sondervergütung zu wahren, muss eine Gratifikation gegenüber dem Lohn akzessorisch bleiben und darf im Rahmen der Entschädigung des Arbeitnehmers nur eine zweitrangige Bedeutung einnehmen, denn dem Arbeitgeber soll es verwehrt sein, die eigentliche Vergütung des Arbeitnehmers in Form einer (freiwilligen) Gratifikation auszurichten. Daher kann es sich auch bei einem Bonus, dessen Ausrichtung nach der Vereinbarung der Parteien ins Ermessen des Arbeitgebers gestellt ist, um einen (variablen) Lohnbestandteil handeln. Dies kann der Fall sein, wenn sich die entsprechende Vergütung nicht als zweitrangig und damit nicht als akzessorisch erweist und regelmässig bezahlt wird. Die entsprechende Grenze kann nicht einfach in einer festen Verhältniszahl zwischen dem vereinbarten Lohn und dem freiwilligen Bonus liegen. Vielmehr sind die Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen (BGE 142 III 381 E. 2.2.1 mit Hinweisen).

 

Sehr hohe Einkommen

Erzielt der Arbeitnehmer ein sehr hohes Gesamteinkommen, das seine wirtschaftliche Existenz bei Weitem gewährleistet bzw. die Lebenshaltungskosten erheblich übersteigt, kann das Verhältnis zwischen Lohn und Gratifikation aber kein entscheidendes Kriterium mehr sein, um über den Lohncharakter der Sondervergütung zu entscheiden. In diesem Fall entfällt die Akzessorietätsprüfung und ist eine ins Ermessen des Arbeitgebers gestellte freiwillige Vergütung in jedem Fall als Gratifikation zu qualifizieren. Als sehr hohe Entschädigung wird ein Einkommen aus Arbeitsvertrag angesehen, das den fünffachen Medianlohn übersteigt (BGE 142 III 381 E. 2.2 ff. m.w.H.).

 

Mittlere und hohe Einkommen

Das Bundesgericht hat mit Urteil 4A_714/2016 vom 29. August 2017, E. 3.3.3., seine Rechtsprechung weiter konkretisiert. Nach diesem Urteil ist bei Löhnen, die zwischen dem einfachen und dem fünffachen Medianlohn liegen, von mittleren und höheren Einkommen im Sinne der Rechtsprechung auszugehen, bei denen das Akzessorietätskriterium – jedenfalls in der Regel – nicht erfüllt ist, wenn der Bonus mindestens die Höhe des Grundlohns erreicht (vgl. BGE 142 III 456 E. 3.1; BGE 142 III 381 E. 2.2.1; BGE 141 III 407 E. 4.3).

Zuerst musste geprüft werden, ob der Arbeitnehmer ein hohes oder ein sehr hohes Einkommen erzielte. Erst in einem zweiten Schritt kann – sofern kein sehr hohes Einkommen vorliegt – die Akzessorietät geprüft werden.

Grundsätzlich ist nur das betreffend Jahr, d.h. das stittige Jahr relevant.

 

Relevante Jahre

Die Vorsinstanz (Arbeitsgericht Zürich) vertrat die Ansicht, es seien für die Prüfung der Frage, ob der Arbeitnehmer ein sehr hohes Einkommen erziele und demzufolge nicht schutzbedürftig sei, neben dem Jahr 2012 auch die Jahre 2010, 2011 und 2013 einzubeziehen. Das Obergericht verneinte dies. Das Obergericht war der Ansicht, dass der vom Arbeitsgericht zitierte Entscheid anders zu verstehen sei, als dies das Arbeitsgericht getan hatte.

Im von der Vorinstanz in diesem Zusammenhang zitierten BGE 142 III 456 (= BGer 4A_557/2015 vom 22. Juni 2016), führte das Bundesgericht in E. 3.2 aus, grundsätzlich betrachte man das tatsächlich vom Arbeitnehmer während des Jahres erhaltene Einkommen. Ausnahmsweise werde der repräsentative Charakter besser gewährleistet, wenn man die während der streitigen Zeitspanne tatsächlich erhaltene Entschädigung in Betracht ziehe. Die Berücksichtigung dieser Zeitspanne werde insbesondere dann geeignet sein, wenn der Arbeitnehmende seine berufliche Tätigkeit im zweiten streitigen Jahr lediglich während einiger Monate ausgeübt habe. In der Folge stellte das Bundesgericht im von ihm zu beurteilenden Fall auf das Jahr 2011 und die 5 Monate des Jahres 2012, in denen das Arbeitsverhältnis noch angedauert hatte, insgesamt mithin auf 17 Monate ab (a.a.O., E. 3.3), wobei der Bonus des Jahres 2011, der im Jahr 2012 auszuzahlen gewesen wäre, strittig war und es sich somit bei diesen 17 Monaten um die streitige Periode handelte. In BGE 144 III 452 E. 2.3.3 erwog das Bundesgericht Folgendes:

„In BGE 143 III 254 E. 3.2 hat das Bundesgericht ausgeführt, ob der Kläger bei teilbarem Leistungsbegehren mit dem behaupteten Lebenssachverhalt aus objektiver Sicht mehrere Streitgegenstände zur Beurteilung stelle, beurteile sich „auch mit Rücksicht auf das materielle Recht“. Abgesehen von diesem Grundsatz lassen sich der Rechtsprechung allerdings keine allgemeingültigen Kriterien zur Abgrenzung von einheitlichen Lebenssachverhalten entnehmen, wie im Schrifttum denn auch in verschiedener Hinsicht bemängelt wurde: Einerseits wurde in einer Urteilsanmerkung zu BGE 142 III 683 als fraglich bezeichnet, „ob der Ablauf eines Kalenderjahres für sich allein genommen einen neuen Lebenssachverhalt“ schaffe (MARGHITOLA, Die Eintretensfrage bei der Teilklage, ius.focus 6/2017). Dieser Entscheid ist vor dem Hintergrund zu verstehen, dass das Bundesgericht im Hinblick auf die Frage, ob Boni als Gratifikation im Sinne von Art. 322d OR oder als Lohnbestandteil im Sinne von Art. 322 OR zu qualifizieren sind, auf die tatsächlichen Bezüge in einer bestimmten Zeitperiode abstellt, in der Regel einer Jahresperiode. Diese tatsächlichen Einkünfte werden dann dem Medianlohn in diesem Jahr gegenübergestellt (siehe im Einzelnen BGE 142 III 456 E. 3, 381 E. 2; 141 III 407 E. 4-6). Insofern werden rein tatsächlich (vgl. BGE 142 III 456 E. 3.2 S. 460: „approche factuelle“) unterschiedliche Perioden innerhalb des gleichen Arbeitsverhältnisses unterschieden, die aber zu unterschiedlichen materiellen Ansprüchen führen. (…)“

Für das Obergericht ist damit klar, dass das Bundesgericht in BGE 142 III 456 E. 3.2 nicht etwa von seiner Haltung, dass grundsätzlich auf das vom Arbeitnehmer während eines Jahres erzielte Einkommen abzustellen seit, abrücken wollte und es insbesondere nicht darum geht, ob der Arbeitnehmer im Durchschnitt verschiedener Jahre mindestens den fünffachen Medianlohn als Einkommen erzielte. Da die streitige Zeitspanne im vorliegenden Fall einzig die Jahre 2011 und 2012 betraf, sei für die Frage, ob der Arbeitnehmer ein sehr hohes, den fünffachen Medianlohn übersteigendes Einkommen erzielte, einzig auf das Jahr 2012 abzustellen. In diesem Jahr war das fünffache des Medianlohnes nicht erreicht.

 

EOP Awards als Bonus

Fraglich war zudem ob die EOP Awards als Bonus zu betrachten waren. Dies wurde vom Obergericht bejaht.

Denn aus das Akten ergab sich, dass der Arbeitnehmer einen Teil seiner Boni 2009 und 2010 in Form von EOP Awards erhielt, weshalb diese Bonus-Bestandteile darstellen.

 

Akzessorietät im konkreten Fall

Der Arbeitnehmer erzielte kein sehr hohes Einkommen. War der Bonus somit in der Regel höher als der Fixlohn, so kann nicht mehr von Akzessorietät ausgegangen werden und der Bonus gilt als variabler Lohnbestandteil

Ausgehend von den Zahlen war klar, dass der Arbeitnehmer in den Jahren ab 2005 bis zum umstrittenen Jahr 2012 nur gerade zwei Mal, nämlich in den Jahren 2008 und 2009, einen Bonus erhielt, der den Grundlohn nicht überstieg. Der durchschnittliche Grundlohn betrug in den fraglichen sieben Jahren CHF 151’190.–, der Bonusdurchschnitt inkl. EOP Awards CHF 197’286.– oder gut 130 % und überstieg damit sogar die vom Kläger (allerdings für eine längere Zeitspanne) genannten 122 %. Hinzu kam, dass selbst für die beiden Jahre, in denen das Geschäftsergebnis unbestrittenermassen sehr schlecht ausfiel und der Arbeitgeber einen grossen Verlust erlitt, ein Bonus ausbezahlt wurde und die verhältnismässig kleinen Boni für diese beiden Jahre durch diejenigen für die Folgejahre wettgemacht wurden. Unter diesen Umständen konnte nicht von einer Akzessorietät die Rede sein. Vielmehr muss der Bonus vor dem gegebenen Hintergrund als Lohnbestandteil betrachtet werden.

 

Entscheid des Bundesgericht

Der Entscheid des Obergerichts des Kantons Zürich wurde vom Bundesgericht im Entscheid 4A_155/2019 vom 18. Dezember 2019 bestätigt. Zum Verfahren vor Bundesgericht siehe den Beitrag Bonus als Lohnbestandteil qualifiziert.

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Autor: Nicolas Facincani