Der Name des Normalarbeitsvertrages mag missverständlich klingen. Entgegen des ersten Eindrucks bedeutet der Normalarbeitsvertrag (NAV) keine vertragliche Verpflichtung zwischen zwei Parteien, sondern er wird durch Bund oder Kantone in der Form einer Verordnung erlassen (Art. 359 ff. OR).
Das Schweizerische Arbeitsvertragsrecht kennt zwei Arten von Normalarbeitsverträgen (NAV):
NAV mit Bestimmungen über das Arbeitsverhältnis (Abschluss, Arbeitsbedingungen, Beendigung)
Normalarbeitsverträge stellen Schutzbestimmungen für die Arbeitnehmer in verschiedenen Branchen auf, sofern für den Erlass ein hinreichendes Bedürfnis besteht (Art. 359 Abs. 1 OR). Ob ein Normalarbeitsvertrag erlassen wird, steht im Ermessen der entsprechenden Behörden. Oft werden Normalarbeitsverträge als notwendig erachtet für Branchen, wo es keine oder keine ausreichende gewerkschaftliche Organisation für den Abschluss eines Gesamtarbeitsvertrages (GAV) gibt. Für das Arbeitsverhältnis der landwirtschaftlichen Arbeitnehmer und der Arbeitnehmer im Hausdienst sind die Kantone verpflichtet, Normalarbeitsverträge zu erlassen (Art. 359 Abs. 2 OR). Die Bestimmungen eines Normalarbeitsvertrages gelten unmittelbar für die ihm unterstellten Arbeitsverhältnisse, sofern nichts anderes vereinbart wird.
Normalarbeitsverträge stellen Regeln über den Abschluss, Inhalt und Beendigung bestimmter Arbeitsverhältnisse auf. Grundsätzlich können die Parteien eines Einzelarbeitsvertrages von den Bestimmungen eines Normalarbeitsvertrages abweichen (Art. 360 Abs. 1 OR), doch kann der Normalarbeitsvertrag vorsehen, dass seine Bestimmungen nur durch schriftliche Vereinbarung abgeändert werden können. Auf der anderen Seite können Bestimmungen eines Normalarbeitsvertrages zwingende Gesetzesvorschriften verdrängen, sofern sie günstiger sind für die Arbeitnehmer (Art. 359 Abs. 3 sowie Art. 358 OR) und sich aus den zwingenden Gesetzesvorschriften nichts anderes ergibt (vgl. Art. 361 Abs. 1 OR).
NAV mit zwingenden Mindestlöhnen
Im Zusammenhang mit den flankierenden Massnahmen zur Einführung des freien Personenverkehrs zwischen der Schweiz und der EU sind neue Bestimmungen über die Mindesthöhe erlassen worden (Art. 360a – 360f OR). Diese ermöglichen den Erlass von befristeten Normalarbeitsverträgen, die einseitig zwingende Lohnvorschriften enthalten (Art. 360d Abs. 2 OR). In Branchen, in denen es keinen Gesamtarbeitsvertrag gibt, können bei wiederholter miss-räuchlicher Lohnunterbietung der orts-, berufs- oder branchenüblichen Löhne NAV mit zwingenden Mindestlöhnen erlassen werden. Diese Mindestlöhne gelten für die ganze Branche und können nur zugunsten des Arbeitnehmers abgeändert werden. Siehe hierzu auch den Beitrag bezüglich Lohnhöhe.
NAV Hauswirtschaft
Im Rahmen der Hauswirtschaft existieren verschiedene NAV. Der Bund (Bundesrecht) hat einen NAV erlassen, daneben existieren die kantonalen NAV. Kantonale NAV in der Hauswirtschaft bleiben anwendbar, trotz des NAV des Bundes. Der NAV Hauswirtschaft des Bundes gilt in der ganzen Schweiz mit Ausnahme des Kantons Genf, welcher bereits einen Mindestlohn für Haus-angestellt eingeführt hatte.
Der NAV des Bundesrates regelt nur die Mindestlöhne. Für die übrigen Arbeitsbedingungen wie Arbeits- und Ruhezeiten, Ferienanspruch, Feiertagsanspruch, Lohnfortzahlungspflicht des Arbeitgebers im Krankheitsfall, Überstundenentschädigung, Probezeit, Kündigung des Arbeitsverhältnisses usw. sind wie bisher die kantonalen NAV für Arbeitnehmende in der Hauswirtschaft oder das schweizerische Arbeitsvertragsrecht anwendbar. Damit kommen die entsprechenden kantonalen NAV neben dem NAV des Bunds ergänzend zur Anwendung.
Autor: Nicolas Facincani