Oft liest man in den Medien, dass Arbeitgeber kurzfristig Ferien für Teile der Belegschaft anordnen würden (Zwangsferien), dies im Zusammenhang mit der aktuellen Coronapandemie. Doch ist dies überhaupt zulässig? Eine Frage, die in der Beratungspraxis im Moment häufig gestellt wird.
Die Schweiz stand noch nie vor einer vergleichbaren Situation; dementsprechend hat sich die bundesgerichtliche Rechtsprechung auch noch nicht mit dieser Frage befassen müssen.
Ferienbestimmung in „Normalzeiten“
Der Arbeitgeber bestimmt den Zeitpunkt der Ferien (Art. 329c OR). Er muss jedoch – soweit wie möglich – dabei auf die Wünsche des Arbeitnehmers soweit Rücksicht zu nehmen, als dies mit den Interessen des Betriebs vereinbar ist. Sodann sind die Ferien in der Regel im Verlaufe des betreffenden Dienstjahres zu gewähren. So die gesetzliche Regelung (siehe hierzu den allgemeinen Beitrag zum Ferienrecht).
Als Ausfluss der Pflicht zur gegenseitigen Rücksichtnahme hat der Arbeitnehmer Anrecht auf frühzeitige Zuteilung der Ferien und, soweit möglich, auf Zuteilung in einer für Ferien geeigneten Zeit. Als Faustregel wird von einer Frist von etwa (zwei bis) drei Monate im Voraus ausgegangen (siehe hier den Beitrag betreffend den Zeitpunkt der Ferien).
Der Arbeitgeber hat den Arbeitnehmer zur Ferienfestsetzung anzuhören und soll auf dessen Wünsche möglichst Rücksicht nehmen, soweit das mit den Interessen des Betriebs vereinbar ist. Übergeht der Arbeitgeber bei der Festsetzung der Ferien die Wünsche des Arbeitnehmers, ohne dass dies durch betriebliche Interessen gerechtfertigt ist, so überschreitet er sein Festsetzungsrecht.
Andere Voraussetzungen wegen COVID-19?
Gemäss den vorstehenden allgemeinen Regeln gilt einerseits also eine Vorankündigungsfrist von etwa drei Monaten, andererseits muss der Zeitpunkt aufgrund der Wünsche des Arbeitnehmers bestimmt werden, ausser eine Abweichung sei durch betriebliche Interessen gerechtfertigt. Diese Grundsätze gelten weiterhin.
Sofern nun ein sofortiger Ferienbezug angeordnet wird, kann dies durch betriebliche Interessen gerechtfertigt sein; es stellt sich aber stets die Frage, wieweit das einen Arbeitnehmer auch zugemutet werden kann.
In Bezug auf die Frage, ob von den drei Monaten abgewichen werden kann, gibt es noch keine höchstrichterliche Rechtssprechung. Verschiedene Meinungen werden vertreten:
Meinung 1: Die Regelung, dass die Ferien drei Monate im Voraus festzusetzen sind, gilt weiterhin.
Meinung 2: Es darf kurzfristig Ferien angeordnet werden, wenn Kurzarbeit nicht möglich ist, aber nur soweit die Ferien bereits angewachsen sind (die Ferien wachsen pro rata pro Monat an).
Meinung 3: Die sofortige Anordnung der Ferien ist zulässig.
Meinung 4: Die sofortige Anordnung der Ferien ist zulässig, aber nur soweit es sich um Ferienguthaben handelt, die aus früheren Jahren übertragen wurden.
Meinung 5: Ferien dürfen mit einer kürzeren Frist, aber nicht sofort, angeordnet werden.
Es zeigt sich, dass die Meinungen weit auseinander gehen. Wie einleitend aufgezeigt, sind die betrieblichen Interessen zu berücksichtigen, aber auf die Wünsche bzw. Interessen des Arbeitnehmers auch Rücksicht zu nehmen. Wollte man in jedem Fall die sofortige Anordnung der Ferien zulassen, würden (sofern ein Arbeitnehmer mit dem sofortigen Ferienbezug nicht einverstanden sind) die Wünsche und Interessen der Arbeitnehmer überhaupt nicht berücksichtigt werden. Sodann würde nicht geprüft werden, ob tatsächliche betriebliche Gründe für die sofortige Anordnung der Zwangsferien überhaupt vorliegen.
Beharrt man hingegen auf den drei Monaten, wird der aktuellen Situation nicht Rechnung getragen. Hier spielt auch die Treuepflicht des Arbeitnehmers hinein, die gebieten kann, dass ein Arbeitnehmer, um den Betrieb zu schützen, zu gewissen Konzessionen bereit sein muss.
Es zeigt sich, dass hier verschiedene Interessen aufeinanderprallen. Es ist somit eine konkrete Interessenabwägung vorzunehmen. Dabei ist insbesondere auch zu prüfen, ob das Ziel, welches der Arbeitgeber mit der sofortigen Ferienanordnung verfolgen will, auch mit Kurzarbeit erreicht werden könnte.
Aufgrund dieser Überlegungen ist davon auszugehen, dass ein Arbeitnehmer in der Regel wohl eine kürzere Frist zur Anordnung von Ferien zu akzeptieren hat – aufgrund der aktuellen Lage. Es ist wohl eher von zwei anstatt drei Monaten auszugehen. Bei besonderen betrieblichen Bedürfnissen dürfte es unter Umständen möglich und zulässig sein, diese Ankündigungsfrist weiter auf einige Wochen (etwa 1 Monat) zu reduzieren. Zu berücksichtigen ist aber stets, ob das Ziel der Anordnung der Zwangsferien nicht auf mildere Weise erreicht werden kann (Abbau Überstunden/Mehrzeiten, Kurzarbeit, Taggeldlösungen etc.). Soweit Ferienguthaben aus früheren Jahren betroffen sind, dürften meines Erachtens tendenziell noch kürzere Fristen zulässig sein.
Auf jeden Fall dürfte eine einvernehmliche Regelung von Vorteil sein.
Kein Abbau von Ferienguthaben, sofern keine Erholung
Erkrankt ein Arbeitnehmer in den Ferien oder erleidet er einen Unfall, so hat das oft zur Folge, dass der entsprechende Arbeitnehmer seine Ferien nicht geniessen und sich somit auch nicht erholen kann. Ist durch die Krankheit oder den Unfall der Erholungszweck der Ferien vereitelt, gilt ein Arbeitnehmer als ferienunfähig und die entsprechenden Ferientage gelten als nicht bezogen (siehe hier den Beitrag zu Ferienfähigkeit).
Das gleiche kann auch gelten, sofern ein Arbeitnehmer während der Ferien ein krankes Kind mit einer gewissen Intensität zu betreuen hat und sich somit nicht erholen kann.
Dieser Gedanke ist noch weiter zu spannen. Die Schulen sind geschlossen. Werden nun Zwangsferien angeordnet und muss nun ein Arbeitnehmer während der ganzen Zeit (und intensiv) das Homeschooling übernehmen und Kinder unterrichten, stellt sich die Frage, ob hier der Erholungszweck der Ferien nicht vereitelt wird. Das ist insbesondere der Fall bei Arbeitnehmern, die mehrere Kinder zu Hause zu betreuen haben. Ist in einem solchen Fall durch die Kinderbetreuung kombiniert mit Homeschooling der Ferienzweck vereitelt, gelten die Ferien als nicht bezogen – das kann meines Erachtens auch halbtageweise der Fall sein (etwa wenn der Morgen stets für die Schulde verwendet wird).
Der vorliegende Beitrag gibt die Beurteilung am 5. April 2020 wieder. Es ist nicht ausgeschlossen, dass künftige Entscheide verfügbar sein werden und sich eine Aktualisierung des Beitrages aufdrängt.
Beachten Sie auch die bisherigen, im Zusammenhang mit COVID-19 erschienen Beiträge (Auswahl):
- Kurzfristige Zwangsferien aufgrund der Coronapandemie
- Arbeitsrechtliche Herausforderungen der Corona-Pandemie
- Erleichterungen bei Kurzarbeit (COVID-19)
- COVID-19: Taggeld für hütende Eltern
- Coronavirus: Schule geschlossen – Lohnanspruch des Arbeitnehmers
- Coronavirus: Besonders gefährdete Personen – Lohnzahlungspflicht
- Coronavirus: Messung der Körpertemperatur durch den Arbeitgeber
- Kurzarbeit wegen Coronavirus
- Arbeitsverhinderung wegen Coronavirus – Wer bezahlt?
- Neue Regelung für besonders gefährdete Personen per 17. April 2020
Weitere Beiträge zum Ferien- und Urlaubsrecht (Auswahl):
- Vaterschaftsurlaub
- Gekündigt, freigestellt und krank – was passiert mit den Ferien?
- Kurzfristige Zwangsferien aufgrund der Coronapandemie
- Wann darf der Ferienanspruch gekürzt werden?
- Verjährung von Ferien
- Krank in den Ferien bedeutet nicht immer Ferienunfähigkeit
- Ferienbezug während Freistellung
- „Ferienlohn inbegriffen“
- Ferienrecht – was gilt?
- Ferienkürzung bei unverschuldeter Arbeitsverhinderung
- Allgemeines über die Ferien aus dem Arbeitsrecht
- Zeitpunkt der Ferien
- Auswirkungen von Corona auf die Ferien
- Provisionen und Ferien
- Der neue Betreuungsurlaub
Autor: Nicolas Facincani
Kann der Arbeitgeber Zwei wochen das Geschäft zu machen und dafür minus zeit verrechnen?
Wie beurteilen sie die Ferienfähigkeit unseres Mitarbeiters, welcher sich im Vaterschaftsurlaub in Quarantäne begeben musste?… ( gewähren bereits 2 Wo )
Mit freundlichen Grüßen S. Annaheim
Ich habe fünf Wochen Ferien im Jahr darf mein Arbeitsgeber zwei Wochen wegen Corona mir abziehen. Ich war in Kurzarbeit vom 23.12.2020 bis 31.05.2021.
mit freundlichen Grüssen K.Böniger
Ist rückwirkend sicher unzulässig.
Darf mein Chef/Arbeitgeber mir 12 Tage Ferien im Dezember eintragen/abziehen ohne mein Einverständnis oder gar Wissen? (nur damit mein Feriensaldo Ende des Jahres auf null ist)
Obgleich das Obligationenrecht relativ klar vorsieht, dass der Arbeitgeber den Ferienzeitpunkt bestimmt, unterliegt dieses Recht erheblichen Einschränkungen. So sind die Ferien in der Regel im laufenden Dienstjahr zu gewähren. Nicht bezogenen Ferien verfallen nicht. Wenn möglich sind die während des Arbeitsverhältnisses und nicht als Geldabfindung zu gewähren, auch wenn das Arbeitsverhältnis gekündigt ist, doch kann sich aus Praktikabilitätsgründen eine Geldabfindung aufdrängen.
Die Ferien müssen sodann durch den Arbeitgeber frühzeitig zugewiesen werden, damit eine vernünftige Planung möglich ist. Vereinbarte Ferien dürfen nicht einfach wieder geändert werden. Häufig wird die zeitliche Lage der Ferien einvernehmlich zwischen den Parteien festgelegt, z.B. indem der Arbeitnehmer seine Ferien Anfang Jahr anmeldet und der Arbeitgeber sie genehmigt. Sieht der Arbeitsvertrag sodann vor, dass der Arbeitnehmer den Ferienzeitpunkt gemeinsam mit dem Vorgesetzten zu vereinbaren habe, bedeutet dies nicht, dass es alleinige Sache des Arbeitnehmers ist, für den Bezug seiner Ferien zu sorgen, sondern der Arbeitgeber ist weiterhin verantwortlich, für den Ferienbezug zu sorgen. Zulässig ist auch, dass der Arbeitgeber die Ferienbestimmung an den Arbeitnehmer delegiert.
Als Ausfluss der Pflicht zur gegenseitigen Rücksichtnahme hat der Arbeitnehmer Anrecht auf frühzeitige Zuteilung der Ferien, und, soweit möglich, auf Zuteilung in einer für Ferien geeigneten Zeit. Der Arbeitgeber hat den Arbeitnehmer zur Ferienfestsetzung anzuhören und soll auf dessen Wünsche möglichst Rücksicht nehmen, soweit das mit den Interessen des Betriebs vereinbar. Übergeht der Arbeitgeber bei der Festsetzung der Ferien die Wünsche des Arbeitnehmers, ohne dass dies durch betriebliche Interessen gerechtfertigt ist, so überschreitet er sein Festsetzungsrecht. Als Beispiel dürfen etwa bei einem Arbeitnehmer mit schulpflichtigen Kindern die Ferien nicht überwiegend ausserhalb der Schulferien angeordnet werden. Ebenso wird davon ausgegangen, dass im Anschluss an den Mutterschaftsurlaub, wenn die Arbeitnehmerin diesen so verlängern möchte und es die Interessen des Betriebes zulassen, Ferien in der Regel gewährt werden müssen. Kann der Arbeitnehmer nicht zum gewünschten Zeitpunkt Ferien beziehen, ist der Arbeitgeber allenfalls gestützt auf den Grundsatz von Treu und Glauben dazu angehalten, seinem Arbeitnehmer einen unbezahlten Urlaub zu gewähren, z.B. um ihm zu ermöglichen, die Ferien mit seiner Familie zu verbringen.