Am 16. April 2020 hat der Bundesrat Lockerungen zum Lockdown beschlossen. In diesem Zusammenhang wurden auch neue Regelungen für besonders gefährdete Personen erlassen im Rahmen des Arbeitsrechts erlassen (COVID-19 Verordnung 2 vom 13. März 2020 (Stand 17. April 2020).

Regelungen betreffend besonders gefährdete Personen wurden bereits vor ein paar Wochen erlassen und hier kommentiert. Es sei auf den entsprechenden Beitrag verwiesen.

 

Die neue Regelung lautet wie folgt (Stand 17. April 2020):

Art. 10b Grundsatz

1 Besonders gefährdete Personen sollen zu Hause bleiben und Menschenansammlungen meiden. Verlassen sie das Haus, so treffen sie besondere Vorkehrungen, um die Empfehlungen des BAG betreffend Hygiene und soziale Distanz einhalten zu können.1

2 Als besonders gefährdete Personen gelten Personen ab 65 Jahren und Personen, die insbesondere folgende Erkrankungen aufweisen: Bluthochdruck, Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, chronische Atemwegserkrankungen, Erkrankungen und Therapien, die das Immunsystem schwächen, Krebs.

3 Die Kategorien nach Absatz 2 werden in Anhang 6 anhand medizinischer Kriterien präzisiert. Diese Liste ist nicht abschliessend. Eine klinische Beurteilung der Gefährdung im Einzelfall bleibt vorbehalten.2

4 Das BAG führt Anhang 6 laufend nach.3

 

Art. 10c Pflichten des Arbeitgebers betreffend Schutz der Gesundheit von besonders gefährdeten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern

1 Der Arbeitgeber ermöglicht seinen besonders gefährdeten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, ihre Arbeitsverpflichtungen von zu Hause aus zu erfüllen. Er trifft zu diesem Zweck die geeigneten organisatorischen und technischen Massnahmen.

2 Ist es nicht möglich, die angestammte Arbeitsverpflichtung von zu Hause aus zu erfüllen, so weist der Arbeitgeber der betroffenen Arbeitnehmerin oder dem betroffenen Arbeitnehmer in Abweichung vom Arbeitsvertrag bei gleicher Entlöhnung eine gleichwertige Ersatzarbeit zu, die von zu Hause aus erledigt werden kann. Er trifft zu diesem Zweck die geeigneten organisatorischen und technischen Massnahmen.

3 Ist aus betrieblichen Gründen die Präsenz besonders gefährdeter Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vor Ort ganz oder teilweise unabdingbar, so dürfen diese in ihrer angestammten Tätigkeit vor Ort beschäftigt werden, wenn die folgenden Voraussetzungen erfüllt sind:

  • a. Der Arbeitsplatz ist so ausgestaltet, dass jeder enge Kontakt mit anderen Personen ausgeschlossen ist, namentlich indem ein Einzelraum oder ein klar abgegrenzter Arbeitsbereich unter Berücksichtigung des Mindestabstandes von 2 Metern zur Verfügung gestellt wird.
  • b. In Fällen, in denen ein enger Kontakt nicht jederzeit vermieden werden kann, werden angemessene Schutzmassnahmen nach dem STOP-Prinzip ergriffen (Substitution, technische Massnahmen, organisatorische Massnahmen, persönliche Schutzausrüstung).

4 Ist es nicht möglich, die betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nach den Absätzen 1–3 zu beschäftigen, so weist ihnen der Arbeitgeber in Abweichung vom Arbeitsvertrag bei gleicher Entlöhnung eine gleichwertige Ersatzarbeit vor Ort zu, bei der die Vorgaben nach Absatz 3 Buchstaben a und b erfüllt sind.

5 Bevor der Arbeitgeber die vorgesehenen Massnahmen trifft, hört er die betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer an.

6 Die betroffene Arbeitnehmerin oder der betroffene Arbeitnehmer kann die Übernahme einer ihr oder ihm zugewiesenen Arbeit ablehnen, wenn der Arbeitgeber die Voraussetzungen nach den Absätzen 1–4 nicht erfüllt oder wenn die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer die Gefahr einer Ansteckung mit dem Coronavirus trotz der vom Arbeitgeber getroffenen Massnahmen nach den Absätzen 3 und 4 aus besonderen Gründen als zu hoch für sich erachtet. Der Arbeitgeber kann ein ärztliches Attest verlangen.

7 Ist es nicht möglich, die betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nach den Absätzen 1–4 zu beschäftigen, oder lehnen diese die zugewiesene Arbeit im Sinne von Absatz 6 ab, so stellt der Arbeitgeber sie unter Lohnfortzahlung frei.

8 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer machen ihre besondere Gefährdung durch eine persönliche Erklärung geltend. Der Arbeitgeber kann ein ärztliches Attest verlangen.

 

Inhalt der neuen Regelung gemäss COVID-19 Verordnung 2 vom 13. März 2020 (Stand 17. April 2020)

Die Erläuterungen des Bundesrates beleuchten den Inhalt der zuvor aufgeführten Regelungen. Auf diese stützen sich die nachfolgenden Ausführungen (zum Teil werden die Erläuterungen aufgrund der Klarheit eins zu eins wiedergegeben):

Mit Artikel 10c in seiner Fassung vom 17. April soll präzisiert werden, unter welchen Vorgaben besonders gefährdete Personen weiter beschäftigt werden dürfen bzw. wann sie unter Lohnfortzahlung von der Arbeitspflicht zu befreien sind.

 

Kaskade in Abs. 1 – 4 / Einbezug der Arbeitnehmer und Befreiung von Arbeitspflicht in Abs. 5 – 8

Die Absätze 1–4 halten im Sinne einer Kaskade fest, welche Möglichkeiten in welcher Reihenfolge in Bezug auf besonders gefährdete Personen zur Verfügung stehen. Die nachfolgenden Absätze regeln das Anhörungsrecht, die Arbeitsbefreiung sowie die Lohnfortzahlungspflicht

 

Abs. 1

Absatz 1 sieht vor, dass besonders gefährdete und Arbeitnehmer ihre arbeitsvertraglichen Pflichten wenn immer möglich im Homeoffice erledigen sollen. Dazu hat der Arbeitgeber die geeigneten organisatorischen und technischen Massnahmen zu treffen, indem er den Arbeitnehmers beispielsweise die dafür erforderliche IT-Ausstattung zur Verfügung stellt oder entsprechende Nutzungen privater Geräte vereinbart. Flexible Lösungen werden angestrebt..

 

Abs. 2

Kann die angestammte Tätigkeit nicht im Homeoffice erledigt werden, ist bei gleicher Entlöhnung eine gleichwertige Ersatzarbeit zuweisen, die im Homeoffice erledigt werden kann.

 

Abs. 3

Ist die Erfüllung der Arbeitspflicht zu Hause nicht möglich, dürfen diese unter strengen Voraussetzungen vor Ort beschäftigt werden. Anzustreben ist dabei, dass die Arbeitnehmer vor Ort so gut geschützt werden, dass sie keinem grösseren Risiko ausgesetzt sind als wenn sie von zu Hause aus arbeiten würden. Der Arbeitsplatz ist deshalb so auszugestalten ist, dass jeder enge Kontakt mit anderen Personen ausgeschlossen ist. Dies kann entweder durch die Zuteilung eines Einzelraums oder die klare Abgrenzung des Arbeitsbereichs geschehen, welche die Einhaltung des Mindestabstands zu anderen Personen gewährleistet. Kann ein enger Kontakt nicht durchwegs vermieden werden, müssen gemäss Buchstabe b anderweitige Schutzvorkehrungen getroffen werden. Dabei ist das STOP-Prinzip anzuwenden.

Dieses beinhaltet:

  • Substitution: Tätigkeiten, bei denen es zu engem Kontakt kommen kann, werden durch andere Tätigkeiten ersetzt.
  • Technische und organisatorische Massnahmen: Mittels technischer und orga-nisatorischer Massnahmen werden Tätigkeiten, bei denen es zu engem Kon-takt kommen kann, in anderer Form ausgeführt (z.B. Kundenkontakt via elekt-ronischen Mitteln statt direkt), oder es werden spezielle Schutzvorrichtungen installiert (Plexiglasscheiben) und Schutzmassnahmen getroffen (Desinfekti-onsmittel etc.).
  • Persönliche Schutzausrüstung: Insbesondere in Einrichtungen des Gesund-heitswesens, in denen die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Umgang mit Schutzausrüstung geübt sind, kann auf diese Massnahme zurückgegriffen werden.

 

Abs. 4

Als letzte Möglichkeit in der Kaskade sieht Absatz 4 vor, dass der Arbeitnehmerin bzw. dem Arbeitnehmer in Abweichung vom Arbeitsvertrag bei gleicher Entlöhnung eine gleichwertige Ersatzarbeit vor Ort zugewiesen wird, bei der die oben genannten Vorgaben (Gestaltung des Arbeitsplatzes ohne engen Kontakt mit anderen Personen bzw. STOP-Prinzip) eingehalten werden. Ist keine der Möglichkeiten gegeben, muss die Arbeitnehmerin bzw. der Arbeitnehmer unter Lohnfortzahlung freigestellt werden (vgl. Abs. 7).

 

Abs. 5

Absatz 5 hält fest, dass die betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer anzu-hören sind, bevor eine der Möglichkeiten nach den Absätzen 1–4 bzw. die Massnahmen nach Absatz 3 Buchstaben a und b umgesetzt werden.

 

Abs. 6

Gemäss Absatz 6 kann die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer generell eine gemäss den Absätzen 1–4 zugewiesene Tätigkeit ablehnen, wenn die Vorgaben gemäss diesen Bestimmungen nicht erfüllt sind. Namentlich kann sie oder er die Arbeit vor Ort verweigern, wenn er aus besonderen Gründen der Meinung ist, dass die Ansteckungsgefahr trotz der Massnahmen, die zum Schutz der Gesundheit getroffen wurden, zu hoch ist. In letzterem Fall kann der Arbeitgeber ein ärztliches Attest verlangen, das die besonderen Gründe bestätigt. In diesem Fall hätte ein Arbeitnehmer einen Anspruch auf Freistellung.

 

Abs. 7

Absatz 7 hält fest, dass der Arbeitgeber die betroffenen Arbeitnehmenden unter voller Lohnzahlung von der Arbeitspflicht befreien muss, wenn keine der Möglichkeiten nach den Absätzen 1-4 offensteht, oder wenn eine Ablehnung nach Absatz 6 vorliegt. Die Erläuterungen sprechen hier explizit von einem Verzug (Art. 324 OR ) des Arbeitgebers. Zu beachten ist, dass hier nach der Meinung des SECO gegebenenfalls Kurzarbeit beantragt werden kann.

 

Abs. 8

Nach Absatz 8 teilen die betroffenen Arbeitnehmer ihre besondere Gefährdung ihrem Arbeitgeber durch eine persönliche Erklärung mit. Der Arbeitgeber kann fallweise ein ärztliches Attest verlangen. Die Erläuterungen halten fest, dass wenn der Arbeitgeber Zweifel am Arztzeugnis hat, er eine vertrauensärztliche Untersuchung anordnen kann.

Verstösse gegen die Bestimmungen von Art. 10c COVID-19 Verordnung 2 vom 13. März 2020 (Stand 17. April 2020) sind gemäss Art. 10f nicht sanktioniert. Es könnten aber allenfalls die Strafbestimmungen zum Gesundheitsschutz des Arbeitsgesetzes zur Anwendung gelangen (siehe hierzu den Beitrag zum Arbeitsgesetz).

 

Definition besonders gefährdeter Arbeitnehmer

Gemäss Art. 10b Abs. 2 COVID-19 Verordnung 2 vom 13. März 2020 (Stand 17. April 2020) gelten folgende Personen als besonders gefährdet: «Als besonders gefährdete Personen gelten Personen ab 65 Jahren und Personen, die insbesondere folgende Erkrankungen aufweisen: Bluthochdruck, Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, chronische Atemwegserkrankungen, Erkrankungen und Therapien, die das Immunsystem schwächen, Krebs.»

Gemäss Art. 10b Abs. 3 der COVID-19 Verordnung 2 vom 13. März 2020 (Stand 17. April 2020) werden diese Kategorien präzisiert: «Die Kategorien nach Absatz 2 werden in Anhang 6 anhand medizinischer Kriterien präzisiert. Diese Liste ist nicht abschliessend. Eine klinische Beurteilung der Gefährdung im Einzelfall bleibt vorbehalten.»

Gemäss Art. 10b Abs. 4 der COVID-19 Verordnung 2 vom 13. März 2020 (Stand 17. April 2020) führt das BAG Anhang 6 laufend nach.

Es ist zu beachten, dass die geltenden Regelungen im Moment rasch ändern können und es nicht immer möglich ist, diesen Beitrag aktuell zu halten.

 

Beachten Sie auch die bisherigen, im Zusammenhang mit COVID-19 erschienen Beiträge (Auswahl):

 

Autor: Nicolas Facincani