In BGer 2C_1044 vom 18. Mai 2020 hatte sich das Bundesgericht mit Fragen von notwendigem Tageslicht an einem Arbeitsplatz auseinanderzusetzen.

Der Arbeitgeber ersuchte im zu beurteilenden Sachverhalt eine Ausnahmebewilligung für einen ständigen Arbeitsplatz ohne Sicht ins Freie. Das Gesuch wurde im Wesentlichen damit begründet, dass der Gesundheitsschutz des Küchenchefs des Restaurants, der in der Küche des fensterlosen Untergeschosses arbeite, gewährleistet sei. Der Einbau eines Fensters im Untergeschoss, um die Sicht ins Freie zu gewährleisten, würde erheblichen baulichen Aufwand erfordern (Kosten in fünfstelliger Höhe.

Das kantonale Amt für Wirtschaft und Arbeit verlangte, dass im Untergeschoss mindestens ein Fenster mit einer Fläche von einem Quadratmeter eingebaut werden müsse, das sich zwar nicht unmittelbar beim Arbeitsplatz befinde, der betroffene Arbeitnehmende aber für einen gelegentlichen Blick in die Aussenwelt aufsuchen könne (sogenanntes Kontaktfenster). Sodann werde ein Böschungswinkel von maximal 45 Grad akzeptiert, sofern der entstehende Lichthof eine Absturzsicherung erhalte. Das Fenster wäre als Notausstieg auszubilden.

Das kantonale Verwaltungsgericht erwog im Wesentlichen, eine natürliche Beleuchtung sei bei Arbeitsräumen die Regel. Ausnahmen würden nur toleriert, wenn der technischen oder sicherheitsbedingten Notwendigkeit ein höherer Stellenwert beigemessen werde als dem Anteil natürlichen Lichts, wenn keine andere Lösung realisierbar und die Forderung nach natürlicher Beleuchtung unverhältnismässig sei. Für die Küche eines Restaurants liege in der Regel keine Ausnahmesituation vor. Im vorliegenden Fall nehme die Küche den grössten Teil des ersten Untergeschosses ein. Es stelle kein Problem dar, in dieser Räumlichkeit für natürliches Licht zu sorgen. Es gebe genügend Beispiele, wie grössere Bahnhöfe, Einkaufszentren oder Flughäfen, bei denen dies weitaus schwieriger sei. Die Behauptung, ein kleines Fenster für die Küche koste eine hohe fünfstellige Summe und sei deswegen unverhältnismässig, entbehre jeder Grundlage.

 

Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz

Neben Art. 328 OR regelt auch das Arbeitsgesetz den Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (siehe auch den Betrag betreffend das Arbeitsgesetz).

Nach Art. 6 Abs. 1 ArG sind die Arbeitgeber verpflichtet, zum Schutz der Gesundheit der Arbeitnehmer alle Massnahmen zu treffen, die nach der Erfahrung notwendig, nach dem Stand der Technik anwendbar und den Verhältnissen des Betriebes angemessen sind. Art. 6 Abs. 4 ArG erteilt dem Bundesrat die Kompetenz zu bestimmen, welche Massnahmen für den Gesundheitsschutz in den Betrieben zu treffen sind.

 

Lichtverhältnisse am Arbeitsplatz

Gestützt auf die Bestimmungen des Arbeitsgesetzes hat der Bundesrat am 18. August 1993 die Verordnung 3 zum Arbeitsgesetz (ArGV 3, Gesundheitsschutz; SR 822.113) erlassen.

Art. 15 ArGV 3 sieht vor, dass Räume, Arbeitsplätze und Verkehrswege innerhalb und ausserhalb der Gebäude entsprechend ihrer Verwendung ausreichend natürlich oder künstlich  beleuchtet sein müssen (Abs. 1). In den Arbeitsräumen soll Tageslicht vorhanden sein sowie eine künstliche Beleuchtung, welche der Art und den Anforderungen der Arbeit angepasste Sehverhältnisse (Gleichmässigkeit, Blendung, Lichtfarbe, Farbspektrum) gewährleistet (Abs. 2).

Räume ohne natürliche Beleuchtung dürfen nur dann als Arbeitsräume benützt werden, wenn durch besondere bauliche oder organisatorische Massnahmen sichergestellt ist, dass den Anforderungen des Gesundheitsschutzes insgesamt Genüge getan ist (Abs. 3; sogenannte kompensatorische Massnahmen).

Ausserdem muss gemäss Art. 24 Abs. 5 ArGV 3 von ständigen Arbeitsplätzen aus die Sicht ins Freie vorhanden sein. In Räumen ohne Fassadenfenster sind ständige Arbeitsplätze nur zulässig, wenn durch besondere bauliche oder organisatorische Massnahmen sichergestellt ist, dass den Anforderungen des Gesundheitsschutzes insgesamt Genüge getan ist.

Die Behörden können auf schriftlichen Antrag des Arbeitgebers oder der Arbeitgeberin im Einzelfall Ausnahmen von den Vorschriften der Verordnung 3 zum Arbeitsgesetz bewilligen, wenn der Arbeitgeber oder die Arbeitgeberin eine andere, ebenso wirksame Massnahme trifft oder die Durchführung der Vorschrift zu einer unverhältnismässigen Härte führen würde und die Ausnahme mit dem Schutz der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen vereinbar ist (vgl. Art. 39 Abs. 1 lit. a und lit. b ArGV 3).

Nach Praxis der Verwaltungsbehörden gilt als ständiger Arbeitsplatz ein Arbeitsbereich, wenn er mehr als zweieinhalb Tage pro Woche durch einen Arbeitnehmer oder eine Arbeitnehmerin oder auch durch mehrere Personen nacheinander besetzt ist (vgl. SECO, Wegleitung zu den Verordnungen 3 und 4 zum Arbeitsgesetz, S. 324-11).

Während sich Art. 15 Abs. 3 ArGV 3 auf Arbeitsräume ohne natürliche Beleuchtung bezieht, regelt Art. 24 Abs. 5 ArGV 3 Konstellationen, in denen vom Arbeitsplatz keine Sicht ins Freie gewährleistet ist (vgl. E. 4 hiervor). Die Beschwerdeführerin ersucht mit dem Antrag vom 4. Oktober 2018 um eine Ausnahmebewilligung nach Art. 39 Abs. 1 ArGV 3 für einen ständigen Arbeits  platz ohne Sicht ins Freie im Sinne von Art. 24 Abs. 5 ArGV 3. In tatsächlicher Hinsicht ist indes erstellt, dass die Küche im Untergeschoss kein Fenster hat und eine natürliche Beleuchtung (Tageslicht) gänzlich fehlt.

 

Entscheid des Bundesgerichts

Das Bundesgericht führte aus, dass vorliegend ein ein Arbeitsraum ohne Tageslichtanteil – mithin ein Raum ohne natürliche Beleuchtung im Sinne von Art. 15 Abs. 3 ArGV 3 – zu beurteilen sei.

Die Vorinstanz habe daher zu Recht geprüft, ob die Voraussetzungen für einen Arbeitsraum ohne Tageslichtanteil – mithin ohne natürliche Beleuchtung (Tageslicht) im Sinne von Art. 15 Abs. 3 ArGV 3 – erfüllt seien. Sie sei zum Schluss gelangt, dass die Voraussetzungen für einen Arbeitsraum ohne Tageslichtanteil im Sinne von Art. 15 Abs. 3 ArGV 3 nicht gegeben seien. Sie habe deshalb die Anordnung eines Kontaktfensters bestätigt. Damit werde die Küche im Untergeschoss nach dessen Einbau zu einem Arbeitsraum mit Tageslicht.

Da es sich beim Fenster um eine Massnahme zur Schaffung von Tageslicht handle, habe die Vorinstanz die von vom Arbeitgeber aufgeworfene Frage, ob von einem Fenster mit Sicht ins Freie abgesehen werden könne, nicht beantworten müssen.

Ob indes eine Ausnahmebewilligung für einen Arbeitsraum ohne Tageslichtanteil zu erteilen sei, beurteilt sich letztlich an der Verhältnismässigkeit des angeordneten und vorinstanzlich bestätigten Einbaus eines Kontaktfensters.

 

Verhältnismässigkeit staatlichen Handelns

Gemäss Art. 5 Abs. 2 der Bundesverfassung muss staatliches Handeln verhältnismässig sein. Art. 15 Abs. 3 ArGV 3 verlangt, dass Arbeitsräume ohne Tageslichtanteil nur dann benützt werden dürfen, wenn durch sogenannten kompensatorische (bauliche oder organisatorische) Massnahmen sichergestellt ist, dass den Anforderungen des Gesundheitsschutzes insgesamt Genüge getan ist. In der vorliegenden Angelegenheit verlangt der Grundsatz der Verhältnismässigkeit eine Prüfung der Frage, ob die zum Gesundheitsschutz geeigneten kompensatorischen Massnahmen milder sind, als die bauliche Zuführung von Tageslicht – beispielsweise durch den Einbau eines Kontaktfensters. Kann durch geeignete bauliche und organisatorische kompensatorische Massnahmen im Sinne von Art. 15 Abs. 3 ArGV 3 der Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen sichergestellt werden, ist ein Arbeitsraum ohne Tageslichtanteil unter Auflage der erforderlichen kompensatorischen Massnahmen zu bewilligen. Insofern ist der Verhältnismässigkeitsgrundsatz die absolute Schranke einer angeordneten Massnahme zur Schaffung von Tageslicht.

Gemäss der Wegleitung des SECO sind gemäss den Ausführungen des Bundesgerichts bei Arbeitsräumen ohne Tageslicht – analog wie bei Arbeitsplätzen ohne Sicht ins Freie – besondere Massnahmen zu treffen, damit insgesamt die Anforderungen des Gesundheitsschutzes erfüllt und die baulichen Mängel in den Gebäuden des Arbeitgebers oder der Arbeitgeberin kompensiert werden. Als  bauliche Massnahmen werden der Einbau einer tageslichtähnlichen künstlichen Beleuchtung am Arbeitsplatz, die Verwendung von hellen Farben an den Decken und Wänden oder die Benützung von Ess- und Aufenthaltsräumen mit Tageslicht aufgeführt (vgl. Wegleitung ArGV 3 und 4, S. 315-8 f. und S. 324-13; vgl. auch Art. 13 und Art. 33 ArGV 3). Als  organisatorische Massnahmen fallen die Arbeitsplatzrotation zu Plätzen mit hohem Tageslichtanteil, die Möglichkeit zum Aufsuchen eines Kontaktfensters oder kurze Gänge ins Freie in Betracht (vgl. Wegleitung ArGV 3 und 4, S. 315-9 und S. 324-13 f.; zu Pausen als organisatorische Massnahme vgl. auch Urteil 2C_242/2016 vom 13. Juni 2017 E. 3).

Das Bundesgericht kam zum Schluss, dass die kantonale Vorinstanz keine genügende Verhätnismässigkeitsprüfung vorgenommen habe. Daher wies sie den Fall an die Vorinstanz zurück:

6.3. Diese organisatorischen Massnahmen hat die Vorinstanz im Rahmen einer Verhältnismässigkeitsprüfung den nachfolgenden Überlegungen gegenüberzustellen.  

6.3.1. Die Vorinstanz hat zu berücksichtigen, dass der Einbau eines Kontaktfensters zwar  geeignet ist, der Küche als Arbeitsraum im Untergeschoss einen gewissen Tageslichtanteil zuzuführen, eine genauere Betrachtung der Geeignetheit der angeordneten Massnahme jedoch Fragen aufwerfen kann: Das Fenster kann aus technischen Gründen nicht am Arbeitsplatz des angestellten Küchenchefs eingebaut werden, weshalb der Einbau eines Kontaktfensters hat angeordnet werden müssen. Sodann bedarf es eines davorliegenden Lichthofs mit einer Terrain-Anböschung von maximal 45 Grad. Es ist sachverhaltlich nicht erstellt, welche Tiefe der Lichthof beim bestmöglichen Böschungwinkel aufweisen wird. Unabhängig davon dürfte der durch diese Massnahme zugeführte Tageslichtanteil weiter verringert werden, zumal an der Oberfläche gewährleistet werden muss, dass sich kein Schmutz oder Schnee im Lichthof ansammelt (z.B. durch ein Gitter oder Netz).  

Ferner wird zu beachten sein, dass das Restaurant – wie die Beschwerdeführerin sowohl im vorinstanzlichen als auch im bundesgerichtlichen Verfahren vorbringt – lediglich in den Abendstunden ab 17 Uhr öffnet. Insbesondere in den Wintermonaten dürfte aufgrund der kurzen Tage und des tiefen Sonnenstands in den Hauptarbeitszeiten auch mit einem Kontaktfenster kein Tageslicht in die Küche fallen. 

6.3.2. Einer detaillierteren Betrachtung durch die Vorinstanz bedarf auch die Frage, ob es sich beim Einbau eines Kontaktfensters um eine erforderliche Massnahme handelt. Zunächst hat die Beschwerdeführerin bereits  bauliche Massnahmen ergriffen. Sie bringt vor, sie habe in der Küche helle Farben verwendet. Sodann könnten  organisatorische Massnahmen ergriffen werden, um den baulichen Defiziten entgegen zu wirken. In diesem Zusammenhang wird zu beachten sein, dass sich der Ess- und Aufenthaltsraum im darüberliegenden Erdgeschoss befindet und der angestellte Küchenchef nach einer Gehdistanz von ungefähr zehn Metern in dieser Räumlichkeit ein Kontaktfenster mit einer Fläche von mindestens 80 m2 aufsuchen kann. Zudem hat die Vorinstanz zu berücksichtigen, dass der angestellte Küchenchef diesen Arbeitsbereich des Restaurants – wie die Beschwerdeführerin wiederholt vorbringt – ohnehin regelmässig aufsuchen müsse.  

6.4. Zusammenfassend ergibt sich, dass die Vorinstanz keine rechtsgenügliche Verhältnismässigkeitsprüfung vorgenommen und die hierfür erforderlichen tatsächlichen Verhältnisse zum Arbeitsablauf des Küchenchefs nicht festgestellt hat. Infolgedessen hat sie nicht beurteilen können, ob gleich oder besser geeignete sowie mildere Massnahmen zur Verfügung stünden als der Einbau eines Kontaktfensters.  

Im Rahmen einer Neubeurteilung hat die Vorinstanz zu prüfen, ob mit baulichen und organisatorischen Kompensationsmassnahmen oder einer Kombination von kompensatorischen Massnahmen den Anforderungen des Gesundheitsschutzes ausreichend Nachachtung verschafft werden kann. Im Falle der Anordnung von anderen baulichen und organisatorische Massnahmen zur Sicherstellung der Anforderungen des Gesundheitsschutzes dürfte eine entsprechende Ausnahmebewilligung (vgl. Art. 15 Abs. 3 i.V.m. Art. 39 Abs. 1 ArGV 3) nicht anderen öffentlich-rechtlichen Vorschriften (z.B. Notaustieg) entgegenstehen.

 

Neubeurteilung durch die Vorinstanz

Mitteilung von Rechtsanwalt Markus Spielmann: Im Neubeurteilungsverfahren hat das Verwaltungsgericht des Kantons Solothurn den Einbau eines Kontaktfensters in der Küche für unverhältnismässig beurteilt (VWBES.2020.242). Die Entscheide der Vorinstanzen (Amt für Wirtschaft und Arbeit sowie Volkswirtschaftsdepartement) sind aufgehoben und eine Ausnahmebewilligung wurde erteilt, wonach künstliches Licht und helle Wände eine genügende kompensatorische Massnahme darstellen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig (Datum 4. Juni 2021).

 

Weitere Beiträge zum Arbeitsgesetz:

 

Autor: Nicolas Facincani