Wenn möglich sind die Ferien während des Arbeitsverhältnisses „in natura“ und nicht als Geldabfindung zu gewähren, auch wenn das Arbeitsverhältnis gekündigt ist. Doch es kann sich aus Praktikabilitätsgründen eine Geldabfindung für die Ferien (Ferienentschädigung anstatt Ferienbezug) aufdrängen.

Das Bundesgericht fasste im Urteil 4A_561/2017 vom 19. März 2018 seine Rechtsprechung zusammen und erinnerte daran, dass «Ferienlohn inbegriffen» nur zulässig sei, wenn (i) unregelmässige Tätigkeit vorliege, (ii) Ferienlohn im Einzelarbeitsvertrag und (iii) in jeder Lohnabrechnung separat in CHF oder % bestimmt sei (siehe hierzu den Beitrag Ferienlohn inbegriffen).

Es stellt sich in diesem Zusammenhang zwangsläufig die Frage, was denn eine unregelmässige Tätigkeit im Sinne der bundesgerichtlichen Rechtsprechung bedeutet. Im Urteil 4A_619/2019 vom 15. April 2020 hat sich das Bundesgericht zu einem konkreten Fall geäussert. Dabei hat es entschieden, dass von unregelmässige Tätigkeit auch bei einer unregelmässiger Arbeit gesprochen werden kann, wenn eine Vollzeitarbeit im Stundenlohn ausgeübt wird.

Allerdings hat das Bundesgericht nun im Entscheid BGer 4A_357/2022 vom 30. Januar 2023 festgehalten, dass dass bei einer Vollzeitbeschäftigung bei derselben Arbeitgeberin eine ausnahmsweise Abgeltung des Ferienlohnanspruchs aufgrund monatlicher Schwankungen des geschuldeten Lohnes ausgeschlossen sei. Siehe hierzu den entsprechenden Beitrag.

 

Urteil 4A_619/2019 vom 15. April 2020

Der Arbeitnehmer arbeitete seit Oktober 2001 bei der Arbeitgeberin als Fahrer von Entsorgungsfahrzeugen für Siedlungsabfälle. Am 10. November 2017 kündigte die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis fristlos. In der Folge verlangte der Arbeitgeber die Ferienentschädigung.

Der Arbeitgeber ging einer eigentlichen Vollzeitarbeit im Stundenlohn nach. Die erste Instanz hatte 56 Lohnabrechnungen von März 2013 bis Oktober 2017 analysiert. Dabei hatte sie Abwesenheiten des Arbeitnehmers wegen Ferien, Krankheit oder Unfall berücksichtigt und ermittelt, dass die Differenz zum Vormonat in lediglich 21 Lohnabrechnungen weniger als 10 % betragen hatte, bei 25 Lohnabrechnungen mehr als 10 % und bei 10 Lohnabrechnungen mehr als 25 %. Daraus hatte die erste Instanz geschlossen, dass eine unregelmässige Beschäftigung vorlag.

Anders die obere kantonale Instanz (Urteil des Kantonsgerichts Freiburg, II. Zivilappellationshof, vom 6. November 2019 (102 2019 159)). Sie ging von der Prämisse aus, eine Vollzeitanstellung sei stets regelmässig und verpflichtete die Arbeitgeberin zur Bezahlung des zusätzlichen Ferienlohnes: «Werde wie im vorliegenden Fall eine Vollzeitarbeit im Stundenlohn ausgeübt, könne gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung nicht von unregelmässiger Arbeit gesprochen werden. Deshalb sei eine Abgeltung des Ferienlohns mit dem laufenden Lohn von vornherein unzulässig.».

Das Bundesgericht verwarf diese Auffassung. Gemäss Bundesgericht kann nicht einfach aus dem Fakt einer Vollbeschäftigung die Unregelmässigkeit der Tätigkeit verneint werden.

 

Ausführungen des Bundesgerichts

Das Bundesgericht machte zuerst allgemeine Ausführungen zur Ausbezahlung des Ferienlohnes und hielt die Grundsätze der Ferienentschädigung fest:

 

Grundsätze

  • Nach Art. 329d Abs. 1 OR hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer für die Ferien den gesamten darauf entfallenden Lohn zu entrichten. Nach einhelliger Lehre und Rechtsprechung bedeutet diese Bestimmung, dass der Arbeitnehmer während den Ferien lohnmässig nicht schlechter gestellt werden darf, als wenn er in dieser Zeit gearbeitet hätte (BGE 136 III 283 E. 2.3.5 S. 287; 129 III 493 E. 3.1 S. 495; 118 II 136 E. 3b S. 137).
  • Die Bestimmung ist relativ zwingend (Art. 362 Abs. 1 OR). Vereinbarungen, die den Arbeitnehmer schlechter stellen, sind nichtig (Art. 362 Abs. 2 OR). Die absolut zwingende Norm von Art. 329d Abs. 2 OR (Art. 361 OR) bestimmt zudem, dass die Ferien während der Dauer des Arbeitsverhältnisses nicht durch Geldleistungen oder andere Vergünstigungen abgegolten werden dürfen (vgl. BGE 136 III 94 E. 4.1; 129 III 493 E. 3.1 S. 495).  

 

Möglichkeiten der Entschädigung:

Da die Durchsetzung des Verbots der Abgeltung mit dem laufenden Lohn bei unregelmässigen Beschäftigungen Schwierigkeiten bereiten kann, hat das Bundesgericht die Abgeltung des Ferienlohns mit dem laufenden Lohn zunächst in Abweichung vom Gesetzestext bei unregelmässiger Beschäftigung ausnahmsweise zugelassen, dies aber an drei Voraussetzungen geknüpft:

  • Erstens muss es sich um eine unregelmässige Beschäftigung („une activité irrégulière“) handeln.
  • Zweitens muss der für die Ferien bestimmte Lohnanteil klar und ausdrücklich („clairement et expressément“) ausgeschieden sein, sofern ein schriftlicher Arbeitsvertrag vorliegt.
  • Drittens muss in den einzelnen schriftlichen Lohnabrechnungen der für die Ferien bestimmte Lohnanteil in diesem Sinne ausgewiesen werden. Der blosse Hinweis „Ferienlohn inbegriffen“ genügt damit nicht. Erforderlich ist, dass der Ferienlohn durch Angabe eines bestimmten Betrags oder eines Prozentsatzes als solcher erscheint und zwar sowohl im Arbeitsvertrag als auch auf den einzelnen Lohnabrechnungen (zum Ganzen: BGE 129 III 493 E. 3.2 f. S. 495 f., 664 E. 7.2 S. 672; vgl. auch Urteile 4A_72/2018 vom 6. August 2018 E. 4.4.1; 4A_561/2017 vom 19. März 2018 E. 3.1; je mit weiteren Hinweisen). 

 

Unregelmässige Tätigkeit auch bei Vollzeitanstellung?

Das Bundesgericht verwies zur Beantwortung der Frage, ob auch bei einer Vollzeitanstellung von einer unregelmässigen Tätigkeit gesprochen werden könne (sofern tatsächlich unregelmässig gearbeitet wird) auf das Urteil 4C.90/2003 vom 7. Juli 2003. Dieses fiel knapp zwei Wochen nach dem vielzitierten BGE 129 III 493 und betraf eine Arbeitnehmerin, die ausdrücklich zu 100 % als Nachtwächterin angestellt war, wobei theoretisch vier Nachtwachen pro Woche einem Vollzeitpensum entsprachen. Im Urteil Urteil 4C.90/2003 vom 7. Juli 2003 hatte das Bundesgericht darauf hingewiesen man dürfe die praktischen Schwierigkeiten bei der Berechnung des Ferienlohns nicht aus den Augen verlieren. Diese Schwierigkeiten bestünden nicht nur bei unregelmässigen Teilzeitbeschäftigungen, sondern auch bei der zu 100 % angestellten Arbeitnehmerin, die nicht regelmässig vier Nachtwachen übernehme, sondern gelegentlich fünf oder mehr. Die Einsätze seien alle vier Wochen geplant worden, weshalb die Arbeitgeberin den jeweiligen Monatslohn der Nachtwächterin nur schwer habe voraussehen können. Deshalb habe man von der Arbeitgeberin nicht erwarten dürfen, dass sie das ganze Jahr über den Ferienlohn berechnet oder eine komplizierte jährliche Abrechnung vornimmt (zit. Urteil 4C.90/2003 vom 7. Juli 2003). Das Bundesgericht hielt also bereits in Urteil 4C.90/2003 vom 7. Juli 2003 fest, eine unregelmässige Beschäftigung sei auch bei einer Vollzeitanstellung möglich.

Diese Rechtsprechung wurde auch durch das Urteil 4A_561/2017 vom 19. März 2018 ist nichts aufgehoben. Ohnehin war die Frage für jenen Entscheid nicht wesentlich, da die Abgeltung des Ferienanspruchs mit dem laufenden Lohn dort unzulässig war, weil der für die Ferien bestimmte Lohnanteil im schriftlichen Arbeitsvertrag nicht ausgeschieden war (zit. Urteil 4A_561/2017 vom 19. März 2018 E. 3.4).

Die Annahme, dass nicht von unregelmässiger Arbeit gesprochen werden, wenn eine Vollzeitarbeit im Stundenlohn ausgeübt werde, ist somit nicht korrekt (Urteil 4A_619/2019 vom 15. April 2020).

Allerdings hat das Bundesgericht nun im Entscheid BGer 4A_357/2022 vom 30. Januar 2023 festgehalten, dass dass bei einer Vollzeitbeschäftigung bei derselben Arbeitgeberin eine ausnahmsweise Abgeltung des Ferienlohnanspruchs aufgrund monatlicher Schwankungen des geschuldeten Lohnes ausgeschlossen sei. Siehe hierzu den entsprechenden Beitrag.

 

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Autor: Nicolas Facincani