Das Arbeitsrecht regelt verschieden Möglichkeiten der fristlosen Auflösung des Arbeitsverhältnisses.

  • Fristlose Auflösung aus wichtigen Gründen: Aus wichtigen Gründen kann der Arbeitgeber wie der Arbeitnehmer jederzeit das Arbeitsverhältnis fristlos auflösen; er muss die fristlose Vertragsauflösung schriftlich begründen, wenn die andere Partei dies verlangt. Als wichtiger Grund gilt namentlich jeder Umstand, bei dessen Vorhandensein dem Kündigenden nach Treu und Glauben die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr zugemutet werden darf.
  • Fristlose Auflösung wegen Lohngefährdung: Wird der Arbeitgeber zahlungsunfähig, so kann der Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis fristlos auflösen, sofern ihm für seine Forderungen aus dem Arbeitsverhältnis nicht innert angemessener Frist Sicherheit geleistet wird.

 

Definitives Verlassen der Arbeitsstelle

Art. 337d OR regelt demgegenüber den Fall, in welchem der Arbeitnehmer ohne wichtigen Grund die Arbeitsstelle nicht antritt an oder diese fristlos verlässt. Es handelt sich um das Gegenstück der berechtigten fristlosen Entlassung des Arbeitnehmers.

Art. 337d OR lautet wie folgt:

Tritt der Arbeitnehmer ohne wichtigen Grund die Arbeitsstelle nicht an oder verlässt er sie fristlos, so hat der Arbeitgeber Anspruch auf eine Entschädigung, die einem Viertel des Lohnes für einen Monat entspricht; ausserdem hat er Anspruch auf Ersatz weiteren Schadens.

Ist dem Arbeitgeber kein Schaden oder ein geringerer Schaden erwachsen, als der Entschädigung gemäss dem vorstehenden Absatz entspricht, so kann sie der Richter nach seinem Ermessen herabsetzen.

Erlischt der Anspruch auf Entschädigung nicht durch Verrechnung, so ist er durch Klage oder Betreibung innert 30 Tagen seit dem Nichtantritt oder Verlassen der Arbeitsstelle geltend zu machen; andernfalls ist der Anspruch verwirkt.

In jedem Fall braucht es einen endgültigen Entscheid des Arbeitnehmers, welcher durch vorbehaltslose Willenserklärung oder konkludentes Verhalten übermittelt wird.

 

BGer 4A_204/2020 vom 27. August 2020

Folgender Sachverhalt lag dem Entscheid BGer 4A_204/2020 vom 27. August 2020 zugrunde: Nach verschiedenen Vorfällen Mitte August 2015 waren sich die Parteien nicht einig, ob die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis fristlos gekündigt oder ob die Arbeitnehmerin den Arbeitsplatz ungerechtfertigterweise definitiv verlassen respektive ihrerseits das Arbeitsverhältnis fristlos gekündigt hatte.

Nachdem nämlich die Arbeitnehmerin die Stelle verlassen hatte, teilte ihr der Arbeitgeber in der Folge das Folgende mit:

Aufgrund Ihres Verhaltens am 14.08.15, vormerklich dem ungerechtfertigten Verlassen des Arbeitsplatzes und der voreingegangenen ordentlichen Kündigung Ihrerseits, akzeptieren wir die fristlose Kündigung Ihrerseits und sehen das Arbeitsverhältnis rückwirkend per 14.08.15 als aufgelöst.

Das Bundesgericht hatte hier die Möglichkeit sich zu Konstellationen zu äussern, in welche der Arbeitnehmer das Verlassen der Arbeitsstelle mit einer Krankheit begründet, der Arbeitgeber aber vom fristlosen Verlassen des Arbeitsplatzes ausgeht.

 

Das Bundesgericht zum Verlassen der Arbeitsstelle

Zuerst äusserte sich das Bundesgericht allgemein zur Kündigung:

Die Kündigung – ob ordentlich oder fristlos – beinhaltet die Ausübung eines Gestaltungsrechts, mit dem eine Partei einseitig ein Vertragsverhältnis auflöst. Sie setzt deshalb eine klare und unmissverständliche Willenserklärung voraus, die keine Zweifel am Kündigungswillen lässt. Die Umstände der Kündigung sind zu würdigen (BGE 135 III 441 E. 3.3 S. 444; 128 III 129 E. 2a S. 135; Urteile des Bundesgerichts 4A_257/2019 vom 6. November 2019 E. 2.2 mit Hinweisen). Auch wenn an die Gestaltungserklärung angesichts ihrer Tragweite für beide Parteien klare Anforderungen gestellt werden, bedeutet dies nicht, dass sie nicht ausgelegt werden darf und muss (zit. Urteil 4A_257/2019 E. 2.2; Urteil 4C.155/2005 vom 6. Juli 2005 E. 2.1; je mit Hinweisen).

 

Fristloses Verlassen der Stelle

Zudem äusserte sich das Bundegericht zum fristlosen Verlassen der Arbeitsstelle:

Fristloses Verlassen der Arbeitsstelle im Sinne von Art. 337d OR setzt voraus, dass der Arbeitnehmer die weitere Erbringung seiner Arbeitsleistung bewusst, absichtlich und endgültig verweigert (BGE 121 V 277 E. 3a S. 281; 112 II 41 E. 2 S. 49; Urteil des Bundesgerichts 8C_468/2019 vom 28. Februar 2020 E. 4.1). Liegt diesbezüglich keine eindeutige Erklärung des Arbeitnehmers vor, ist darauf abzustellen, ob der Arbeitgeber unter Berücksichtigung der gesamten Umstände nach dem Vertrauensgrundsatz (vgl. hierzu: BGE 132 III 268 E. 2.3.2 S. 274 f., 626 E. 3.1 S. 632) davon ausgehen durfte, der Arbeitnehmer habe die Arbeitsstelle definitiv verlassen (Urteile 4A_337/2013 vom 12. November 2013 E. 3; 4C.339/2006 vom 21. Dezember 2006 E. 2.1 mit Hinweis).

 

Verlassen der Stelle mit der Begründung einer Krankheit:

Wird das Verlassen der Arbeitsstelle mit einer Krankheit begründet und bestehen Zweifel daran, ob der Arbeitnehmer tatsächlich krank ist, kann der Arbeitgeber nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung nicht einfach die Kündigung aussprechen, sondern er hat den Arbeitnehmer zur Wiederaufnahme der Arbeit oder zur Einreichung eines Arztzeugnisses anzuhalten, es sei denn, aufgrund der gesamten Umstände erscheine dies von vornherein als sinnlos (zit. Urteil 4C.339/2006 E. 2.1; Urteil 4C.327/1994 vom 3. Januar 1995, E. 2b/bb). Muss der Arbeitgeber nach Treu und Glauben erkennen, dass die Abwesenheit des Arbeitnehmers mit behaupteten gesundheitlichen Problemen zusammenhängt, darf er, selbst wenn der Arbeitnehmer nicht sofort ein Arztzeugnis beibringt, daraus allein nicht auf ein Verlassen der Arbeitsstelle schliessen. Er muss vielmehr die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass der Arbeitnehmer es lediglich versäumt hat, seiner Pflicht zur Einreichung des Arztzeugnisses nachzukommen oder dazu nicht in der Lage war. Erst wenn diesbezüglich durch die Aufforderung zur Einreichung des Arztzeugnisses beziehungsweise zur Wiederaufnahme der Arbeit oder aufgrund weiterer zur blossen Abwesenheit hinzutretender Umstände Klarheit besteht, erscheint der Schluss auf ein Verlassen der Arbeitsstelle gerechtfertigt (zit. Urteile 4C.339/2006 E. 2.1; 4C.327/1994 E. 2b/bb).

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Autoren: Nicolas Facincani