Nach Art. 10 Abs. 1 des Arbeitsgesetzes gilt die Arbeit von 6 Uhr bis 20 Uhr als Tagesarbeit, die Arbeit von 20 bis 23 Uhr als Abendarbeit. Unter bestimmten Voraussetzungen können Beginn und Ende der betrieblichen Tages- und Abendarbeit zwischen 5 Uhr und 24 Uhr anders festgelegt werden. Auch in diesem Fall beträgt die betriebliche Tages- und Abendarbeit höchstens 17 Stunden (Art. 10 Abs. 2 des Arbeitsgesetzes). Nachtarbeit, d.h. die Arbeit ausserhalb der betrieblichen Arbeit nach Art. 10 des Arbeitsgesetzes, ist verboten (Art. 16 des Arbeitsgesetzes).

 

Art. 16 ArG lautet wie folgt:

Die Beschäftigung von Arbeitnehmern ausserhalb der betrieblichen Tages- und Abendarbeit nach Artikel 10 (Nachtarbeit) ist untersagt. Vorbehalten bleibt Artikel 17.

Zu den weiteren Ausnahmen siehe etwa den Artikel: das Verbot der Nachtarbeit und seiner Ausnahmen.

 

Ausnahmen für Tankstellenshops auf Autobahnen sowie an Hauptverkehrswegen

Eine der Ausnahmen des Nacharbeitsverbots ist in Art. 27 Abs. 1quater des Arbeitsgesetzes vorgesehen. Dieser lautet wie folgt:

Auf Autobahnraststätten und an Hauptverkehrswegen mit starkem Reiseverkehr dürfen in Tankstellenshops, deren Waren- und Dienstleistungsangebot in erster Linie auf die Bedürfnisse der Reisenden ausgerichtet ist, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sonntags und in der Nacht beschäftigt werden.

Nach Art. 27 Abs. 1quater des Arbeitsgesetzes dürfen demnach auf Autobahnraststätten und an Hauptverkehrswegen mit starkem Reiseverkehr in Tankstellenshops, deren Waren- und Dienstleistungsangebot in erster Linie auf die Bedürfnisse der Reisenden ausgerichtet ist, Arbeitnehmer sonntags und in der Nacht beschäftigt werden.

Art. 26 Abs. 2bis ArGV 2 nimmt diese Ausführungen auf und konkretisiert sie: Auf Tankstellenshops auf Autobahnraststätten und an Hauptverkehrswegen mit starkem Reiseverkehr, die ein Waren- und Dienstleistungsangebot führen, das in erster Linie auf die Bedürfnisse der Reisenden ausgerichtet ist, und die in ihnen beschäftigten Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen sind Art. 4 (Befreiung von der Bewilligungspflicht) für die ganze Nacht und den ganzen Sonntag sowie die Art. 8 Abs. 1 (Regelung zur Überzeit am Sonntag), Art. 12 Abs. 2 (Gewährung von freien Sonntagen) und Art. 14 Abs. 1 (wöchentlicher freier Halbtag) anwendbar.

 

Tankstellenshops vor einer Autobahneinfahrt

Einem Fall, welchen das Bundesgericht zu beurteilen hatte (2C_162/2020 vom 5. November 2020), lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Eine GmbH betrieb einen Coop Pronto Shop mit Tankstelle. Dieser Tankstellenshop befindet sich unmittelbar vor der Autobahneinfahrt. Wer also auf der Autobahn unterwegs ist, muss diese kurz verlassen, um zu tanken oder etwas zu kaufen. Das kantonale Amt für Arbeit stellte es fest, dass die zulässigen Arbeitszeiten mehrfach nicht eingehalten worden seien. Es wurde festgestellt, dass der Coop Tankstellenshop kein Shop im Sinne von Art. 27 Abs. 1quater des Arbeitsgesetzes und Art. 26 Abs. 2bis der Verordnung 2 vom 10. Mai 2000 zum Arbeitsgesetz (ArGV 2; SR 822.112) sei, weshalb sich der Coop Tankstellenshop an die in Art. 10 des Arbeitsgesetzes festgelegte betriebliche Tages- und Abendarbeit von 17 Stunden zu halten habe.

In der Folge stellte sich vor Bundesgericht (2C_162/2020 vom 5. November 2020) die Frage, ob ein Tankstellenshop an einer Autobahnzufahrt auch unter die Ausnahmebestimmung fällt.

 

Entscheid des Bundesgerichts BGer 2C_162/2020 vom 5. November 2020

Das Bundesgericht verneinte die Frage. Die Autobahnzufahrt stellt nach der Ansicht des Bundesgerichts keinen Hauptverkehrsweg im Sinne des Art. 27 Abs. 1quater des Arbeitsgesetzes dar, dies aus den nachfolgenden Gründen:

Art. 27 Abs. 1quater des Arbeitsgesetzes und Art. 26 Abs. 2bis ArGV 2 nennen  zwei Voraussetzungen, damit Tankstellenshops in den Genuss der Sonderbestimmung kommen: die Lage der Tankstellenshops einerseits, das Waren- und Dienstleistungsangebot andererseits (siehe auch Wegleitung zur Verordnung 2 zum Arbeitsgesetz, 2017, S. 226 – 1 f.). Strittig ist hier zunächst nur die Frage der Lage des Tankstellenshops. Nach dem  Wortlaut machen die genannten Bestimmungen folgende Unterscheidungen: Tankstellenshops dürfen betrieben werden einerseits  auf Autobahnraststätten („sont situés sur les aires des autoroutes“; „situati nelle aree di servizio autostradali“) und andererseits  an Hauptverkehrswegen mit starkem Reiseverkehr („le long d’axes de circulation importants fortement fréquentés par les voyageurs“; „lungo le strade principali con traffico intenso di viaggiatori“). Während der Gesetzgeber von “  an Hauptverkehrswegen“ spricht, trifft dies bei Autobahnen gerade nicht zu. Er führt aus, dass bei Autobahnen nur  auf Autobahnraststätten Tankstellenshops betrieben werden können. Bei Autobahnen nennt er genau den Ort, was angesichts der Linienführung und der vorgesehenen Standorte für die Nebenanlagen ohne Weiteres möglich ist. Autobahnraststätten werden in Art. 6 der Nationalstrassenverordnung vom 7. November 2007 (NSV; SR 725.111) näher definiert (siehe auch Bericht Tankstellenshops, a.a.O., BBl 2011 8989).  

Eine genaue Lagebezeichnung der Tankstellenshops war demgegenüber bei Strassen ausserhalb von Autobahnen nicht möglich, weshalb der Gesetzgeber auch nur von „an Hauptverkehrswegen mit starkem Reiseverkehr“ schrieb. Bereits aus dem Wortlaut wird somit ersichtlich, dass Autobahnen als  geschlossenes System betrachtet werden: Tankstellenshops sollen nur an genau vorgesehenen Standorten auf Autobahnen betrieben werden; Tankstellenshops  an Autobahnen sind danach nicht möglich.  

Art. 27 Abs. 1quater ArG und Art. 26 Abs. 2bis ArGV 2 bezwecke n – wie ihre Vorgängerin (aArt. 26 Abs. 4 ArGV 2) -, den auf Autobahnen oder Hauptverkehrswegen verkehrenden Reisenden zu ermöglichen,  leicht und schnell die Waren und Dienstleistungen zu erlangen, die sie unterwegs nötig haben können (vgl. BGE 134 II 265 E. 5.2 S. 268; siehe auch Stellungnahme, a.a.O., BBl 2012 437). Die Reisenden sollen deshalb  weder die Autobahn  noch die Hauptverkehrswege mit starkem Reiseverkehr dafür  verlassen müssen, weshalb Tankstellenshops sich „directement en bordure des axes en cause“ befinden müssen (BGE 134 II 265 E. 5.2 S. 268), um für die Reisenden leicht und schnell zugänglich zu sein. Der Gesetzgeber fokussiert auf die Hauptverkehrsadern („les voies principales de circulation“ [BGE 134 II 265 E. 5.3 S. 269]), denn dort wickelt sich der Hauptreiseverkehr ab, der grössere Distanzen zurücklegt (BGE 134 II 265 E. 5.3 S. 269), und nur dort sollen zugunsten der Reisenden deshalb Tankstellenshops einer Sonderregelung unterliegen, welche zudem restriktiv auszulegen ist (BGE 134 II 265 E. 5.5 S. 270 i.V.m. Stellungnahme, a.a.O., BBl 2012 437). Ein  Verlassenmüssen und -wollen der Autobahn, um sich abseits der Autobahn mit Waren- und Dienstleistungen für Reisende einzudecken, läuft deshalb dem Zweck der genannten Vorschriften zuwider.  

Die vom Bundesgericht in den beiden Urteilen erwähnte Möglichkeit, dass ein Tankstellenshop nicht direkt an einem Hauptverkehrsweg gelegen sein muss, damit er allenfalls die Voraussetzungen von Art. 27 Abs. 1quater ArG und Art. 26 Abs. 2bis ArGV 2 erfüllt, ändert daran nichts: Sie bezieht sich nicht auf Autobahnen, sondern nur auf den Bereich des Hauptverkehrswegs,  mithin auf den Bereich ausserhalb von Autobahnen, und ist lediglich dem Umstand geschuldet, dass Hauptverkehrsadern  ausserhalb von Autobahnen nicht von Anfang an als solche bezeichnet werden können, sondern zuerst vom Kanton bezeichnet werden müssen (vgl. Bericht Tankstellenshops, BBl 2011 8985), weshalb es zutreffen kann, dass ein Tankstellenshop nicht  unmittelbar an einem Hauptverkehrsweg mit starken Reiseverkehr liegt. Allerdings kann dies nicht so verstanden werden, dass ein solcher Tankstellenshop überhaupt keinen räumlichen Bezug mehr zum Hauptverkehrsweg aufweisen muss, war doch auch beim Sachverhalt des Urteils 2A.211/2006 vom 16. Januar 2007 der Tankstellenshop einsehbar und grenzte die Liegenschaft an den Hauptverkehrsweg.  

Auch das historische Auslegungselement vermag die Argumentation der Beschwerdeführerin nicht zu unterstützen: Wie bereits ausgeführt folgte die Mehrheit in der parlamentarischen Auseinandersetzung zur erwähnten parlamentarischen Initiative nicht dem Vorschlag der Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Nationalrats, sondern dem bundesrätlichen Vorschlag, der der damals geltenden Regelung entsprach. Der Vorschlag der Kommission sprach von „Hauptverkehrsstrassen“, weshalb eine grössere Anzahl von Tankstellenshops in den Genuss der Sonderbestimmung gekommen wäre. Das Parlament hat ihn indessen – wie erwähnt – abgelehnt. Würde nun der Auslegung der Beschwerdeführerin gefolgt, so würde durch die Hintertür eine Ausweitung des Angebots für Tankstellenshops  ausserhalb von Autobahnen eingeführt, was der Gesetzgeber mit der Übernahme des bundesrätlichen Vorschlags gerade abgelehnt hat. Insofern spricht auch das  historische Element dafür, dass bei Autobahnen Tankstellenshops nur auf Autobahnraststätten zulässig sind.  

Zusammenfassend ergibt sich nun: Autobahnen bilden einen abgeschlossenen Bereich. Zur Befriedigung der Bedürfnisse der Reisenden, welche auf der Autobahn reisen, sollen nur auf Autobahnraststätten entsprechende Tankstellenshops betrieben werden. Dies zeigen das semantische, teleologische und historische Auslegungselement. Eine analoge Anwendung der bundesgerichtlichen, die Hauptverkehrswege mit starkem Reiseverkehr betreffende Rechtsprechung auf Autobahnen ergibt sich daraus nicht. Vielmehr würde mit einer Übernahme dieser Rechtsprechung auf Autobahnen die Regelung an Hauptverkehrswegen unterlaufen: Ausserhalb der Autobahnen würden dann nicht nur Tankstellenshops an Hauptverkehrswegen mit starken Reiseverkehr (bei entsprechendem Waren- und Dienstleistungsangebot), sondern auch andere Tankstellenshops von einer Sonderregelung profitieren. Der Gesetzgeber hat aber klar festgehalten, dass ausserhalb von Autobahnen nur Tankstellenshops  an Hauptverkehrswegen mit starkem Reiseverkehr von der Sonderregelung profitieren können.  

 

Kein Verbot der Sonntagsarbeit für Kioske

Im Rahmen des Verfahrens war stets unbestritten, dass der Tankstellenshop einen Kiosk darstellt. Für Kioske im Sinne von Art. 26 Abs. 2 ArGV2 kommt das Verbot der Sonntagsarbeit nicht zur Anwendung.

 

Weitere Beiträge zum Arbeitsgesetz:

 

Autor: Nicolas Facincani