Im Schweizer Arbeitsrecht gilt das Prinzip der Kündigungsfreiheit. Ein unbefristetes Arbeitsverhältnis kann jederzeit und grundlos gekündigt werden. Dabei bestehen folgende Einschränkungen:

 

Gegenkündigungen

Es stellt sich aber in der Praxis oft die Frage, ob einer gekündigten Person im Nachgang an eine empfangene Kündigung ebenfalls eine Kündigung aussprechen kann. Man stelle sich hier etwa den folgenden Fall vor: Der Arbeitsvertrag sieht eine Kündigungsfrist von 2 Monaten vor. Am 20. Januar kündigt der Arbeitgeber auf den 30. Juni. Der kann der Arbeitnehmer im Nachgang an die erhaltene Kündigung ebenfalls eine Kündigung aussprechen (Gegenkündigung) und auf welchen Zeitpunkt?

 

Das Bundesgericht zur Gegenkündigungen

Das Bundesgericht hatte sich in BGer 4A_663/2010 vom 28. Februar 2011 mit der Möglichkeit von Gegenkündigungen auseinanderzusetzen.

In diesem Fall hat das Bundesgericht die Zulässigkeit von Gegenkündigungen ohne Weiteres anerkannt für den Fall, wenn eine Partei eine Kündigung mit einer längeren Kündigungsfrist als vertraglich vereinbart ausspricht und die Gegenseite (der Gekündigte) danach mit der vertraglichen Kündigungsfrist eine zweite Kündigung ausspricht, und zwar auf einen früheren Termin.

Comme l’admet le recourant lui-même, la partie peut donner son congé pour une échéance plus lointaine que celle prévue légalement ou contractuellement, mais dans un tel cas l’autre partie conserve la faculté de signifier le congé pour l’échéance légale ou contractuelle plus rapprochée (FAVRE/MUNOZ/TOBLER, Le contrat de travail, Code annoté, 2e éd. 2010, n° 1.3 ad art. 335c CO; STREIFF/VON KAENEL, Arbeitsvertrag, Praxiskommentar, 6e éd. 2006, n° 2 ad art. 335 CO).

Im einleitenden Beispiel hätte der Arbeitnehmer somit die Möglichkeit auch noch eine (Gegen-)Kündigung auszusprechen, sofern diese auf einen Termin vor dem 30. Juni ausgesprochen wird (d.h. per Ende Mai oder früher, stets unter Einhaltung der Kündigungsfrist).

Spricht die erste Partei die Kündigung aber unter Einhaltung der Kündigungsfrist aus, so bleibt für eine Gegenkündigung kein Raum.

 

Missbräuchliche Gegenkündigungen

Kündigt ein Arbeitnehmer mit einer überlangen Kündigungsfrist, und kündigt der Arbeitgeber nach Erhalt der Kündigung des Arbeitnehmers postwendend unter Einhaltung der vertraglichen Kündigungsfrist, kann sich die Kündigung durch den Arbeitgeber als missbräuchlich erweisen.

Das Arbeitsgericht Zürich erachtete in einem konkreten Fall die Gegenkündigung durch den Arbeitgeber als missbräuchlich (Entscheide des Arbeitsgerichts 1999/2000 Nr. 20). Dieser Entscheid wurde aber vom Obergericht aufgehoben. Arbeitsgericht wie auch Obergericht waren aber klar der Ansicht, dass eine Gegenkündigung auf einen früheren Zeitpunkt gültig sind.

 

Das Obergericht führte hierzu das Folgende aus:

„Die Vorinstanz erwog, dass nach Art. 335 Abs. 1 OR grundsätzlich beide Vertragsparteien das Recht hätten, ein unbefristetes Arbeitsverhältnis einseitig aufzulösen. Das Kündigungsrecht durch eine Partei beeinflusse das Kündigungsrecht der anderen Partei nicht. Wer einen Arbeitsvertrag mit einer längeren Kündigungsfrist kündige als der vertraglich vereinbarten, könne damit eine Gegenkündigung auf einen früheren Zeitpunkt nicht verhindern (Rehbinder, Schweizerisches Arbeitsrecht, 12. Aufl., Bern 1995, S. 119).

Allerdings könne die Gegenkündigung  missbräuchlich sein. Die Kündigung des Klägers enthalte als Begründung Kritik an seinen Vorgesetzten. Der Kläger habe den Eindruck gehabt, er werde nicht ernst genommen; seine Leistungen würden zu schlecht beurteilt und seine Vorgesetzten würden sich auch in persönlicher Hinsicht nicht korrekt verhalten.

Wer seiner Arbeitgeberin gegenüber ein Problem formuliere, habe Anspruch darauf, angehört zu werden. Es sei unter dem Aspekt von Art. 336 Abs. 1 lit. d OR unzulässig, Kritik eines Mitarbeiters direkt mit Kündigung zu beantworten. Die Beklagte habe selbst eingeräumt, dass der Anlass zu ihrer Kündigung die vom Kläger in seiner Kündigung angeführten Gründe gewesen seien. Es sei nicht die Kündigung des Klägers, welche eine Kündigung durch die Beklagte ausschliesse, sondern seine Kritik, welche nicht mit Kündigung beantwortet werden dürfe. Diesen Ausführungen der Vorinstanz mag allenfalls zuzustimmen sein, sofern ein Arbeitnehmer in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis Kritik an seinen Vorgesetzten übt und nur deshalb entlassen wird. Ein solcher Sachverhalt könnte als Rachekündigung bezeichnet und unter Art. 336 Abs. 1 lit. d OR subsumiert werden. Gemäss dieser Gesetzesbestimmung wird eine Kündigung nämlich dann als missbräuchlich qualifiziert, wenn sie als Reaktion auf die Geltendmachung von Ansprüchen aus Gesetz oder Vertrag seitens der anderen Vertragspartei erfolgt. So beispielsweise, wenn der Arbeitnehmer die Bezahlung von Überstundenzuschlägen, Bezug von noch zustehenden Ferien, Auszahlung des 13. Monatslohnes für das vergangene Jahr usw. verlangt (Staehelin/Vischer, a.a.O., N 24 zu Art. 336 OR). Der Arbeitnehmer, der sich für sein Recht wehrt, soll vor der Kündigung geschützt werden (Streiff/von Kaenel, a.a.O., N 8 zu Art. 336 OR).

Diesen besonderen Schutz kann der Kläger bei der vorliegenden Konstellation jedoch für sich nicht in Anspruch nehmen, da er es war, der das Arbeitsverhältnis freiwillig kündigte. Der Kläger hat sich in seinem Kündigungsschreiben denn auch nicht im genannten Sinne für seine Recht gewehrt, sondern er hat dem Arbeitgeber lediglich seine Kündigungsgründe bekanntgegeben und seinen Unmut über das nach seiner Auffassung unbefriedigende Arbeitsverhältnis geäussert. Der vorliegende Sachverhalt kann somit nicht unter Art. 336 Abs. 1 lit. d OR subsumiert werden. Die Kündigung der Beklagten ist aber auch aus anderen Gründen nicht als missbräuchlich zu qualifizieren.

Hat ein Arbeitnehmer freiwillig und von sich aus unter Einhaltung einer längeren als der vertraglich vorgesehenen Kündigungsfrist gekündigt, so ist die umgehend erfolgte Gegenkündigung des Arbeitgebers unter Einhaltung der vertraglich vorgesehenen Frist auf den nächstmöglichen Kündigungstermin nicht missbräuchlich. Es ist Ausdruck der Kündigungsfreiheit, dass der Arbeitgeber wie der Arbeitnehmer ein von der Gegenpartei bereits gekündigtes Arbeitsverhältnis unter Einhaltung der massgebenden (vertraglichen oder gesetzlichen) Frist auf ein früheres Datum kündigen darf (Brühwiler, a.a.O., N 5 zu Art. 336; JAR 1993 S. 181 ff.). Dabei dürften die Motive der Kündigung durch den Arbeitgeber soweit sie sachlicher Natur sind in der Regel keine Rolle spielen, ansonsten es der Arbeitnehmer in der Hand hätte, gesetzlich oder vertraglich vorgesehene Kündigungsfristen eigenmächtig zu verlängern bzw. zu verändern.

Das Obergericht kam zum Schluss, dass die Beklagte solche Gründe gehabt hatte, da sie mit den Leistungen des Klägers nicht zufrieden war, und wies die Klage ab.

 

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Autor: Nicolas Facincani