In der Praxis kann es strittig sein, ob zwischen den Parteien eines Vertrages ein Arbeitsvertrag besteht oder nicht. Die Qualifikation eines Vertrages ist unabhängig davon zu entscheiden, wie die Parteien das Verhältnis bezeichnen oder dieses beenden (siehe hierzu etwa die Beiträge Der CEO ohne Arbeitsvertrag,  Angestellt oder nicht? oder Unterrichtsvertrag oder Arbeitsvertragoder auch die Diskussion im Zusammenhang mit Uber). Die rechtliche Qualifikation eines Vertrages ist eine Rechtsfrage (BGE 131 III 217, Erwägung 3, S. 219). Das Gericht bestimmt die Art der Vereinbarung frei auf der Grundlage der objektiven Vertragsgestaltung, ohne an die gleiche einheitliche Qualifikation der Parteien gebunden zu sein (BGE 129 III 664 Erwägung 3.1, S. 667; BGE 84 II 493, Erwägung 2, S. 496).

Spricht eine Partei eine „Kündigung des Arbeitsverhältnisses“ aus, bedeutet dies nachher nicht, dass die Abwicklung nach Bestimmungen des Arbeitsvertragsrechts zu erfolgen hat. Dazu das Bundesgericht:

Nicht entscheidend ist schliesslich die von den Parteien gewählte Bezeichnung des Vertrages (BGE 129 III 664 E. 3.2 S. 668; Urteile 4A_500/2018 vom 11. April 2019 E. 4.1; 4A_592/2016 vom 16. März 2017 E. 2.1; 4A_200/2015 vom 3. September 2015 E. 4.2.2), denn die rechtliche Qualifikation eines Rechtsgeschäfts ist dem Parteiwillen entzogen (dazu oben Erwägung 5). Immerhin kann die Bezeichnung der Vereinbarung als Arbeitsvertrag oder die Qualifikation der Parteien als Arbeitgeber und Arbeitnehmer unter Umständen ein Indiz dafür sein, dass die gewählte Bezeichnung mit allen ihren Konsequenzen dem Willen der Parteien entspricht (Adrian Staehelin, Zürcher Kommentar, 4. Aufl. 2006, N. 30 zu Art. 319 OR).

 

Elemente des Arbeitsvertrages

Durch den Abschluss eines Einzelarbeitsvertrags verpflichtet sich der Arbeitnehmer zur Leistung von Arbeit im Dienste des Arbeitgebers auf bestimmte oder unbestimmte Zeit und der Arbeitgeber zur Entrichtung von Lohn (vgl. Art. 319 Abs. 1 OR). Die vorgenannte Begriffsdefinition umfasst vier Begriffselemente, die gegeben sein müssen, damit von einem Arbeitsvertrag gesprochen werden kann – die Begriffsmerkmale sind von der Klägerin zu substantiieren und zu beweisen:

  • Leistung von Arbeit
  • Entrichtung des Lohns
  • Eingliederung in fremde Arbeitsorganisation
  • Arbeitsleistung auf Zeit

Ein entscheidendes Merkmal ist die Eingliederung des Arbeitnehmers in die Arbeitsorganisation des Arbeitgebers (BGE 125 III 78, E. 4; 4C.226/2003 vom 25.2.2004 = JAR 2005 S. 150; BGE 4C.39/2005 vom 20.12.2004 = JAR 2006 S. 265). Die Subordination des Arbeitnehmers ist rechtlicher Natur und begründet das für den Arbeitsvertrag typische Abhängigkeitsverhältnis in persönlicher, betrieblicher und wirtschaftlicher Hinsicht, welches seinerseits durch ein umfassendes Weisungsrecht des Arbeitgebers gegenüber dem Arbeitnehmer in diesen Bereichen geprägt ist (Staehelin, ZK OR, Art. 319 Rz 26). Hierbei ist die praktische Gestaltung des Arbeitsablaufes ausschlaggebend. Formale Kriterien wie der Titel des Vertrages, die Erklärungen der Parteien oder Sozialversicherungsabzüge sind nicht entscheidend. Vielmehr ist es notwendig, wesentliche Kriterien zu berücksichtigen, die sich auf die Art und Weise beziehen, wie der Grad der Freiheit bei der Organisation von Arbeit und Zeit, das Bestehen oder Nichtbestehen einer Berichtspflicht über die Tätigkeit und/oder die Befolgung von Anweisungen oder die Identifizierung der Partei, die das wirtschaftliche Risiko trägt (BGer 2C_714/2010 vom 14.12.2010, E. 3.4.2). Grundsätzlich zeigen Weisungen, die sich nicht auf einfache allgemeine Weisungen zur Durchführung der Aufgabe beschränken, sondern den Zweck und die Organisation der Arbeit beeinflussen und ein Kontrollrecht des Berechtigten begründen, das Bestehen eines Arbeitsvertrags und nicht eines Auftrags (Mandats) (vgl. BGer 4C.216/1994 vom 21.03.1995, E. 1a; Philippe Carruzzo, Le contrat individuel de travail, 2009, Nr. 4 ad Art. 319 CO S. 3 s.).

Nachfolgend soll anhand von Bundesgerichtsentscheiden die Problematik aufgezeigt werden.

 

Grossaktionär als Arbeitnehmer?

Im erst kürzlich ergangenen Entscheid (BGer 4A_500/2018 vom 11.04.2019) hielt das Bundesgericht fest, dass in Bezug auf das Rechtsverhältnis zwischen einer juristischen Person und ihren Organen, insbesondere zwischen einer Aktiengesellschaft und Mitgliedern des Verwaltungsrats oder der Geschäftsleitung, es sowohl in den Anwendungsbereich des Gesellschaftsrechts als auch des Vertragsrechts fallen könne. In jedem Fall sei das entscheidende Kriterium für den Arbeitsvertrag das Unterordnungsverhältnis, wobei die betreffende Person Anweisungen z.B. des Verwaltungsrates unterliegt. Per Definition bestehe kein Unterordnungsverhältnis, wenn es eine wirtschaftliche Identität zwischen der juristischen Person und ihrem Leitungsorgan gebe. Im zu beurteilenden Fall war der Kläger und CEO auch Verwaltungsrat und 50%iger Aktionär der Gesellschaft, so dass er an den Entscheidungen über seine Ernennung zum CEO und die Festlegung seiner Vergütung beteiligt war. Es stand ihm frei, seine Arbeitszeit zu gestalten; er legte seine Arbeitszeit selbst fest, ohne eine vorgegebene Stundenzahl arbeiten zu müssen, und plante seine Ferienzeiten oder Geschäftsreisen frei. Er war zudem nicht verpflichtet, seine Tätigkeit an einem bestimmten Ort auszuüben. Sodann hatte der Mitaktionär (und Investor) kein Weisungsrecht ausgeübt. Das Bundesgericht kam zum Schluss, dass kein Arbeitsvertrag vorliegen würde (siehe hierzu den Beitrag Der CEO ohne Arbeitsvertrag).

Ebenso verneinte das Bundesgericht im Entscheid BGer 4A_10/2017 vom 19.07.2017 ein Arbeitsverhältnis. Dem Entscheid lag folgender Sachverhalt zugrunde: Baugeschäft B. SA mit Sitz im Kanton GE wurde durch L. und A. gegründet. L. hielt 51% der Aktien, und war Präsident des Verwaltungsrates mit Einzelunterschrift, A. hielt 49% der Aktien, und war Verwaltungsratsmitglied mit Einzelunterschrift. A. erhielt einen Lohn und Sozialversicherungsbeiträge wurden jeweils abgezogen. Am 4. Juli 2014 informierte die B. SA den A., dass dessen Aktivität als Arbeitnehmer per 31. August 2014 enden würde. Auch hier stand der Minderheitsaktionär nicht unter Weisungsgewalt des Mehrheitsaktionärs, d.h. er war bei Gestaltung seiner Tätigkeit frei, weshalb kein Arbeitsvertrag bestand (siehe hierzu auch den Beitrag Angestellt oder nicht?).

Nur aufgrund der Tatsache, dass in den vorgenannten Fällen die Aktionäre 49% oder 50% hielten, darf nicht daraus geschlossen werden, dass 30%-Aktionäre, welche im eigenen Betrieb tätig sind, automatisch Arbeitnehmer sind – ein Fehler, der oft gemacht wird. Stets sind die konkreten Umstände im Einzelfall zu prüfen, insb. ob tatsächlich die Subordination gegeben ist.

 

Delegierte Psychotherapie

Der Arbeitgeber war Facharzt für Psychiatrie/Psychotherapie sowie Allgemeinmedizin mit eigenen Praxisräumlichkeiten. Die Arbeitnehmerin war vom 1. Januar 2011 bis zum 31. Oktober 2016 beim Arbeitgeber als delegierte Psychotherapeutin tätig. Zu diesem Zweck schlossen die Parteien am 3. November 2010 eine als „Arbeitsvertrag“ bezeichnete Vereinbarung ab. Gleichentags unterzeichneten sie das Dokument „Regelungen und Gedanken für die Zusammenarbeit in delegierter Psychotherapie in der Psychiatrisch/Psychotherapeutischen Praxisgemeinschaft „. Mit Schreiben vom 22. Juli 2016 kündigte der Beklagte den Vertrag mit der Klägerin unter Einhaltung der dreimonatigen Kündigungsfrist per 31. Oktober 2016. Strittig war in der Folge, ob ein Arbeitsvertrag vorlag oder nicht, was vom Bundesgericht in BGer 4A_64/2020 vom 6. August 2020 im Resultat verneint wurde. Neben den Ausführungen zur delegierten Psychotherapie machte das Bundesgericht v.a. in der Erwägung 6 von BGer 4A_64/2020 vom 6. August 2020 wichtige theoretische Ausführungen zur Abgrenzung der verschiedenen Vertragstypen. Siehe hierzu den Beitrag Abgrenzung des Arbeitsvertrag vom Auftrag.

 

Unterrichtsvertrag oder Arbeitsvertrag

In einem konkreten Fall (BGE 4A_141/2019 vom 26. September) war strittig, ob die Parteien eines Vertrages einen Unterrichtsvertrag oder einen Arbeitsvertrag abgeschlossen hatten. Die Arbeitgeberin betrieb einen Coiffeursalon und eine private Coiffeurschule; sie ist nicht im Handelsregister eingetragen. Die Schülerin/Arbeitnehmerin schloss am 30. November 2012 einen „Ausbildungsvertrag“ ab, wonach sie einen viersemestrigen Kurs in der Coiffeurschule besuchen würde. Sie war von Dezember 2012 bis November 2014 als Auszubildende im Coiffeursalon tätig und bezahlte als Kursgeld Fr. 15’260.

In der Folge machte die Schülerin/Arbeitnehmerin geltend, sie sei als Hilfskraft angestellt gewesen und verlangte die Bezahlung eines Lohnes geltend. Die kantonalen Gerichte bejahten das Vorliegen eines Arbeitsvertrages und verpflichteten die Arbeitgeberin zur Bezahlung des Lohnes. Die kantonalen Gericht hatten den Vertrag der Parteien als Arbeitsvertrag im Sinne von Art. 319 ff. OR und entgegen dem Standpunkt der Beschwerdeführerin nicht als Unterrichtsvertrag qualifiziert.

Das Bundesgericht stützte die Auffassung der Vorinstanz (zur Begründung siehe den Beitrag Unterrichtsvertrag oder Arbeitsvertrag?): Es sei der rechtliche Schluss nicht zu beanstanden, dass die Schülerin/Arbeitnehmerin entsprechend einer Arbeitnehmerin im Betrieb der Arbeitgeberin Arbeit verrichtete. Sie war in die Betriebsorganisation der Arbeitgeberin eingegliedert und befand sich entsprechend in einem Unterordnungs- und Abhängigkeitsverhältnis (vgl. BGE 137 III 607 E. 2.2.2 S. 611, 125 III 78 E. 4 S. 81, BGer 4A_602/2013 vom 27. März 2014 E. 3.2).

„Beratungsvertrag“ mit Einmann-AG als Arbeitsverhältnis

In einem konkreten Fall (BGer 4A_134/2017 vom 24. Juli 2017) vom hatte ein Dienstleister (Gesellschaft A) mit einer Gesellschaft (Gesellschaft C) einen Beratungsvertrag abgeschlossen. Dabei war der Dienstleister (Gesellschaft A) als Aktiengesellschaft ausgestaltet; die Aktien gehörten nur einer einzelnen Person (D). Diese Person war es dann auch, welche die Dienstleistungen erbrachte.

Die Aktiengesellschaft (Gesellschaft A), welche die Dienstleistungen erbrachte, war im Wesentlichen stillgelegt. Ausser den konkreten Tätigkeiten für die Gesellschaft C erbrachte sie keine weiteren Leistungen.

Der Vertrag hatte im Wesentlichen folgenden Inhalt:

  • Einräumung des Weisungsrechts gegenüber D
  • Honorar von jährlich CHF 250’000.- zuzüglich 25% bzw. zusätzlich 15% Provision bei Erreichen der vorgegebenen Ziele
  • unbestimmte Vertragslaufzeit mit einer Kündigungsfrist von 12 Monaten
  • fünf Wochen Ferien pro Jahr im Honorar enthalten.
  • D war zudem während Jahren in die Betriebsorganisation eingegliedert und vom Auftraggeber (Gesellschaft C) wirtschaftlich abhängig.

Das kantonale Gericht kam aufgrund der gesamten Umstände zum Schluss, dass hier in Tat und Wahrheit ein Arbeitsvertrag zwischen D und der Gesellschaft C zustande kam. Diese Auffassung wurde vom Bundesgericht geschützt (siehe hierzu den Beitrag „Beratungsvertrag“ mit Einmann-AG als Arbeitsverhältnis).

 

Die angestellte Ärztin?

Eine Ärztin war bei einer Aktiengesellschaft als Allgemeinpraktikerin angestellt (BGer 4A_713/2016 vom 21. April 2017). Die Praxis wurde in der Folge von einer anderen Aktiengesellschaft übernommen, wobei es sich offenbar nicht um einen Share-Deal, sondern um einen Asset-Deal handelte (siehe hierzu die Beiträge zum Betriebsübergang und zum Arbeitnehmer beim Unternehmenskauf). Im Übernahmevertrag wurde das zu übernehmende Personal aufgeführt, wobei bei gewissen Ärzten hinter dem Namen «salarié» und bei anderen «indépendant» stand; Letzteres traf auch auf die fragliche Ärztin zu. Die fragliche Ärztin hatte zudem eine eigene Zulassungsnummer und offenbar auch mit einem medizinischen Labor selbst einen Vertrag über gewisse Dienstleistungen geschlossen, die ihr entschädigt wurden. Als die Arbeitgeberin das Verhältnis mit sofortiger Wirkung auflöste, machte die Ärztin eine ungerechtfertigte fristlose Kündigung geltend; die Arbeitgeberin stellte sich auf den Standpunkt, es liege gar kein Arbeitsverhältnis, sondern ein Auftrag vor. Das Bundesgericht nahm ein Arbeitsverhältnis an (siehe hierzu auch den Beitrag Angestellt oder nicht?):

  • das Bundesgericht hielt ausdrücklich fest, der Umstand, dass keine Sozialabgaben auf dem Entgelt bezahlt worden seien, könne als Hinweis auf eine unabhängige Stellung angesehen werden, sei aber nicht entscheidend (E. 4.2).
  • die Bezeichung der Parteien sei nicht entscheidend (On peut donner acte à la recourante que les critères formels tels que l’intitulé d’un contrat ou les déclarations des parties ne sont pas déterminants).
  • es kommt auf die gelebte Wirklichkeit an – wer hat Weisungsrecht, wie ist die Integration.

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Weitere Beiträge zur Qualifikation von Verträgen:

 

Autor: Nicolas Facincani