Wird einem Arbeitnehmer während der Probezeit gekündigt, hat der Arbeitnehmer bei Missbräuchlichkeit der Kündigung Anspruch auf eine Entschädigung (siehe hierzu den Beitrag zu den missbräuchlichen Kündigungen während der Probezeit). Hier unterscheidet sich die privatrechtlichen Arbeitsverhältnisse insofern von öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnissen nach dem Bundespersonalgesetz (BPG), dass nach dem BPG der Arbeitgeber der angestellten Person die bisherige oder, wenn dies nicht möglich ist, eine zumutbare andere Arbeit anbietet, wenn die Beschwerde gegen eine Kündigungsverfügung gutgeheissen wird. Auf Gesuch der angestellten Person spricht die Beschwerdeinstanz aber anstelle einer Weiterbeschäftigung eine Entschädigung zu (siehe hierzu unten). Die Beurteilung der Missbräuchlichkeit unterscheidet sich aber nicht.
Unter dem BPG hat ein Arbeitnehmer zudem Anspruch auf eine Entschädigung, wenn das Arbeitsverhältnis ohne sachlichen Grund aufgelöst wird.
Entscheid A-4843 des Bundesverwaltungsgerichts vom 1. April 2021
Im Entscheid A-4843 des Bundesverwaltungsgerichts vom 1. April 2021 verlangte ein von den Schweizerischen Bundesbahnen SBB angestellter Arbeitnehmer nach dessen Beendigung (während der Probezeit) eine Entschädigung.
Der Kündigung ging folgender Sachverhalt voraus:
Während der Probezeit fand ein Gespräch zwischen dem Arbeitnehmer und seinem Vorgesetzten statt. Dieser wies den Arbeitnehmer auf mehrere, aus seiner Sicht mangelhafte Aspekte der Arbeitsleistung und seines Verhaltens hin und sprach eine Ermahnung aus. Insbesondere zeige er wenig Eigeninitiative bei der Arbeit und leiste bei der […] nicht, was er könne. Er verfüge über eine schlechte Arbeitseinstellung (finde «wiederholt alles Scheisse») und habe mehrfach während der Arbeitszeit […] geschlafen. Dem Ausbildner gebe er auf Fragen keine oder keine kompetenten Antworten, wie sie ein gelernter […] kennen müsse. Des Weiteren definierte der Vorgesetzte Massnahmen zur Verbesserung und kündigte an, dass das Arbeitsverhältnis nicht fortgesetzt werde, wenn das Ziel, einen reibungslosen Betriebsablauf sicherzustellen, nicht erreicht werde. Der Arbeitnehmer bezeichnete die Kritikpunkte im Gespräch als reine Unterstellungen. In der Folge wurde das Arbeitsverhältnis durch den Arbeitgeber aufgelöst, worauf der Arbeitnehmer eine Entschädigung verlangte.
Anwendbar ist das BPG sowie der erlassene GAV. Finden sich weder in den genannten Gesetzen noch im GAV einschlägige Regelungen, ist das Obligationenrecht (OR, SR 220) subsidiär anwendbar (Ziff. 1 Abs. 2 und 3 GAV; statt vieler: Urteil des BVGer A-2588/2018 vom 3. Dezember 2018 E. 3.2).
Entschädigung bei missbräuchlicher Kündigung
Das Bundesverwaltungsgericht prüfte zuerst das Vorliegen einer missbräuchlichen Kündigung und die Entschädigungsmöglichkeit
Ist eine Kündigung missbräuchlich gemäss Art. 336 OR, bietet der Arbeitgeber der angestellten Person die bisherige oder, wenn dies nicht möglich ist, eine zumutbare andere Arbeit an, wenn die Beschwerde gegen eine Kündigungsverfügung gutgeheissen wird (Art. 34c Abs. 1 Bst. b BPG). Auf Gesuch der angestellten Person – wie es vorliegend der Arbeitnehmer gestellt hatte –anstelle einer Weiterbeschäftigung eine Entschädigung zugesprochen (Art. 34c Abs. 2 BPG, Ziff. 184 Abs. 2 GAV).
Missbräuchliche Kündigung
Das Bundesgericht fasste zuerst zusammen, wann eine Kündigung missbräuchlich ist – unter Verweis auf die Rechtsprechung zum BPG:
Missbräuchlich ist eine Kündigung, wenn sie gemäss den in Art. 336 OR umschriebenen Tatbeständen oder aus anderen Gründen von vergleichbarer Schwere ausgesprochen wird. Grundsätzlich knüpft der sachliche Kündigungsschutz am Motiv der Kündigung an. Die Missbräuchlichkeit kann sich aber auch aus der Art und Weise ergeben, wie die kündigende Partei ihr Recht ausübt. Auch wenn eine Partei die Kündigung rechtmässig erklärt, muss sie das Gebot schonender Rechtsausübung beachten und darf insbesondere kein falsches und verdecktes Spiel treiben, das Treu und Glauben krass widerspricht (statt vieler: Urteile des BVGer A-2752/2019 vom 15. April 2020 E. 5.3.2, A-641/2019 vom 27. November 2019 E. 3.4) (E.4.3).
Eine Kündigung kann unter anderem auch missbräuchlich sein, wenn sie sich als Folge einer Fürsorgepflichtverletzung des Arbeitgebers erweist (Urteil des BVGer A-3192/2019 vom 27. November 2019 E. 5.3.1). Wie den privaten trifft auch den öffentlichen Arbeitgeber gegenüber den Arbeitnehmenden eine Fürsorgepflicht (Art. 328 OR i.V.m. Art. 6 Abs. 2 sowie Art. 4 Abs. 2 Bst. b und g BPG; Urteil des BVGer A-5364/2018 vom 2. April 2019 E. 4.3.1). Er hat sich jedes durch den Arbeitsvertrag nicht gerechtfertigten Eingriffs in die Persönlichkeitsrechte des Arbeitnehmers zu enthalten und diese auch gegen Eingriffe von Vorgesetzten, Mitarbeitern oder Dritten zu schützen. Bei Konflikten am Arbeitsplatz ergibt sich eine Missbräuchlichkeit zufolge verletzter Fürsorgepflicht, wenn die Kündigung aufgrund der Konfliktsituation oder wegen einer als Folge des Konflikts eingetretenen Leistungseinbusse des Arbeitnehmers ausgesprochen wird, ohne dass der Arbeitgeber zuvor sämtliche ihm zumutbaren Massnahmen getroffen hat, um den Konflikt zu entschärfen (vgl. Urteile des BGer 4A_92/2017 vom 26. Juni 2017 E. 2.2.1, 4A_384/2014 vom 12. November 2014 E. 4.2.1, 4A_381/2011 vom 24. Oktober 2011 E. 3; Urteile des BVGer A-3006/2017 vom 4. Dezember 2018 E. 4.3.2.2, A-7166/2016 vom 7. November 2017 E. 6.1, A-2752/2019 vom 15. April 2020 E. 5.3.3 mit Hinweisen) (E. 4.5.1).
Erhöhte Anforderungen an die Missbräuchlichkeit in der Probezeit
Da vorliegend das Arbeitsverhältnis während der Probezeit beendet wurde, musste dieser Umstand auch bei Beurteilung des vorliegenden Falles berücksichtigt werden. Die Missbräuchlichkeit ist während der Probezeit zurückhalten anzunehmen. In Bezug auf die Probezeit legen Rechtsprechung und Lehre nicht denselben Massstab an hinsichtlich der Massnahmen, die vom Arbeitgeber bei Konflikten zu erwarten sind. So kann der Arbeitnehmer gemäss Bundesgericht nicht verlangen, dass der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis fortsetzt und sich langfristig bindet, wenn bereits während der Probezeit Schwierigkeiten bei der Zusammenarbeit mit dem übrigen Personal erkennbar werden:
Die Probezeit soll den Parteien des Arbeitsvertrags ermöglichen, sich kennenzulernen, ein Vertrauensverhältnis aufzubauen und abzuschätzen, ob sie die gegenseitigen Erwartungen erfüllen. Sie werden in die Lage versetzt, über die in Aussicht genommene langfristige Rechtsbeziehung in Kenntnis der konkreten Umstände zu urteilen (vgl. BGE 144 III 152 E. 4.2, BGE 134 III 108 E. 7.1.1). Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung kann grundsätzlich auch eine Kündigung während der Probezeit missbräuchlich sein. Zu prüfen ist aber im Einzelfall, ob die Kündigung, welche einen Tatbestand nach Art. 336 OR erfüllt oder sonst in einem gewöhnlichen Arbeitsverhältnis als missbräuchlich angesehen würde, mit Blick auf den durch die Probezeit verfolgten Zweck zulässig erscheint (BGE 134 III 108 E. 7.1). In diesem Sinne gelangen die Missbrauchsbestimmungen gegenüber einem Arbeitsverhältnis mit ordentlicher Kündigungsfrist einschränkend zur Anwendung (BGE 136 III 96 E. 2). Das Recht, während der Probezeit mit verkürzter Frist zu kündigen, ist Ausfluss der Vertragsfreiheit. Die Freiheit des Arbeitgebers und des Arbeitnehmers, den Vertrag abzuschliessen (Abschlussfreiheit), wirkt in die Probezeit nach, indem die Parteien grundsätzlich den Entscheid über eine langfristige Bindung aufgrund der in der Probezeit gewonnenen Erkenntnisse frei treffen können. Soweit sich die Kündigung an diesem Zweck der Probezeit orientiert, ist allein darin, dass ihr etwas «Willkürliches» anhaftet, kein Rechtsmissbrauch zu erblicken (BGE 134 III 108 E. 7.1.1) (E. 4.4).
Die Missbräuchlichkeit der Kündigung wurde vom Bundesverwaltungsgericht verneint.
Entschädigung mangels eines sachlichen Grundes
Liegt kein sachlich hinreichender Grund vor, hat ein gekündigter Arbeitnehmer Anspruch auf eine Entschädigung (Ziff. 183 Abs. 1 Bst. a GAV, Art. 34b Abs. 1 Bst. a BPG; Urteil des BVGer A-1058/2018 vom 27. August 2018 E. 5.4 und E. 7 [betreffend Probezeit]).
Das Bundesgericht hielt fest, dass während der Probezeit keine hohen Anforderungen an den sachlichen Grund zu stellen sind:
Die Probezeit gibt den Vertragsparteien wie erwähnt die Gelegenheit, eine auf Dauer angelegte Rechtsbeziehung durch gegenseitige Erprobung vorzubereiten. Es handelt sich um eine lockere Vertragsbindung, welche darauf ausgelegt ist, das Arbeitsverhältnis kurzfristig auflösen zu können. Gleichwohl muss auch eine Kündigung während der Probezeit begründet sein. Da die Probezeit jedoch dazu dient, die Fähigkeiten und Eignung eines Angestellten zu prüfen, sind an die Gründe für die Auflösung keine allzu strengen Anforderungen zu stellen. So ist die Kündigung bereits zulässig, wenn aufgrund der Wahrnehmungen der Vorgesetzten die Annahme hinreichend begründet erscheint, dass der Ausweis der Fähigkeit oder Eignung nicht erbracht ist und voraussichtlich auch nicht mehr erbracht werden kann. Dabei muss die Auflösung des Probezeitverhältnisses vom Betroffenen nicht verschuldet sein. Die begründete Feststellung etwa, dass er dem Stellenprofil nicht entspricht, reicht aus. Dasselbe gilt, wenn aus persönlichen Gründen das für die vorgesehene Funktion nötige Vertrauensverhältnis nicht aufgebaut werden kann oder aufgrund objektiver Anhaltspunkte eine künftig reibungslose Zusammenarbeit und eine effiziente Verwaltungstätigkeit in Frage gestellt erscheinen. Auch zwischenmenschliche Faktoren oder das Unvermögen eines Arbeitnehmers, sich in gewachsene Strukturen eines Unternehmens einzufügen, mit Autoritäten situationsgerecht umzugehen oder sein Arbeitsstil können dazu führen, dass ein Probearbeitsverhältnis nicht in ein ordentliches Arbeitsverhältnis überführt wird (zum Ganzen: Urteile des BVGer A-6870/2017 vom 11. Juni 2018 E. 4, A-1058/2018 vom 27. August 2018 E. 4, A-2347/2013 vom 13. August 2013 E. 4.3.2) (E. 5.2).
Aufgrund der konkreten Umstände wurde ein sachlicher Grund für die Kündigung bejaht und der Anspruch auf Entschädigung auch unter diesem zweiten Aspekt verneint.
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Autor: Nicolas Facincani