In der Rechtssache C-344/20 | S.C.R.L. hatte sich der Europäische Gerichtshof mit dem Tragen von Kleidungsstücken mit religiösem Bezug am Arbeitsplatz auseinanderzusetzen. Dabei hielt es das folgende fest:

Eine interne Regel eines Unternehmens, die das sichtbare Tragen religiöser, weltanschaulicher oder spiritueller Zeichen verbietet, stellt gemäss Gericht keine unmittelbare Diskriminierung dar, wenn sie allgemein und unterschiedslos auf alle Arbeitnehmer angewandt wird, dies basierend auf der RICHTLINIE 2000/78/EG DES RATES zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf.

Dieses Urteil hat keine Auswirkungen auf die Rechtsprechung in der Schweiz. Hier ist die Rechtsprechung strenger.

 

RICHTLINIE 2000/78/EG

Am 27. November 2000 wurde in der Europäischen Union die RICHTLINIE 2000/78/EG DES RATES zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf erlassen. Zweck dieser Richtlinie ist die Schaffung eines allgemeinen Rahmens zur Bekämpfung der Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung in Beschäftigung und Beruf im Hinblick auf die Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung in den Mitgliedstaaten.

 

Sachverhalt

Seit 2018 stehen sich L.F., eine Muslimin, die das islamische Kopftuch trägt, und S.C.R.L., eine Gesellschaft, die Sozialwohnungen verwaltet, in einem Rechtsstreit gegenüber. In diesem Rechtsstreit geht es darum, dass eine Initiativbewerbung von L.F. um ein Praktikum nicht berücksichtigt wurde, weil sie während eines Gesprächs angegeben hatte, dass sie sich weigere, ihr Kopftuch abzunehmen, um der bei S.C.R.L. geltenden und in ihrer Arbeitsordnung niedergelegten Neutralitätspolitik nachzukommen.

Einige Wochen später erneuerte L.F. ihre Bewerbung um ein Praktikum bei S.C.R.L. und schlug vor, eine andere Kopfbedeckung zu tragen, was ihr mit der Begründung verweigert wurde, dass in den Geschäftsräumen von S.C.R.L. keine Kopfbedeckung erlaubt sei, sei es eine Mütze, eine Kappe oder ein Kopftuch. L.F. zeigte daraufhin bei der für die Bekämpfung der Diskriminierung zuständigen unabhängigen öffentlichen Einrichtung eine Diskriminierung an und erhob sodann beim französischsprachigen Arbeitsgericht von Brüssel eine Unterlassungsklage: Damit rügte sie, dass kein Praktikumsvertrag geschlossen worden sei, was ihrer Ansicht nach unmittelbar oder mittelbar auf ihrer religiösen Überzeugung beruht, und warf S.C.R.L. somit vor, gegen die Bestimmungen des allgemeinen Antidiskriminierungsgesetzes verstoßen zu haben.

Das Arbeitsgericht hat dem Gerichtshof die Frage vorgelegt, ob das in der Arbeitsordnung von S.C.R.L. niedergelegte Verbot, ein konnotiertes Zeichen oder Bekleidungsstück zu tragen, eine unmittelbare Diskriminierung wegen der Religion darstellt.

 

Entscheid des EuGH

Der Gerichtshof führte in seinem Urteil aus, dass eine Bestimmung in einer Arbeitsordnung eines Unternehmens, die es den Arbeitnehmern verbietet, ihre religiösen oder weltanschaulichen Überzeugungen, welche diese auch immer sein mögen, durch Worte, durch die Kleidung oder auf andere Weise zum Ausdruck zu bringen, gegenüber Arbeitnehmern, die ihre Religions- und Gewissensfreiheit durch das sichtbare Tragen eines Zeichens oder Bekleidungsstücks mit religiösem Bezug ausüben möchten, keine unmittelbare Diskriminierung „wegen der Religion oder der Weltanschauung“ im Sinne des Unionsrechts darstellt, wenn diese Bestimmung allgemein und unterschiedslos angewandt wird.

Da jede Person eine Religion oder religiöse, weltanschauliche oder spirituelle Überzeugungen haben kann, begründe eine solche Regel nämlich, sofern sie allgemein und unterschiedslos angewandt wird, keine Ungleichbehandlung, die auf einem Kriterium beruhe, das untrennbar mit der Religion oder der Weltanschauung verbunden ist.

Der Gerichtshof legte dar, dass eine solche interne Regel  indessen eine mittelbar auf der Religion oder der Weltanschauung beruhende Ungleichbehandlung darstellen könne, wenn sich erweist – was zu prüfen Sache des lokalen Arbeitsgerichts sei –, dass die dem Anschein nach neutrale Verpflichtung, die sie enthalte, tatsächlich dazu führt, dass Personen mit einer bestimmten Religion oder Weltanschauung in besonderer Weise benachteiligt würde.

Der Gerichtshof ergänzte, dass eine Ungleichbehandlung keine mittelbare Diskriminierung darstellen würde, wenn sie durch ein rechtmässiges Ziel sachlich gerechtfertigt wäre und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich wären. Dabei reiche allerdings der blosse Wille eines Arbeitgebers, eine Neutralitätspolitik zu betreiben – auch wenn er an sich ein legitimes Ziel darstellt –, für sich genommen nicht aus, um eine mittelbare Ungleichbehandlung wegen der Religion oder der Weltanschauung sachlich zu rechtfertigen, da eine sachliche Rechtfertigung nur bei Vorliegen eines wirklichen Bedürfnisses des Arbeitgebers festgestellt werden könne, das er nachzuweisen habe. Schliesslich führte der Gerichtshof aus, dass das Unionsrecht es einem nationalen Gericht bei der Beurteilung der Rechtfertigung einer mittelbaren Diskriminierung nicht verwehre, im Rahmen der Abwägung der widerstreitenden Interessen denen der Religion oder der Weltanschauung größere Bedeutung beizumessen als denen, die sich u. a. aus der unternehmerischen Freiheit ergeben, soweit sich dies aus seinem innerstaatlichen Recht ergebe.

 

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Autor: Nicolas Facincani

 

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