Im Rahmen der Beendigung des Arbeitsvertrages bestand zwischen den Parteien Uneinigkeit darüber, von welcher Partei und auf welchen Zeitpunkt hin das Arbeitsverhältnis gekündigt wurde. Während der Arbeitnehmer der Ansicht war, die Arbeitgeberin habe das Arbeitsverhältnis am 23. November 2019 fristlos gekündigt, vertrat die Arbeitgeberin die Auffassung, der Arbeitnehmer habe das Arbeitsverhältnis mit Einschreiben vom 4. November 2019 fristlos aufgelöst.

Das Bundesgericht (BGer 4A_233/2022 vom 12. September 2022) verneinte, dass das Arbeitsverhältnis mit Einschreiben vom 4. November 2019 fristlos aufgelöst worden war und zwar aus folgendem Grund:

 

Fristlose und dann ordentliche Kündigung

Der Arbeitnehmer hatte am 4. November 2019 eine fristlose Kündigung verschickt, am 6. November 2019 ein ordentliche. Die ordentliche Kündigung wurde allerdings vor der fristlosen durch die Arbeitgeberin empfangen (aus irgendwelchen Gründen ging die fristlose Kündigung erst am 22. November 2019 bei der Arbeitgeberin ein) und hatte somit die fristlose überholt. Die Vorinstanz entschied, von den beiden vom Arbeitnehmer erklärten Kündigungen vom 4. bzw. 6. November 2019 habe gemäss Art. 9 OR nur die spätere – d.h. die ordentliche – Kündigung Wirkung entfaltet, weil die Beschwerdeführerin zuerst von dieser Kenntnis erlangt habe.

Aus dem Entscheid der Vorinstanz (ZVE.2021.45 vom 15. Februar 2022)  ist sodann ersichtlich, dass die ordentliche Kündigung nicht auf die fristlose verwies und diese explizit widerrief. Der Widerruf wurde bereits dadurch angenommen, dass die ordentliche die fristlose Kündigung überholt hatte.

 

Art. 9 OR

Art. 9 Abs. 1 OR lautet wie folgt:

Trifft der Widerruf bei dem anderen Teile vor oder mit dem Antrage ein, oder wird er bei späterem Eintreffen dem andern zur Kenntnis gebracht, bevor dieser vom Antrag Kenntnis genommen hat, so ist der Antrag als nicht geschehen zu betrachten.

 

Entscheid des Bundesgerichts

Das Bundesgericht (BGer 4A_233/2022 vom 12. September 2022) schützte den Entscheid der Vorinstanz:

Die Vorinstanz habe gestützt auf Art. 9 OR erwogen, die fristlose Kündigung vom 4. November 2019 sei vom Arbeitnehmer bis zum Empfang in der Zwischenzeit wirksam widerrufen worden. Zwar sei ein Widerruf eine Kündigung grundsätzlich nicht möglich. Dieser Grundsatz erleide aber auch Ausnahmen, indem eine Kündigung insbesondere nach der Regel von Art. 9 OR zurückgenommen werden könne. Dies habe die Vorinstanz zutreffend erkannt.

 

Fristlose Kündigung durch die Arbeitgeberin

Die Vorinstanz ging zudem davon aus, dass die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis selbst am 23. November 2019 fristlos beendet hatte. Diese Auffassung wurde vom Bundesgericht nicht beanstandet.

 

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Autor: Nicolas Facincani

 

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