Der Entscheid des Bundesgerichts 4A_117/2023 vom 15. Mai 2023 befasste sich mit der Thematik der Alterskündigung und thematisiert insbesondere die Frage der Missbräuchlichkeit.

 

Allgemeines zur missbräuchlichen Kündigung

Gemäss Art. 335 Abs. 1 OR kann ein unbefristetes Arbeitsverhältnis grundsätzlich von jeder Partei gekündigt werden. Es gilt das Prinzip der Kündigungsfreiheit; das Vorliegen von besonderen Gründen ist grundsätzlich nicht notwendig – ausser dies ist vereinbart. Eine Kündigung ist aber missbräuchlich, wenn sie aus bestimmten, in Art. 336 OR umschriebenen unzulässigen Gründen ausgesprochen wird.

 

Missbräuchliche Alterskündigungen

Durch Art. 336 OR wird das Rechtsmissbrauchsverbot von Art. 2 Abs. 2 ZGB konkretisiert (BGE 134 III 108 E 7.1). Somit ist Art. 336 nicht abschliessend. Somit fallen auch gegen das Rechtsmissbrauchsverbot fallende Fälle darunter, die eine mit den in Art. 336 OR genannten vergleichbare Schwere aufweisen (BGE 136 III E 2.). In den letzten Jahren haben das Bundesgericht sowie auch vermehrt kantonale Gerichte Kündigungen von älteren Arbeitnehmern mit langer Dienstzeit als missbräuchlich erachtet. Dabei geht es um ältere Arbeitnehmer mit langer Dienstzeit, wobei das Bundesgericht bis heute offenliess, wann ein Arbeitnehmer als älter (ab ca. 58 bis 60 Jahren) und wann eine Dienstzeit als lang betrachtet werden darf (ab 12 bis 15 Dienstjahren).

 

Lösungssuche notwendig

In einem Entscheid aus dem Jahr 2014 (BGer 4A_384/2014 vom 12. November 2014) hielt das Bundesgericht fest, dass für die Pflichten des Arbeitgebers im Zusammenhang mit einer Kündigung das fortgeschrittene Alter eines Arbeitnehmers mit langer Dienstzeit eine massgebliche Rolle spiele. Für diese Arbeitnehmerkategorie gelte eine erhöhte Fürsorgepflicht des Arbeitgebers. Daraus sei zu schliessen, dass bei älteren Arbeitnehmern der Art und Weise der Kündigung besondere Beachtung zu schenken sei. Der Arbeitnehmer habe namentlich Anspruch darauf, rechtzeitig über die beabsichtigte Kündigung informiert und angehört zu werden, und der Arbeitgeber sei verpflichtet, nach Lösungen zu suchen, welche eine Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses ermöglichen. Ein absoluter Kündigungsschutz für diese Kategorie von Arbeitnehmenden bestehe indes dennoch nicht, würde ein solcher doch das Prinzip der Kündigungsfreiheit grundsätzlich in Frage stellen. Höchstrichterlich sei denn auch schon eingeräumt worden, dass sich eine Kündigung unter Umständen, selbst kurz vor der Pensionierung, als unumgänglich erweisen könne. Diesfalls würde aber ein in erhöhtem Masse schonendes Vorgehen verlangt.

 

Einzelfallbetrachtung notwendig

In neuster Zeit hielt das Bundesgericht aber vermehrt fest, man könne nicht allgemeine Regeln aufstellen und es sei im Einzelfall zu prüfen, ob die zusätzlichen Pflichten tatsächlich zur Anwendung gelangten. Hier zwei exemplarische Beispiele:

So hielt das Bundesgericht etwa mit der Kündigung eines Geschäftsführers fest (BGer 4A_44/2021 vom 2. Juni 2021), dass bei einem Vorsitzenden der Geschäftsleitung sich eine Weiterbeschäftigung im Unternehmen in einer anderen Form, zum Beispiel in einer Unterabteilung, eher schwierig gestalte dürfte. Bei einem Geschäftsführer, der erhebliche Entscheidkompetenzen habe und grosse Verantwortung habe, sei das Interesse der Arbeitgeberin an der Kündigungsfreiheit entsprechend hoch zu gewichten. Im Rahmen der Abwägung sei sodann (zumindest ergänzend) auch der relativ hohe Lohn des Arbeitnehmers mit zu berücksichtigen. Aus diesem Grund sei nicht von einer missbräuchlichen Alterskündigung auszugehen.

Auch in einem anderen Fall hielt das Bundesgericht fest (BGer 4A_390/2021 vom 1. Februar 2022), wenn die eine Arbeitnehmerin im Kündigungszeitpunkt zwar nur noch zehn Monate vom gesetzlichen Rentenalter entfernt gewesen sei, sei es für die beklagte Arbeitgeberin nicht missbräuchlich gewesen, sie zu entlassen, wenn insbesondere nicht gewusst habe, wann die Arbeitnehmerin nach mehr als sechs Monaten krankheitsbedingter Abwesenheit wieder an ihren Arbeitsplatz zurückkehren konnte.

 

 Entscheid des Bundesgerichts 4A_117/2023 vom 15. Mai 2023

Im vorliegenden Fall arbeitete ein Arbeitnehmer während rund 30 Jahren als Koch in einem Restaurant. Zuletzt war er als stellvertretender Küchenchef angestellt. Der Arbeitgeber kündigte das Arbeitsverhältnis rund 11 Monate vor der Pensionierung des zum Kündigungszeitpunkt 64-jährigen Arbeitnehmers.

Nach der Kündigung bestand insbesondere Uneinigkeit darüber, ob der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer eine Entschädigung wegen missbräuchlicher Kündigung und Lohnersatz schuldet. Es stellte sich also die Frage nach der Missbräuchlichkeit der ausgesprochenen Kündigung.

Die erste Instanz sprach dem Arbeitnehmer eine Entschädigung von 4 ½ Monatslöhnen zu, was das kantonale Berufungsgericht schützte. Der Arbeitgeber zog den Fall an das Bundesgericht weiter.

Er brachte dabei insbesondere Folgendes vor:

  • Ein Schreiben über die Ausschöpfung der Krankentaggeldleistungen hätte der Arbeitnehmer als Vorwarnung für die Kündigung verstehen müssen
  • Die Kündigung sei für den Arbeitnehmer nicht unerwartet gekommen nachdem eine bestehende Sperrfrist abgelaufen sei
  • Die Kündigung habe es dem dauernd arbeitsunfähigen Arbeitnehmer ermöglicht, nach der Einstellung der Krankentaggeldzahlungen einer massiven Lohneinbusse zu entgehen und den fehlenden Lohnersatz bei den Sozialversicherungen einzufordern
  • Die Kündigung sei aus betrieblichen Gründen unabdingbar gewesen, zumal er als Arbeitgeber auf ein voll funktionierendes Team angewesen sei
  • Grund für die Kündigung sei allein das schwere Knieleiden und die damit verbundene zweifelhafte Einsatzfähigkeit des Arbeitnehmers und gerade nicht dessen Alter gewesen

 

Bundesgericht: Nicht fehlendes Kündigungsrecht, sondern missbräuchliche Art und Weise der Ausübung

Das Bundesgericht schützte den Entscheid der Vorinstanz unter Bezugnahme auf deren Ausführungen (Entscheid des Bundesgerichts 4A_117/2023 vom 15. Mai 2023).

Namentlich hielt die Vorinstanz fest, dass der Arbeitnehmer nach der jahrzehntelangen Zusammenarbeit nicht mit einer Kündigung habe rechnen müssen, alleine weil die Einstellung von Krankentaggeldzahlungen in Aussicht gestellt worden sei, was unter diesen Umständen genauso für den blossen Ablauf einer Sperrfrist gelte. Zum Argument der Umgehung der Lohneinbusse hielt die Vorinstanz fest, dass – selbst wenn die Kündigung die für den Arbeitnehmer finanziell günstigere Lösung gewesen wäre –  dies nicht dazu führe, dass der Arbeitgeber von seiner Pflicht, zusammen mit dem Arbeitnehmer nach einer sozialverträglicheren Alternative zu suchen, entbunden werde. Mit Blick auf die betriebliche Notwendigkeit der Kündigung hielt das Bundesgericht fest, dass eine Kündigung nach langer Dienstdauer und kurz vor der Pensionierung stets, eine schonende Rechtsausübung verlange. Von einer reinen Alterskündigung sei niemand ausgegangen.

Das Bundesgericht hielt fest, dass das Obligationenrecht keine Pflicht, die Gegenpartei vor Aussprechen einer Kündigung anzuhören oder sie zu verwarnen, kenne. Es betonte weiter, dass im Privatrecht eine generelle Pflicht, eine Kündigung auf Verhältnismässigkeit hin zu überprüfen, fehle. Es ist also gerade nicht verlangt, vorgängig an eine Kündigung stets mildere Massnahmen zu prüfen.

Die Vorinstanz hielt fest, dass nach einer langen Dienstzeit eines Arbeitnehmers beim Arbeitgeber und kurz bevorstehender Pensionierung des Ersteren eine erhöhte Fürsorgepflicht bestehe und diese einer Kündigung durch den Arbeitgeber zwar nicht entgegenstehe, aber eine (besonders) schonende Rechtsausübung gebiete. Dies stehe in keinem Widerspruch zur bundesgerichtlichen Rechtsprechung. Dabei habe er den Arbeitnehmer frühzeitig über die beabsichtigte Kündigung zu informieren und eine sozialverträglichere Alternative zur Kündigung zumindest zu prüfen. Der Arbeitgeber habe bei älteren Arbeitnehmern der Art und Weise der Kündigung besondere Beachtung zu schenken, wobei sich der Umfang seiner Fürsorgepflicht auch bei älteren Arbeitnehmern nach den Gesamtumständen bestimme.

Im vorliegenden Fall sei unbestritten, dass der im Zeitpunkt der Kündigung 64-jährige Arbeitnehmer während rund 30 Jahren für den Arbeitgeber gearbeitet und nur rund 11 Monate vor der Pensionierung gestanden hätte. Damit habe die Vorinstanz richtigerweise angenommen, dass den Arbeitgeber eine erhöhte Fürsorgepflicht treffe. Sie habe sich mit dem Einwand des Arbeitgebers, er hätte nur wegen der fehlenden Einsatzfähigkeit des Arbeitnehmers gekündigt, auseinandergesetzt, gleichwohl aus der klarerweise bestehenden erhöhten Fürsorgepflicht abgeleitet, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer frühzeitig über die beabsichtigte Kündigung hätte informieren und eine sozialverträglichere Alternative hätte prüfen müssen. Damit werde dem Arbeitgeber nicht das Kündigungsrecht abgesprochen, sondern vielmehr die Art und Weise der ausgesprochenen Kündigung als missbräuchlich qualifiziert.

Insgesamt liege damit eine missbräuchliche Kündigung des Arbeitgebers vor. Damit schützte das Bundesgericht den Entscheid der Vorinstanz.

 

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Autoren: Nicolas Facincani/Laura Meier

 

 

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