In der Schweiz muss grundsätzlich zwischen Überstundenarbeit und Überzeitarbeit unterschieden werden:
Überstundenarbeit
Überstundenarbeit betrifft diejenige Arbeitszeit, welche die vertraglich vereinbarte wöchentliche Arbeitszeit überschreitet (siehe hierzu auch den allgemeinen Betrag zu den Überstunden). Die zeitliche oder entgeltliche Kompensation von allfälligen Überstunden kann vertraglich wegbedungen werden bzw. es kann im Arbeitsvertrag festgehalten werden, dass allfällige Überstundenvergütungen bereits durch den Lohn abgegolten sind. Bei Überstunden gibt es keine gesetzlichen Regelungen betreffend die zeitlichen Faktoren – wie Höchstanzahl Überstunden – die zu berücksichtigen sind. In Bezug auf die Überzeitarbeit hingegen gilt es, verschiedene gesetzliche Regelungen zu beachten (vgl. nachstehender Absatz).
Überzeitarbeit
Überzeitarbeit ist hingegen diejenige Arbeitszeit, welche die arbeitsgesetzliche wöchentliche Höchstarbeitszeit überschreitet. Gemäss Art. 9 Abs. 1 des Arbeitsgesetzes (ArG) gilt für Arbeitnehmer in industriellen Betrieben sowie für Büropersonal und technische Angestellte sowie Verkaufspersonal in Grossbetrieben des Detailhandels (mehr als 50 Arbeitnehmer pro Verkaufsstelle) eine wöchentliche Höchstarbeitszeit von 45 Stunden, für alle anderen Arbeitnehmer eine solche von 50 Stunden. Konkret bedeutet dies: Die Mehrarbeit, welche über die vertraglich vereinbarte wöchentliche Arbeitszeit und bis 45 bzw. 50 Arbeitsstunden pro Woche geleistet wird, ist Überstundenarbeit. Die darüber hinausgehende Mehrarbeit – das heisst ab 45 bzw. 50 Arbeitsstunden pro Woche – ist Überzeitarbeit. Dabei ist zu beachten, dass das Arbeitsgesetz nicht auf Kadermitarbeiter bzw. auf Mitarbeiter mit höherer leitender Tätigkeit anwendbar ist, womit die arbeitsgesetzlichen Höchstarbeitszeiten bei solchen Mitarbeitern, welche über eine gewisse Entscheidkompetenz verfügen, unbeachtlich sind.
Überzeitarbeit darf nicht beliebig geleistet werden, sondern nur wenn die Voraussetzungen für die Leistungen von Überzeitarbeit vorliegen. Voraussetzungen für die Überzeitarbeit sind u.a. Dringlichkeit bzw. ausserordentlicher Arbeitsandrang, Inventaraufnahmen etc. Arbeitnehmer mit einer wöchentlichen Höchstarbeitszeit von 45 Stunden dürfen nicht mehr als 170 Stunden Überzeitarbeit im Jahr leisten; solche mit einem wöchentlichen Maximum von 50 Stunden nicht mehr als 140 Stunden Überzeitarbeit jährlich. Dabei darf die tägliche Überzeitarbeit (nicht Überstundenarbeit!) grundsätzlich nicht mehr als 2 Stunden überschreiten.
Kompensation
Auch betreffend die Kompensation durch Freizeit oder durch entsprechende entgeltliche Vergütung muss zwischen Überstundenarbeit und Überzeitarbeit unterschieden werden:
Für die Überstundenarbeit gilt: Ist im Arbeitsvertrag oder allfälligen Reglementen etc. festgehalten, dass die Kompensation von Überstunden ausschliesslich durch Freizeit von gleicher Dauer erfolgt, ist keine entgeltliche Vergütung geschuldet. Gemäss Gesetz würde gelten: Im Einverständnis mit dem Arbeitnehmer kann der Arbeitgeber die Überstundenarbeit innert eines angemessenen Zeitraumes durch Freizeit von mindestens gleicher Dauer ausgleichen. Erfolgt kein Ausgleich durch Freizeit gilt (unter Vorbehalt einer anders lautenden vertraglichen Regelung: Soweit der Arbeitsvertrag nichts bzw. nichts Gegenteiliges vorsieht, ist auf allfällige Überstunden gemäss Gesetz ein Zuschlag von 25 % des Normallohnes zu zahlen (siehe hierzu auch den allgemeinen Betrag zu den Überstunden).
Grundsätzlich ist für Überzeitarbeit ein Lohnzuschlag von 25 % des Normallohns geschuldet. Allerdings ist ein solcher Zuschlag bei Arbeitnehmern, für welche die wöchentliche Höchstarbeitszeit von 45 Stunden gilt, erst ab der 61. Stunde Überzeitarbeit zu leisten.
Kein Lohnzuschlag ist geschuldet, wenn die Überzeitarbeit im Einverständnis mit dem betreffenden Arbeitnehmer innerhalb eines angemessenen Zeitraums durch Freizeit von gleicher Dauer ausgeglichen wird. Ein solcher angemessener Zeitraum liegt bei 14 Tagen. Mit dem Arbeitnehmer kann auch ein längerer Zeitraum vereinbart werden, innerhalb dessen die Kompensation zu erfolgen hat. Dieser vereinbarte „Kompensationszeitraum“ darf gemäss Gesetz jedoch 12 Monate nicht überschreiten (vgl. Art. 13 Abs. 2 ArG in Verbindung mit Art. 25 Abs. 2 Verordnung 1 zum Arbeitsgesetz). Soweit die Kompensation nicht innerhalb des gesetzlichen oder vereinbarten Zeitraums erfolgt, kann der Arbeitnehmer einen Lohnzuschlag von 25 % fordern.
Verwirkung von Überstunden und Überzeit
In BGer 4A_403/2018 vom 11. März 2019 hatte sich das Bundesgericht mit der Frage zu befassen, unter welchen Voraussetzungen die Überstundenentschädigung bzw. die Überzeitentschädigung geltend gemacht werden kann bzw. wann diese Entschädigungsansprüche verwirken.
Abgeltung von Überstunden
Für die Abgeltung von Überstunden ist grundsätzlich unerheblich, ob sie vom Arbeitgeber ausdrücklich angeordnet oder auf eigene Initiative des Arbeitnehmers geleistet wurden; entscheidend ist, dass sie für den Arbeitgeber objektiv notwendig waren. Immerhin hat der Arbeitnehmer Überstunden, die ohne Wissen des Arbeitgebers geleistet werden, innert nützlicher Frist anzuzeigen, so dass der Arbeitgeber organisatorische Massnahmen zur Verhinderung künftiger Mehrarbeit vorkehren oder die Überstunden genehmigen kann. Andernfalls riskiert der Arbeitnehmer, sofern nicht besondere Umstände vorliegen, dass sein Anspruch verwirkt ist. Wenn der Arbeitgeber aber weiss oder wissen muss, dass der Arbeitnehmer Arbeit über die vereinbarte Arbeitszeit hinaus erbringt, kann der Arbeitnehmer aus dem Stillschweigen des Arbeitgebers ableiten, dass dieser die Mehrarbeit genehmigt (BGE 129 III 171 E. 2.2 S. 174; Urteile 4A_484/2017 vom 17. Juli 2018 E. 2.3; 4A_465/2011 vom 3. Januar 2012 E. 4.3; 4A_42/2011 und 4A_68/2011 vom 15. Juli 2011 E. 5.2; 4A_464/2007 vom 8. Januar 2008 E. 3; je mit Hinweisen). Der Arbeitnehmer muss daher einerseits beweisen, dass er im Vergleich zur vertraglichen Arbeitszeit Mehrarbeit geleistet hat und andererseits, dass diese durch den Arbeitgeber angeordnet oder zumindest genehmigt wurde, sei es auch stillschweigend, indem er davon Kenntnis hatte bzw. hätte Kenntnis haben müssen (BGE 129 III 171 E. 2.3 S. 175; zit. Urteil 4A_484/2017 E. 2.3). Wissen-Müssen wurde der Arbeitgeberin beispielsweise vorgehalten im Fall einer Hausangestellten/Pflegerin, die im Haushalt der betreuten Mutter der Arbeitgeberin wohnte (zit. Urteil 4A_42/2011 und 4A_68/2011), hingegen verworfen im Fall eines Gärtners/Chauffeurs (zit. Urteil 4A_484/2017).
Abgeltung von Überzeit
Auf die Abgeltung von Über zeit gemäss Art. 13 Abs. 2 ArG kann anders als hinsichtlich von Überstunden nicht vertraglich verzichtet werden, jedoch ist eine Kompensation durch Freizeit im Einverständnis des Arbeitnehmers möglich, weil dadurch nur eine veränderte Anordnung von Arbeits- und Ruhezeit vorgenommen wird. Diese Vereinbarung ist an keine bestimmte Form gebunden (Staatssekretariat für Wirtschaft SECO, Wegleitung zum Arbeitsgesetz und zu den Verordnungen 1 und 2, Stand 7. Februar 2019, https://www.seco.admin.ch/seco/de/home/Publikationen_Dienstleistungen/Publikationen_und_Formulare/Arbeit/Arbeitsbedingungen/Wegleitungen_zum_Arbeitsgesetz/wegleitung-zum-arbeitsgesetz-und-den-verordnungen-1-und-2.html, zuletzt besucht am 11. März 2019, S. 013-1 zu Art. 13 Abs. 2 ArG; ROLAND A. MÜLLER/CHRISTIAN MADUZ, ArG Kommentar, 8. Aufl. 2017, N. 6 zu Art. 13 ArG; PHILIPPE NORDMANN/DAVID HILL, in: ArG, Alfred Blesi u.A. [Hrsg.], 2018, N. 41 ff. insbes. N. 51 zu Art. 13 ArG; JEAN-PHILIPPE DUNAND, in: Arbeitsgesetz, Thomas Geiser u.A. [Hrsg.], 2005, N. 15 zu Art. 13 ArG).
Besteht aber die Möglichkeit, eine Überzeitentschädigung durch Gewährung von kompensierender Freizeit zu vermeiden, stellt sich die gleiche Problematik wie bei der Überstundenarbeit (ebenso: NORDMANN/HILL, a.a.O., N. 9 zu Art. 13 ArG; JUDITH BREGNARD-LUSTENBERGER, Überstunden- und Überzeitarbeit, 2006, S. 202 f.). Es kommt darauf an, ob der Arbeitgeber über die Überzeit informiert ist bzw. davon weiss oder wissen müsste und die Möglichkeit gehabt hätte, organisatorische Massnahmen zur Vermeidung von Überzeit zu treffen.
Erfolgt keine Kompensation der Überzeit und muss dies ein Arbeitgeber kennen, wird diese durch den Arbeitgeber genehmigt. Ist keine Genehmigung erfolgt, ist die Verwirkung des Anspruchs auf Überzeitentschädigung zu prüfen. Verwirkung ist anzunehmen, wenn die Arbeitgeber das Auflaufen nicht kompensierter Überzeit nicht erkennen konnte und tatsächlich die Möglichkeit gehabt hätte, bei rechtzeitiger Information organisatorische Massnahmen zur Vermeidung von Überzeit zu treffen.
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Autor: Nicolas Facincani
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