Abgeleitet aus der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers und der Pflicht, die Persönlichkeit der Arbeitsnehmer zu schützen, ergeht aus Art. 330a OR das Recht des Arbeitnehmers, vom Arbeitgeber ein Arbeitszeugnis ausgestellt zu bekommen. Gemäss dem Wortlaut von Art. 330a Abs. 1 OR kann der Arbeitnehmer jederzeit vom Arbeitgeber ein Zeugnis verlangen. Jederzeit meint sowohl während dem laufenden Arbeitsverhältnis wie auch am Schluss desselben. Das Zeugnis, welches während des ungekündigten Arbeitsverhältnisses ausgestellt wird, ist das sogenannte Zwischenzeugnis. Anders sieht es beim Schlusszeugnis aus, dieses wird erst nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses ausgestellt.
Die Verjährung
Der Anspruch auf jederzeitige Ausstellung kann jedoch durch zwei Faktoren beschränkt werden. Zunächst ist die zeitliche Komponente zu beachten. Dabei wird der Anspruch durch die Verjährung begrenzt. Dies wurde erstmals im aktuellen Entscheid des Bundesgerichts (4A_295/2020 vom 28. Dezember 2020) entschieden. Im Allgemeinen sieht Art. 128 Abs. 3 OR für Forderungen aus dem Arbeitsverhältnis eine Verjährungsfrist von fünf Jahren vor. Unter diese Frist fallen u.a der Lohnanspruch und das Ferienguthaben. Das Bundesgericht entschied nun im genannten Entscheid, dass der Zeugnisanspruch unter die allgemeine Verjährungsfrist gemäss Art. 127 OR fällt und somit zehn Jahre ab Beendigung des Arbeitsverhältnisses dauert. Das Bundesgericht begründet dies damit, der Anspruch auf Ausstellung des Zeugnisses sei keine geldwerte Forderung und falle deshalb nicht unter die verkürzte Frist. Es weist zudem daraufhin die verkürzte Verjährungsfrist in Art. 128 Abs. 3 OR würde die Position des Arbeitnehmers im Vergleich zum Arbeitgeber verschlechtern.
Andererseits kann der Anspruch durch den Grundsatz von Treu und Glauben eingeschränkt werden. Daraus resultiert, dass der Arbeitnehmer bei der Ausstellung des Zwischenzeugnisses eines berechtigten Interesses bedarf. An das berechtigte Interesse, sollen allerdings keine allzu hohen Anforderungen geknüpft werden. Das berechtigte Interesse liegt beispielhaft dann vor, wenn dem Arbeitnehmer die Kündigung in Aussicht gestellt wird, wenn das Zwischenzeugnis für die Zulassung zu einer Weiterbildung notwendig ist oder wenn der Arbeitnehmer einen Stellenwechsel ernsthaft in Betracht zieht. Ein ungenügender Grund ist dagegen, wenn der Arbeitnehmer nur seine Qualifizierung durch den Arbeitgeber in Erfahrung bringen will. Der Nachweis des berechtigten Interesses soll dem Arbeitgeber die Möglichkeit geben, sich vor allfälligem Rechtsmissbrauch durch den Arbeitnehmer zu schützen.
Die Fälligkeit
Die Forderung auf Ausstellung des Zeugnisses wird fällig, sobald die Ausstellung vom Arbeitnehmer ausdrücklich einverlangt wird, in jedem Fall jedoch gemäss Art. 339 Abs. 1 OR im Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Der Arbeitgeber wird erst dann verpflichtet und kann den Anspruch erst dann erfüllen, wenn der Anspruch durch den Arbeitnehmer im Sinne von Art. 75 OR geltend gemacht wird. Dies gilt ebenso für den Fall der automatischen Fälligkeit des Arbeitszeugnisses im Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses.
Frist zur Ausstellung des Arbeitszeugnisses
Fraglich ist, innert welcher Frist das Arbeitszeugnis durch den Arbeitgeber ausgestellt auszustellen ist. Eine gefestigte Gerichtspraxis zu dieser Frage besteht nicht.
In der Lehre werden verschiedene Ansichten vertreten. So wird ein Zeitfenster von zwei Tagen (für eine Arbeitsbestätigung) bis zwei Wochen (für ein Vollzeugnis) als angemessen angesehen. Einzelne Stimmen in der Lehre fordern kürzere Fristen, wie im Normalfall zwei bis drei Tage und in Ausnahmefällen eine Woche, andere bei Grosskonzernen Fristen von über zwei Wochen.
Klar ist, dass das Zeugnis so rasch wie möglich durch die Arbeitgeberin auszustellen ist. Differenzierungen im Einzelfall bzw. bezüglich Fallgruppen sind unumgänglich. So ist etwa danach zu unterscheiden, ob eine Arbeitsbestätigung oder ein Vollzeugnis verlangt wird. Auf der Seite der Arbeitgeberin ist etwa danach zu differenzieren, ob es sich um ein inhabergeführtes Kleinstunternehmen, ein KMU oder um einen internationalen Grosskonzern handelt. Angemessen sind die folgenden Fristen für die Ausstellung des Zeugnisses:
- Ausstellung einer Arbeitsbestätigung: ein bis zwei Arbeitstage.
- Ausstellung eines Vollzeugnisses: drei bis sieben Arbeitstage.
Bei besonderen Umständen, wenn z.B. der Vorgesetzte, der für den materiellen Inhalt des Zeugnisses verantwortlich ist, länger abwesend oder nicht mehr im Unternehmen tätig ist oder wenn es sich um einen internationalen Konzern mit sehr komplexen Strukturen handelt, kann eine längere Frist angemessen sein. Mehr als zehn Arbeitstage dürften aber nur in den seltensten Fällen in Frage kommen, etwa bei einer besonderen Lage (Art. 6 EpG) oder einer ausserordentlichen Lage (Art. 7 EpG). Hier kann es der Arbeitgeberin u.U. nicht zugemutet werden, nur zehn Arbeitstage Zeit für die Ausstellung eines Arbeitszeugnisses zu (vgl. hierzu etwa Etter, Kommentierung zu Art. 330a OR, in: Etter/Facincani/Sutter (Hrsg.), Arbeitsvertrag, Bern 2021).
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Autoren: Nicolas Facincani/Vivienne-Lee Tschanz
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