Gemäss Art. 29 Abs. 1 des Bundespersonalgesetzes vom 24. März 2000 (BPG; SR 172.220.1) in Verbindung mit Art. 57 Abs. 4 BPV kann die zuständige Stelle den Lohnanspruch gemäss Art. 56 Abs. 1 und 2 BPV kürzen oder in schweren Fällen entziehen, wenn die angestellte Person ohne triftigen Grund ihre Mitwirkung an den Eingliederungsmassnahmen nach Art. 11a BPV verweigert. In Art. 11a BPV ist vorgesehen, dass die zuständige Stelle bei krankheits- oder unfallbedingter Arbeitsverhinderung einer angestellten Person alle sinnvollen und zumutbaren Möglichkeiten ausschöpft, um die betroffene Person wieder in den Arbeitsprozess einzugliedern (Eingliederungsmassnahmen des Arbeitgebers; Abs. 1 Satz 1). Die angestellte Person ist verpflichtet, an den Eingliederungsmassnahmen mitzuwirken (Abs. 2; vgl. Art. 21 Abs. 1 lit. d BPG). Voraussetzung der Anwendbarkeit dieser Bestimmung ist somit die Anwendbarkeit des Bundespersonalgesetzes auf das entsprechende Arbeitsverhältnis.

 

BGer 1C_290/2023 vom 9. April 2024

Das Bundesgericht hatte sich in BGer 1C_290/2023 vom 9. April 2024 mit einem Fall zu befassen, bei welchem einem Arbeitnehmer, welcher als Instruktor in der Gruppe Verteidigung angestellt und seit dem 1. Juni 2018 als Fachausbilder beim Lehrverband (nachfolgend: Arbeitgeberin) tätig war, die Lohnfortzahlung gestützt auf die obige Bestimmung verweigert wurde. Zwischen November 2018 und Juni 2020 war er wegen Krankheit insgesamt achtmal während jeweils ein bis zwei Wochen und seit dem 7. September 2020 war er bis auf weiteres vollumfänglich arbeitsunfähig. Dem Fall lag der folgende Sachverhalt zugrunde:

 

Sachverhalt

Nachdem der Arbeitnehmer ab dem 7. September 2020 erneut nicht arbeitsfähig war, ermahnte ihn die Arbeitgeberin mit Schreiben vom 28. September 2020 ein erstes Mal schriftlich und forderte ihn auf, ein Arztzeugnis einzureichen. Sie informierte ihn, dass aufgrund der wiederholten krankheitsbedingten Abwesenheiten eine Untersuchung durch einen Vertrauensarzt veranlasst werde und die Lohnzahlung per sofort eingestellt werden könne, sollte er dieser Aufforderung nicht nachkommen. Am 29. September 2020 forderte sie den Arbeitnehmer auf, das Formular „Ressourcenorientiertes Eingliederungsprofil“ zusammen mit seinem behandelnden Arzt auszufüllen und zu retournieren, damit sie sich ein Bild über seine gesundheitliche Situation machen und seine Belastbarkeit in gesundheitlicher Hinsicht beurteilen könne. Am 14. Oktober 2020 bot sie ihm eine gemeinsame Standortbestimmung an. Mit Schreiben vom 26. Oktober 2020 bat sie ihn, das Formular „Entbindung von der Schweigepflicht“ zu unterzeichnen, um die angekündigte vertrauensärztliche Untersuchung einleiten zu können, wobei sie die diesbezügliche Frist zweimal verlängerte. Mit Schreiben vom 18. Januar 2021 informierte die Arbeitgeberin den Arbeitnehmer erneut über die ihm obliegenden Pflichten.

Der Arbeitnehmer liess durch seinen damaligen Rechtsvertreter am 1. Oktober 2020, am 30. November 2020, am 7. Januar 2021 und am 29. Januar 2021 Arztzeugnisse einreichen. Zudem liess er am 29. Januar 2021 mitteilen, sich mit der Arbeitgeberin in Verbindung zu setzen, sobald er in der Lage sei, an Eingliederungsmassnahmen teilzunehmen.

Zwischen Februar 2021 und Oktober 2021 forderte die Arbeitgeberin den Arbeitnehmer insgesamt sechsmal dazu auf, Arztzeugnisse einzureichen. Mit Schreiben an den Arbeitnehmer vom 9. November 2021 bat die Arbeitgeberin ihn erneut, die Formulare auszufüllen und zu retournieren. Sie machte ihn nochmals auf seine Pflicht aufmerksam, an den Eingliederungsmassnahmen mitzuwirken. Zudem zeigte sie ihm auf, dass das Arbeitsverhältnis bei Verweigerung der Mitwirkung ohne triftigen Grund vor Ende der Lohnfortzahlungsfrist im Krankheitsfall gekündigt, der Lohnanspruch gekürzt oder in schweren Fällen sogar entzogen werden könne. Weitere rechtliche Schritte behielt sie ausdrücklich vor. Zudem unterbreitete die Arbeitgeberin ihm erneut ein Angebot zu einer gemeinsamen Standortbestimmung am runden Tisch. Ein weiteres Schreiben erging am 9. Dezember 2021 an seinen neuen Rechtsvertreter, womit sie erneut über die Mitwirkungspflichten und die Konsequenzen der Nichtbefolgung informierte und die Frist zur Retournierung der beiden Formulare letztmalig bis zum 16. Dezember 2021 verlängerte.

Nachdem die Arbeitgeberin die verlangten Formulare oder Arztzeugnisse bis zum 20. Januar 2022 nicht erhalten hatte, veranlasste sie die angekündigte Einstellung der Lohnzahlungen im Krankheitsfall mit Wirkung ab dem 1. Januar 2022.

Mit Schreiben vom 20. Januar 2022 und 26. Januar 2022 liess der Arbeitnehmer zwei Arztzeugnisse einreichen und mitteilen, dass er sich am 28. Januar 2022 einer Operation unterziehen müsse. Danach strebe er eine berufliche Wiedereingliederung an. Einer vertrauensärztlichen Untersuchung habe er sich im Übrigen nie widersetzt. Jedoch werde er die Entbindungserklärung nicht blanko unterzeichnen. Er sei immer noch arbeitsunfähig und in keiner Weise unkooperativ. Für die Einstellung des Lohnes bestehe keine Grundlage.

Die Arbeitgeberin antwortete mit Schreiben vom 28. Januar 2022, verwies auf die ergangene Korrespondenz und wies die Ausführungen bezüglich „Blanko-Erklärung“ als aktenwidrig zurück. Sie bat den Arbeitnehmer, zeitnah mitzuteilen, ob er eine beschwerdefähige Verfügung verlange, was dieser am 31. Januar 2022 tat. In der Folge erliess die Arbeitgeberin am 4. Februar 2022 die strittige Verfügung betreffend die Einstellung der Lohnzahlungen.

 

Erwägungen der Vorinstanz

Die Vorinstanz erwog, den Akten zufolge sei die Einstellung der Lohnfortzahlung in erster Linie aufgrund der Weigerung des Arbeitnehmers erfolgt, an den Eingliederungsmassnahmen mitzuwirken. Die gründliche Klärung des Sachverhalts stehe am Anfang jedes Eingliederungsprozesses und sei als Teil von diesem zu betrachten. Insofern seien die vertrauensärztliche Untersuchung und das Ausfüllen eines Ressourcenorientierten Eingliederungsprofils gemeinsam mit dem behandelnden Arzt als sinnvoller und zumutbarer erster Schritt zur Wiedereingliederung einer angestellten Person und somit als Eingliederungsmassnahme zu betrachten. Ohne die Mitwirkung des Arbeitnehmers sei es der Arbeitgeberin über eine Dauer von 15 Monaten nicht möglich gewesen, zu eruieren, welche Eingliederungsmassnahmen sie zu treffen habe. Ebenfalls habe sie keine Prognose zum weiteren Einsatz des Arbeitnehmers erstellen können. Die wiederholte, monatelange Weigerung einer angestellten Person, den Arbeitsarzt der SUVA Militärversicherung und die sie behandelnden Ärzte von ihrer Schweigepflicht zu entbinden sowie gemeinsam mit den behandelnden Ärzten ein Ressourcenorientiertes Eingliederungsprofil zu erstellen, komme demzufolge einer verweigerten Mitwirkung an einer Eingliederungsmassnahme gleich (Art. 11a der Bundespersonalverordnung vom 3. Juli 2001 [BPV; SR 172.220.111.3]).

Als massgebend erachtete die Vorinstanz mithin, dass der Arbeitnehmer der Aufforderung der Arbeitgeberin zur Retournierung der ausgefüllten und unterzeichneten Formulare keine Folge leistete. Letztmals wurde er dazu mit Schreiben vom 9. Dezember 2021 aufgefordert, mit dem gleichzeitig die dafür angesetzte Frist entsprechend seinem Ersuchen letztmalig bis zum 16. Dezember 2021 erstreckt wurde. Der Arbeitgeberin wurden die Formulare indes auch innert dieser Frist und bis zum 20. Januar 2022 nicht eingereicht. Vor diesem Hintergrund erschliesst sich nicht, inwiefern die im Schreiben vom 20. Januar 2022 in unverbindlicher Weise geäusserte Bereitschaft des Arbeitnehmers, das weitere Vorgehen an einem runden Tisch zu besprechen (vgl. oben E. 4.2), für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann.

 

Runder Tisch?

Der Arbeitnehmer machte vor Bundesgericht geltend, die Vorinstanz habe nicht berücksichtigt, dass er mit Schreiben vom 20. Januar 2022 einerseits dargelegt habe, bisher nicht in der Lage gewesen zu sein, die geforderten Unterlagen einzureichen, und andererseits ausdrücklich darum gebeten habe, die von der Arbeitgeberin angeregte gemeinsame Standortbestimmung am runden Tisch durchzuführen. Um die Verhältnismässigkeit der angeordneten Einstellung der Lohnzahlung beurteilen zu können, sei es von Bedeutung, dass er sich kooperativ gezeigt und vor allem ausdrücklich um eine Besprechung am runden Tisch ersucht habe.

Das Bundesgericht verneinte dies:

Die Vorinstanz habe im Zusammenhang mit der Prüfung der Verhältnismässigkeit festgestellt, die Arbeitgeberin habe den Arbeitnehmer mehrmals auf seine Mitwirkungspflichten im Krankheitsfall aufmerksam gemacht. Auf diese Aufforderungen habe der Arbeitnehmer nicht oder nur mit Fristerstreckungsgesuchen reagiert. Der Arbeitgeberin sei es nicht möglich gewesen, sich über den Gesundheitszustand des Arbeitnehmers zu informieren. Entgegen seines Vorbringens im Beschwerdeverfahren habe er aktenkundig nicht auf das Angebot der Arbeitgeberin reagiert, an einem runden Tisch das weitere Vorgehen zu besprechen. Ihr sei es damit nicht möglich gewesen, sich ein Bild über seine gesundheitliche Situation zu machen und Massnahmen zur Wiedereingliederung in die Wege zu leiten, wozu sie als Arbeitgeberin jedoch gehalten gewesen wäre.

Der Arbeitnehmer bestreite auch nicht, mehrmals auf seine Mitwirkungspflichten aufmerksam gemacht worden zu sein und darauf nicht oder nur mit Fristerstreckungsgesuchen reagiert zu haben. Es ist daher gemäss Bundesgericht nicht zu beanstanden, wenn die Vorinstanz folgerte, die Arbeitgeberin habe trotz umfangreicher Bemühungen auch 15 Monate nach Beginn der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit die gesundheitliche Situation des Arbeitnehmers nicht abklären können, um gegebenenfalls einen Eingliederungsprozess einzuleiten. Daran ändert das Vorbringen des Arbeitnehmers nichts, wonach es gerade zu seinem Krankheitsbild gehört habe, dass er über längere Zeiträume hinweg nicht oder nur sehr eingeschränkt in der Lage gewesen sei, sich mit den an ihn gestellten Anforderungen auseinanderzusetzen, zumal er dies nicht belegt. Ausserdem war er ab Oktober 2020 anwaltlich vertreten.

Mit seinem Vorbringen, er habe am 20. Januar 2022 um eine Besprechung am runden Tisch gebeten bzw. ersucht, vermag der Arbeitnehmer gemäss Bundesgericht ebenfalls keine offensichtlich unrichtige oder rechtsverletzende Sachverhaltsfeststellung durch die Vorinstanz darzutun. Die Arbeitgeberin habe bereits am 14. Oktober 2020 die Möglichkeit eines runden Tischs zur Aussprache und einer gemeinsamen Standortbestimmung angeboten. Dass der Arbeitnehmer darauf reagiert habe, mache er weder geltend noch sei dies erkennbar. Mit Schreiben vom 9. November 2021 habe die Arbeitgeberin dem Arbeitnehmer mitgeteilt, ihm zusätzlich erneut die Möglichkeit eines runden Tischs zur Aussprache und einer gemeinsamen Standortbestimmung anzubieten. Sollte er von diesem Angebot Gebrauch machen wollen, sei er gebeten, sich zwecks Terminabsprache unter angegebener Telefonnummer mit ihr in Verbindung zu setzen. Zwar habe der Arbeitnehmer zweimal um Erstreckung der ihm mit diesem Schreiben angesetzten Frist zur Retournierung der ausgefüllten und unterzeichneten Formulare ersucht, die ihm auch gewährt wurden. Dass er sich bei der Arbeitgeberin gemeldet habe, um einen Termin für einen runden Tisch zu vereinbaren, ergebe sich jedoch nicht. Daran ändert gemäss Bundesgericht nichts, dass der Arbeitnehmer im Schreiben vom 20. Januar 2022 ausführte: „Anzustreben ist vorab eine Besprechung des weiteren Vorgehens an einem runden Tisch. Ich werde mich diesbezüglich mit separatem Schreiben nochmals bei Ihnen melden.“ Dass ein entsprechendes Schreiben ergangen wäre, macht der Arbeitnehmer weder geltend noch ist dies ersichtlich. Vor diesem Hintergrund kann dem Arbeitnehmer nicht gefolgt werden, wenn er geltend macht, er habe sich kooperativ gezeigt und ausdrücklich darum gebeten bzw. ersucht, eine gemeinsame Standortbestimmung am runden Tisch durchzuführen.

 

Verhältnismässigkeit

Die Vorinstanz erwog in diesem Zusammenhang, trotz umfangreicher Bemühungen habe die Arbeitgeberin auch 15 Monate nach Beginn der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit die gesundheitliche Situation des Arbeitnehmers nicht abklären können, um gegebenenfalls einen Eingliederungsprozess einzuleiten. Der Zweck der Einstellung der Lohnzahlung liege darin, die betreffende angestellte Person zur Mitwirkung an Eingliederungsmassnahmen zu bewegen. Im Übrigen sei die Einstellung der Lohnfortzahlung als vorübergehende Massnahme ausgestaltet. Nachdem sämtliche Bemühungen der Arbeitgeberin gescheitert seien, überhaupt erst den Eingliederungsprozess zu lancieren und eine Verhaltensänderung nicht zu erwarten gewesen sei, erweise sich die Einstellung der Lohnfortzahlung auch unter dem Aspekt der Verhältnismässigkeit als zulässig. Gemäss Bundesgericht sind dies Erwägungen nicht zu beanstanden.

 

Kein schwerer Fall?

Die Vorinstanz bejahte das Vorliegen eines schweren Falls im Sinne von Art. 57 Abs. 4 BPV, weil die Unterzeichnung der Ermächtigung und das Ausfüllen des Ressourcenorientierten Eingliederungsprofils für die weitere Sachverhaltsabklärung notwendig gewesen wären, die Weigerung des Beschwerdeführers über 15 Monate angedauert und dieser vorsätzlich gehandelt habe.

Der Arbeitnehmer brachte vor, sein Gesundheitszustand habe sich verbessert. Im Zeitpunkt der Mitteilung sei er lediglich noch wegen einer bevorstehenden Handoperation arbeitsunfähig gewesen. Damit hätten sich viele Fragen erübrigt. Nachdem er seine Arbeitskraft wieder angeboten habe, hätte ihn die Arbeitgeberin persönlich anhören müssen, statt auf die Zustimmung zur Durchführung der vertrauensärztlichen Untersuchung zu beharren. Dieses Argument wurde vom Bundesgericht zurückgewiesen:

5.4. Mit diesen Vorbringen zeigt der Beschwerdeführer nicht auf, inwiefern das angefochtene Urteil gegen Bundesrecht verstossen soll; eine Auseinandersetzung mit den vorinstanzlichen Erwägungen findet nicht statt. Abgesehen davon hielt der Beschwerdeführer in seinem Schreiben vom 20. Januar 2022 lediglich fest, die Arztzeugnisse betreffend Arbeitsunfähigkeit künftig regelmässig einzureichen. Am 28. Januar 2022 werde er einer Operation unterzogen, wobei die Regenerationszeit und die damit verbundene Arbeitsunfähigkeit „im Normalfall einige Wochen“ dauere. Danach strebe er eine berufliche Wiedereingliederung an.  

Die vorinstanzlichen Erwägungen zum Fehlen triftiger Gründe, welche die verweigerte Mitwirkung des Beschwerdeführers gerechtfertigt hätten, bestreitet dieser nicht. Soweit er sich auf sein Ersuchen beruft, die gemeinsame Standortbestimmung am runden Tisch durchzuführen, wird auf obige Erwägung 4 verwiesen. Auf seine Rüge an der vorinstanzlichen Zusammenfassung der Begründung der Arbeitgeberin braucht nicht eingegangen zu werden, denn diese ist rechtlich nicht relevant. 

Eine Verletzung von Art. 57 Abs. 4 in Verbindung mit Art. 11a BPV ist demnach weder dargetan noch erkennbar. 

 

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Autor: Nicolas Facincani

 

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