Im Entscheid vom 3. Juni 2024 (4A_399/2022) stellte sich die Frage der Rechtmässigkeit einer fristlosen Kündigung. Der Arbeitnehmer soll versucht haben, sein ganzes Team zu einer anderen Arbeitgeberin zu überführen. Dabei schlugen die Rügen des Arbeitnehmers, wonach die fristlose Kündigung zu spät erfolgt sei und die Vorinstanz den Sachverhalt willkürlich festgestellt habe, fehl. Dem Urteil lag folgender Sachverhalt zugrunde:

 

Sachverhalt

Am 18. Juni 2008 stellte die B. SA (nachfolgend: Arbeitgeberin) A (nachfolgend: Arbeitnehmer) als Investment Manager an. Am 3. Juni 2013 vereinbarten die Parteien eine Erhöhung des Grundlohnes auf Fr. 400’000 pro Jahr, eine Mindestbeschäftigungsdauer bis zum 30. Juni 2016 und die Gewährung eines Bonus von Fr. 400’000, der dem Mitarbeiter mit seinem Lohn für Juni 2013 ausgezahlt werden sollte, unter der festen Bedingung, dass er während der gesamten Dauer dieser Vereinbarung bei der Bank beschäftigt bleibt. Am 5. November 2015 schrieb ein Anwalt aus Lugano die Arbeitgeberin an, dass fünf ihrer Kundenberater, die demselben Team angehören, an ihn herangetreten seien und ihn darauf hingewiesen hätten, dass der Arbeitnehmer versucht habe, sie zur Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses zu bewegen, um gemeinsam bei einer anderen, in der gleichen Region tätigen Bank angestellt zu werden. Er habe ihnen bedeutende persönliche finanzielle Vorteile in Aussicht gestellt und die Entlassung angedroht.

Am 6. November 2015 entliess die Arbeitgeberin den Arbeitnehmer fristlos. Der Arbeitnehmer verlangte eine Begründung, woraufhin die Arbeitgeberin die Kündigung damit begründete, dass sie von einem Plan, der seine Versetzung mit einem Teil seines Teams zu einer anderen Bank vorsah, und von seinem inakzeptablen Verhalten in diesem Zusammenhang, Kenntnis erhalten habe.

Mit Klage vom 30. Mai 2016 forderte der Arbeitnehmer die Zahlung von Fr.  883’088.65 (bestehend aus nicht bezogenen Ferien, Bonus für die Jahre 2013 und 2014 und Entschädigung für eine ungerechtfertigte fristlose Entlassung). In teilweiser Gutheissung der Klage verurteilte die Erstinstanz die Arbeitgeberin, dem Arbeitnehmer Fr. 95’000 (brutto) an Boni und Fr. 66’945 (brutto) für nicht bezogene Ferien, Fr.  67’000 (netto) an Entschädigung für die fristlose Entlassung und Fr.  447’722.20 für den in der Zwischenzeit von der Arbeitgeberin entschädigten Bonus nebst Zinsen zu bezahlen. Die Zweitinstanz (Appellationsgerichts des Kantons Tessin) hat in teilweiser Gutheissung der Berufung der Arbeitgeberin die als Bonus und Entschädigung für nicht bezogene Ferien anerkannten Beträge auf Fr. 67’500 bzw. auf Fr. 61’600 reduziert.

Mit Urteil 4A_365/2020 vom 5. April 2022 hat das Bundesgericht in teilweiser Gutheissung einer Beschwerde in Zivilsachen der Arbeitgeberin, das Berufungsurteil aufgehoben. Es erinnerte daran, dass bei einer fristlosen Verdachtskündigung durch den Arbeitgeber eine fristlose Entlassung gerechtfertigt ist, wenn gelingt, die Umstände nachzuweisen, unter denen das Vertrauensverhältnis zwischen den Parteien als unwiederbringlich zerstört anzusehen ist, da grundsätzlich die tatsächliche Situation massgebend ist, auch wenn diese erst nach der Vertragsbeendigung festgestellt wird. Es hat daher die Sache an die Zweitinstanz zurückgewiesen, woraufhin diese das Urteil des erstinstanzlichen Gerichts in dem Sinne aufhob, dass dem Antrag nur hinsichtlich der Entschädigung für nicht bezogene Ferien in Höhe von Fr. 61‘600 stattgegeben wurde. Das Kantonsgericht war der Ansicht, dass die fristlose Entlassung gerechtfertigt war, weil der Arbeitnehmer versucht hatte, die Abwanderung seines Beraterteams zu einer anderen Bank zu organisieren und damit das Vertrauensverhältnis zum Arbeitgeber zu zerstören.

Das Kantonsgericht stellte nach Analyse der Zeugenaussagen der fünf Berater (die sich an den Anwalt gewandt hatten) fest, dass der Arbeitnehmer die Strategie, einen grossen Teil seines Teams zur anderen Bank zu bringen, (erfolglos) umgesetzt hatte. So gab die Arbeitgeberin an, dass der Arbeitnehmer durch sein Verhalten einerseits Entlassungen befeuerte und andererseits bessere Bedingungen beim neuen Arbeitgeber in Aussicht gestellt hatte. Zudem erwog die Vorinstanz, dass die (unbewiesene) Tatsache, dass der Arbeitnehmer nach seiner Entlassung unter depressiven Problemen gelitten hat, nicht ausschliesse, dass der Arbeitnehmer versucht habe, den Migrationsplan zu verwirklichen. Das Kantonsgericht stellte daher fest, dass die im Nachhinein festgestellten Ereignisse eine schwerwiegende Verletzung der Loyalitätspflicht darstellten, die geeignet war, das Vertrauensverhältnis zwischen den Parteien zu zerstören und eine fristlose Entlassung zu rechtfertigen. Daraufhin erhob der Arbeitnehmer Beschwerde in Zivilsachen beim Bundesgericht.

 

Generelle Erwägungen

Gemäss Art. 337 Abs. 1 OR können der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis jederzeit aus wichtigem Grund kündigen. Als wichtiger Grund gilt insbesondere jeder Umstand, der es aus Gründen von Treu und Glauben nicht erlaubt, vom Kündigenden die Fortsetzung des Vertrags zu verlangen (Art. 337 Abs. 2 OR; vgl. zum Gazen etwa (vgl. Etter/Sokoll, in: Facincani/Etter/Sutter, Arbeitsvertrag, Art. 337 N 1 ff.)).

Nach der Rechtsprechung ist die fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses restriktiv zuzulassen (BGE 137 III 303 Rz. 2.1.1). Nur besonders schwere Verfehlungen können eine solche Massnahme rechtfertigen. Das Fehlverhalten eines Arbeitnehmers wird im Allgemeinen als Verstoss gegen eine Verpflichtung aus dem Arbeitsvertrag verstanden. Ein solcher Verstoss muss objektiv geeignet sein, das wesentliche Vertrauensverhältnis des Arbeitsvertrags zu zerstören oder zumindest so tiefgreifend zu beeinträchtigen, dass die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses nicht verlangt werden kann, und muss diese Folge tatsächlich verursacht haben (BGE 142 III 579, E. 4.2). Der Richter entscheidet nach freiem Ermessen, ob ein schwerwiegender Grund vorliegt (Art. 337 Abs. 3 OR) und wendet die Regeln des Rechts und der Billigkeit an (Art. 4 ZGB); zu diesem Zweck berücksichtigt er alle Elemente des konkreten Falls, insbesondere die Stellung und die Verantwortung des Arbeitnehmers, die Art und die Dauer des Vertragsverhältnisses sowie die Art und die Bedeutung des geltend gemachten Vorfalls (BGE 137 III 303, E. 2.1.1).

Liegt ein wichtiger Grund vor, muss die fristlose Kündigung unter Androhung der Verwirkung unverzüglich ausgesprochen werden. Wird sie verzögert, erweckt die Partei den Eindruck, sie habe auf die sofortige Kündigung verzichtet oder sie könne sich mit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum ordentlichen Ablauf des Vertrages begnügen (BGE 138 I 113 E. 6.3.1, mit Hinweisen). Die Umstände des konkreten Falles bestimmen den Zeitrahmen, innerhalb dessen einer Partei zugemutet werden kann, den Entscheid zur sofortigen Vertragsauflösung zu treffen. Im Allgemeinen hält die Rechtsprechung eine Bedenkzeit von zwei bis drei Arbeitstagen und eine Rechtsbelehrung für ausreichend. Eine zusätzliche Frist ist zulässig, wenn sie durch die praktischen Erfordernisse des täglichen und wirtschaftlichen Lebens gerechtfertigt ist; die Rechtsprechung hat bereits festgestellt, dass eine Verlängerung um einige Tage zulässig ist, wenn der Entscheid von einem mehrgliedrigen Organ einer juristischen Person getroffen werden muss oder wenn der Vertreter des Arbeitnehmers angehört werden muss (BGE 138 I 113, E. 6.3.2). Die Bestimmung der Kündigungsgründe ist eine Tatfrage (ATF 149 II 337, E. 7.2, mit Hinweisen; Urteil 4A_333/2023 vom 23. Februar 2024 E. 4.1.2).

 

Erwägungen im konkreten Fall

Zunächst rügte der Arbeitnehmer, dass das Kantonsgericht die Verspätung der Kündigung nicht festgestellt und damit eine Rechtsverweigerung und eine offensichtlich unrichtige und willkürliche Beurteilung des Sachverhalts begangen habe. So habe die Geschäftsleitung der Arbeitgeberin bereits anlässlich eines Gesprächs am 2. November 2015 von seinen Plänen erfahren, womit die fristlose Kündigung vom 6. November verspätet gewesen sei. Dem folgte das Bundesgericht nicht, da bereits in der Berufung der vorgerichtlichen Entscheidung (im anderen Verfahren) darauf hingewiesen wurde, dass die Kündigung fristgerecht erfolgt sei: „In concreto occorre innanzi tutto osservare che, contrariamente a quanto preteso nel ricorso, la decisione pretorile indicava che il licenziamento era “ intervenuto tempestivamente“ (BGer 4A_399/2022, Urteil des Bundesgerichts vom 3. Juni 2024, E.3.2). Hätte der Arbeitnehmer eine Überprüfung der Rechtzeitigkeit der fristlosen Kündigung gewollt, so hätte er dies vor dem Berufungsgericht im anderen Verfahren vorbringen müssen: „Di conseguenza, se desiderava che la Corte di appello si chinasse sulla questione della tempestività del licenziamento, avrebbe dovuto proporre in quella sede i suoi argomenti.“ (BGer 4A_399/2022, Urteil des Bundesgerichts vom 3. Juni 2024, E.3.2). Diesbezüglich erwies sich die Beschwerde folglich als unzulässig (vgl. überdies BGE 146 III 203 E. 3.3.4; 143 III 290 E. 1.1).

Ferner machte der Arbeitnehmer geltend, dass das angefochtene Urteil widersprüchlich sei, da es feststelle, dass sein Plan konkret und ernsthaft gewesen sei, obwohl es festgestellt habe, dass er bei seinen Kollegen in keinster Weise beeinflusst habe und dass für einige von ihnen ein neuer Wechsel verfrüht und schwierig gewesen sei. Es wäre auch willkürlich anzunehmen, dass die fünf Berater sich nur an den Anwalt gewandt hätten, um sich vor möglichen Vergeltungsmassnahmen der Bank zu schützen. Der Arbeitnehmer machte weiter geltend, das Kantonsgericht habe Bundesrecht verletzt, indem es feststellte, dass seine Befragung, in der er die Existenz des ihm zugeschriebenen Plans bestritt, mit grosser Vorsicht zu beurteilen sei, da sie von der Beklagten beantragt worden sei und keinen verminderten Beweiswert habe. Schliesslich hält er es für unhaltbar, ihm vorzuwerfen, die unbestrittenen depressiven Störungen nicht bewiesen zu haben. Das Bundesgericht erwog dazu, dass der Arbeitnehmer lediglich den vom kantonalen Gericht festgestellten Sachverhalt und dessen Beweiswürdigung kritisierte. Die erhobenen Rügen sind jedoch nicht geeignet, eine willkürliche Tatsachenfeststellung zu begründen. Sie richten sich zum einen gegen nicht entscheidungserhebliche Gesichtspunkte wie die festgestellten psychischen Probleme, die verneinte Rechtsschutzbedürftigkeit der fünf Betreuer oder die nicht vorhandenen Erfolgsaussichten des ihnen zugeschriebenen Plans und erschöpfen sich zum anderen hinsichtlich der entscheidungserheblichen Tatsachen in einer persönlichen Beweiswürdigung, die die Feststellungen des angefochtenen Urteils nicht als unhaltbar erscheinen lässt. Folglich ist auch die Beschwerde abzuweisen: „[…] il ricorrente […] si limita a criticare i fatti constatati dalla Corte cantonale e l’apprezzamento delle prove da questa effettuato. Le censure sollevate – peraltro di natura appellatoria – sono tuttavia inidonee a dimostrare un accertamento arbitrario dei fatti. Da un lato esse sono dirette contro aspetti non determinanti per il giudizio, quali i problemi psicologici riscontrati, la negata esigenza di una tutela legale dei cinque consulenti o le inesistenti possibilità di successo del piano attribuitogli e, dall’altro, per quanto concernono invece i fatti rilevanti per la decisione, si esauriscono in una personale ponderazione delle prove, che non fa apparire insostenibile quella contenuta nella sentenza impugnata. Ne segue che anche questa censura va disattesa.“ (BGer 4A_399/2022, Urteil des Bundesgerichts vom 3. Juni 2024, E.3.2).

 

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Autoren: Nicolas Facincani Matteo Ritzinger

 

 

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