Immer wieder stellt sich die Frage, ob eine Kündigung, die im Anschluss an eine Krankheit oder wegen einer Krankheit (nach Ablauf allfällige Sperrfristen) missbräuchlich sind oder nicht.

In BGer 4A_295/2024 vom 20. August 2024 fasst das Bundesgericht die Rechtslage unter Hinweis auf die ergangene Rechtsprechung zusammen:

Es ist grundsätzlich zulässig, jemandem wegen einer die Arbeitsleistung beeinträchtigenden Krankheit zu kündigen, jedenfalls soweit die Sperrfrist nach Art. 336c Abs. 1 lit. b OR abgelaufen ist (BGE 136 III 510 E. 4.4; 123 III 246 E. 5). Dagegen läge eine nach Art. 336 OR verpönte Treuwidrigkeit vor, wenn die krankheitsbedingte Beeinträchtigung der Verletzung einer dem Arbeitgeber obliegenden Fürsorgepflicht zuzuschreiben wäre (Urteile 4A_293/2019 vom 22. Oktober 2019 E. 3.5.1 mit Hinweisen).

Eine Kündigung wegen andauernder Krankheit ist nur in sehr schwerwiegenden Fällen („krasse Fälle“) als missbräuchlich im Sinne von Art. 336 Abs. 1 lit. a OR zu qualifizieren (BGE 136 III 513 E. 2.3; 132 III 115 E. 2.1; 131 III 535 E. 4.2). Dies kann nur dann der Fall sein, wenn aus der Beweisführung eindeutig hervorgeht, dass der Arbeitgeber die Krankheit des Arbeitnehmers direkt verursacht hat, z.B. wenn er es unterlassen hat, Massnahmen zum Schutz des Arbeitnehmers wie in Art. 328 Abs. 2 OR vorgesehen zu treffen und der Arbeitnehmer deshalb krank wurde. Wenn die Situation diesen Schweregrad nicht erreicht, wie es bei Arbeitsunfähigkeit aufgrund einer psychischen Krankheit häufig der Fall ist, ist die Kündigung nicht missbräuchlich. Denn Schwierigkeiten am Arbeitsplatz können häufig zu Depressionen oder anderen psychischen Störungen führen, die keine direkt durch den Arbeitgeber verursachte Krankheit darstellen (BGE 150 III 78 E. 3.1.3 mit Hinweisen).

 

Missbräuchlichkeit der Kündigung

Im BGer 4A_295/2024 vom 20. August 2024 zugrunde liegenden Sachverhalt war der Arbeitnehmer 26. Mai 2021 bis 20. Juni 2021 zu 100% arbeitsunfähig, danach nahm er die Arbeit in einem Pensum von 20%-30% wieder auf. Nach der Rückkehr an den Arbeitsplatz teilte er der Arbeitgeberin mit, dass er aufgrund eines Burnouts krankgeschrieben sei und plane, in eine entsprechende Klinik zu gehen. Am 30. August 2021 kündigte die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis auf Ende der Sperrfrist.  Der Arbeitnehmer machte in Folge die Missbräuchlichkeit der Kündigung geltend.

Das Bundesgericht schützte die Auffassung der Vorinstanz und verneinte das Vorliegen einer missbräuchlichen Kündigung:

 

Keine Fürsorgepflichtverletzung

Die Vorinstanz erwog, es komme nicht darauf an, ob der Arbeitnehmer im Gespräch mit der Arbeitgeberin vom 21. Juni 2021 eine Reduktion seiner Arbeitsbelastung gefordert oder lediglich um eine diesbezügliche Prüfung gebeten habe. Fest stehe jedenfalls, dass er nicht in ein unverändertes Setting mit gleicher Arbeitslast habe zurückkehren wollen und können, da er sonst unweigerlich wieder in ein Burnout gefallen wäre. Die Kündigung der Arbeitgeberin infolge verminderter Arbeitsleistung wäre nur dann missbräuchlich, wenn die Arbeitgeberin den Ausbruch der Krankheit im Sinne einer Fürsorgepflichtverletzung zu verantworten hätte, was der Arbeitnehmer nicht aufgezeigt habe. Er habe insbesondere nicht belegt, dass er die Arbeitgeberin bereits vor dem 21. Juni 2021 auf seinen Gesundheitszustand aufmerksam gemacht hätte. Zwar sei er bereits im Dezember 2020 und Ende April bzw. Anfang Mai 2021 jeweils wenige Tage arbeitsunfähig gewesen, jedoch ergebe sich aus den Attesten nicht, dass diese Arbeitsunfähigkeit mit einer übermässigen Arbeitsbelastung begründet worden wäre. Solches habe der Arbeitnehmer auch gegenüber seinem Vorgesetzten nicht erklärt. Dieser habe lediglich von Magenschmerzen gewusst, nicht aber von einem Zusammenhang mit der Arbeitsbelastung.

Sodann sei unbestritten, dass die Arbeitgeberin dem Arbeitnehmer am 21. Juni 2021 auf seine Bitte nach einer Reduktion der von ihm zu bearbeitenden Projekte eine Anpassung der Termine offeriert habe, um ihm mehr Zeit für die einzelnen Projekte zu geben. Aus dieser Bitte habe die Arbeitgeberin aber nicht auf einen sich verschlechternden Gesundheitszustand schliessen müssen, woraus sich eine Fürsorgepflichtverletzung ergeben hätte. Ebenso wenig habe sie ohne (frühere) Hinweise des Arbeitnehmers eine potenziell gesundheitsgefährdende Arbeitsüberlastung annehmen müssen. Dies gelte unbesehen der Tatsache, dass die Zahl der Projekte zwischen 2018 und 2021 von 10 auf 21 gestiegen sei. Die Arbeitgeberin habe glaubhaft dargelegt, dass aufgrund der langen Zeithorizonte der Projekte und der Wartezeiten keine parallele Bearbeitung aller Projekte möglich gewesen sei. Zudem lasse die Projektanzahl allein keinen verlässlichen Rückschluss auf die tatsächliche Arbeitsbelastung zu. Auch die vom Arbeitnehmer eingereichte Mitarbeiterbefragung liefere kein Indiz für die tatsächliche Überbelastung einzelner Mitarbeiter, sondern zeige einzig, dass viele Mitarbeiter ihr Pensum in der besagten Zeit als hoch eingeschätzt hätten und ein gewisser Personalmangel geherrscht habe.

Eine Fürsorgepflichtverletzung sei auch nicht darin zu erblicken, dass die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis nach Kenntnis des Burnouts gekündigt habe, anstatt das Pensum zu reduzieren. Sie habe durchaus Anstrengungen unternommen, den Wiedereinstieg durch Reduktion des Pensums auf 20%-30% und Übertragung der Projekte an andere Mitarbeiter zu erleichtern. Die Arbeitgeberin habe glaubhaft dargelegt, dass die Kündigung aufgrund der Forderung des Arbeitnehmers, in Zukunft deutlich weniger aber dafür grössere Projekte bearbeiten zu dürfen, erfolgt sei. Demgegenüber habe der Arbeitnehmer den Nachweis einer gesundheitsgefährdenden Arbeitslast und insbesondere deren Kenntnis seitens der Arbeitgeberin nicht erbracht. Er habe folglich nicht eindeutig nachgewiesen, dass die Arbeitgeberin direkt für den Ausbruch seiner Krankheit verantwortlich sei. Folglich könne ihr kein Vorwurf gemacht werden, wenn sie nicht bereit gewesen sei, dem Wunsch des Beschwerdeführers nach einem anderen Arbeitsprogramm mit weniger Projekten nachzukommen.

 

Keine Rachekündigung

Auch eine Rachekündigung, indem der Arbeitnehmer dafür bestraft worden wäre, dass er in guten Treuen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis geltend gemacht habe, liege nicht vor bzw. sei nicht erwiesen. Die weitere Rüge, ihm sei aufgrund wiederholter, aber berechtigter Kritik am Unternehmen gekündigt worden, sei verspätet und ohnehin unbegründet. Es fehle insbesondere am Nachweis eines Kausalzusammenhangs zwischen der behaupteten Kritik am Unternehmen und der Kündigung. Dieser erscheine unwahrscheinlich, da der Arbeitnehmer nach eigenen Angaben während seiner gesamten mehrjährigen Anstellungsdauer wiederholt Kritik geübt habe.

Der Arbeitnehmer legte sodann nicht dar, dass die Arbeitgeberin im Zusammenhang mit seiner Krankheit ihre Fürsorgepflicht anderweitig verletzt hätte. Insbesondere kam die Vorinstanz gemäss Bundesgericht nachvollziehbar, mithin ohne Willkür, zum Schluss, dass die Arbeitgeberin vor dem Gespräch vom 21. Juni 2021 nichts von einer krankmachenden Arbeitsbelastung des Arbeitnehmers wusste oder hätte wissen müssen.

Daran ändert nichts, dass er geltend macht, bereits vor dem 21. Juni 2021 um eine Reduktion der von ihm zu bearbeitenden Projekte gebeten und auf die Arbeitsbelastung sowie damit zusammenhängende gesundheitliche Beschwerden hingewiesen zu haben. Wie die Vorinstanz zutreffend erwog, musste die Arbeitgeberin auch aus der Mitarbeiterbefragung sowie der Anzahl Projekte und dem reduzierten Mitarbeiterbestand nicht auf eine krankmachende Überlastung des Beschwerdeführers schliessen. Dies gilt ebenso für seine Arbeitsausfälle im Dezember 2020 und Ende April 2021, zumal diese kurz waren und der Grund der Arbeitsunfähigkeit aus den Arztzeugnissen nicht ersichtlich war. Es ist ohne Belang, dass der Beschwerdeführer zum Schutz seiner Persönlichkeit keine näheren Angaben zum Grund der Ausfälle machen musste. Jedenfalls kann der Arbeitgeberin daraus kein Vorwurf gemacht werden. Entgegen seinem Einwand verlangte die Vorinstanz von ihm auch nicht, die Arbeitgeberin auf die Gefahr eines Burnouts d.h. einer medizinischen Diagnose aufmerksam zu machen.  

Hingegen nahm die Vorinstanz willkürfrei an, dass der Beschwerdeführer vor dem 21. Juni 2021 gegenüber seinem Arbeitgeber oder Vorgesetzten nie einen Zusammenhang zwischen der Arbeitslast und seiner Gesundheit zum Ausdruck brachte (oben E. 3.2.1). Ferner ist unerfindlich, weshalb die Beschwerdegegnerin etwa aus ihrer eigenen Stellenbeschreibung, wonach die Arbeit vielfältig, anspruchs- und verantwortungsvoll sei sowie Einsatz und Flexibilität erfordere, auf eine Überbelastung des Beschwerdeführers hätte schliessen müssen. Soweit er geltend macht, sein Vorgesetzter habe es trotz seiner Hinweise und der Zustände in der Abteilung versäumt, geeignete Massnahmen zu ergreifen, um hinsichtlich der hohen Arbeitslast Abhilfe zu schaffen, bestand dazu nach dem Gesagten, zumindest unter dem Aspekt der Fürsorgepflichtverletzung, kein Anlass.

 

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Autor: Nicolas Facincani

 

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