Im Verfahren BGer 4A_317/2024 ging es insbesondere um die Frage, ob eine 81-jährige Klägerin zu Recht von der Teilnahme an der Schlichtungsverhandlung dispensiert wurde.

 

Sachverhalt

Dem Entscheid des Bundesgerichts lag der folgende Sachverhalt zugrunde:

Die 81-jährige Klägerin beantragte eine Ausgleichszahlung gemäss Art. 105 des Fusionsgesetzes. Nach Erhalt der Vorladung zur Schlichtungsverhandlung ersuchte sie um Dispensation von der persönlichen Erscheinungspflicht aufgrund ihres fortgeschrittenen Alters. Die Beklagte wurde über das Gesuch und dessen Bewilligung erst im Rahmen der Schlichtungsverhandlung in Kenntnis gesetzt. Im Gegensatz zur Klägerin verfügte die Beklagte über keinen Rechtsbeistand:

In ihrem Schlichtungsgesuch beim Friedensrichteramt Kreis II des Kantons Aargau beantragte die Klägerin, dass zu ihren Gunsten aufgrund der Fusion „eine angemessene Ausgleichszahlung“ festzusetzen sei. Nach Erhalt der Vorladung zur Schlichtungsverhandlung stellte die Klägerin ein Gesuch um Dispensation vom persönlichen Erscheinen zur Schlichtungsverhandlung. Eine Generalvollmacht mit Vertretungsbefugnis des Sohnes zugunsten der Klägerin wurde beigelegt. Die Schlichtungsverhandlung fand am 22. September 2022 statt, zu welcher die Klägerin nicht persönlich erschien. Mangels Einigung wurde der Klägerin am gleichen Tag die Klagebewilligung erteilt. Im Gerichtsverfahren machte die Beklagte geltend, die Klägerin hätte vom Schlichtungsverfahren nicht dispensiert werden dürfen.

 

Persönliche Erscheinungspflicht

Grundsätzlich geht einem Gerichtsverfahren ein Schlichtungsverfahren voraus (zu den Ausnahmen ziehe Art. 198 f. ZPO, so etwa für Verfahren im Rahmen des Gleichstellungsgesetzes, etc.).

Gemäss Art. 204 ZPO müssen Parteien persönlich an der Schlichtungsverhandlung erscheinen (zu den Ausnahmen siehe Art. 198 f. ZPO). Hintergrund dieser Spezialregel für das Schlichtungsverfahren war die Überlegung, dass eine Schlichtungsverhandlung meist dann am aussichtsreichsten ist, wenn die Parteien persönlich erscheinen, da nur so eine wirkliche Aussprache stattfinden kann. Auch wenn sich die Parteien begleiten lassen dürfen, sollen sie sich an der Verhandlung doch primär selber äussern. Durch die Pflicht zum persönlichen Erscheinen soll mithin ein persönliches Gespräch zwischen den Parteien vor der allfälligen Klageeinreichung ermöglicht werden. Art. 204 Abs. 1 ZPO zielt in diesem Sinne – wie das Schlichtungsverfahren überhaupt – darauf ab, diejenigen Personen zu einer Aussprache zusammenzubringen, die sich miteinander im Streit befinden und die über den Streitgegenstand auch selber verfügen können

Vertreten lassen kann man sich nur, wer

  • einen ausserkantonalen oder ausländischen Wohnsitz hat
  • wegen Krankheit Alter oder anderen wichtigen Gründen verhindert ist
  • in Streitigkeiten nach Art. 243 ZPO (vereinfachtes Verfahren) als Arbeitgeber bzw. als Versicherer eine angestellte Person oder als Vermieter die Liegenschaftenverwaltung delegiert, sofern diese zum Abschluss eines Vergleichs ermächtigt sind.

 

Kantonale Vorinstanz

Die Vorinstanz hielt im Wesentlichen fest, die Klägerin habe in ihrem Dispensationsgesuch für das Schlichtungsverfahren ihr Alter als Grund angegeben. Die Beklagte sei zwar erst anlässlich der Schlichtungsverhandlung über die Dispensation informiert worden. Es könne allerdings offenbleiben, ob diese Mitteilung verspätet erfolgt sei, da die Beschwerdeführerin ohnehin nur eine Verschiebung der Schlichtungsverhandlung hätte beantragen können, was sie aber nicht getan habe. Unerheblich sei auch, ob die Beschwerdegegnerin ihr Alter bereits im Schlichtungsverfahren habe nachweisen können. Entscheidend sei einzig, ob sie im erstinstanzlichen Verfahren nachweisen konnte, dass sie aufgrund ihres Alters gemäss Art. 204 Abs. 3 lit. b ZPO nicht persönlich an der Schlichtungsverhandlung habe erscheinen müssen. Es sei sodann davon auszugehen, dass gemäss Art. 204 Abs. 3 lit. b ZPO ein gewisses Alter per se als Dispensationsgrund gelte, weil damit die Vermutung einhergehe, dass die betroffene Person aufgrund gewisser Leiden oder Einschränkungen der Schlichtungsverhandlung nicht mehr so gut folgen könne. Jedenfalls liege das Alter der Klägerin mit 81 Jahren deutlich über der von Art. 204 Abs. 3 lit. b ZPO vorausgesetzten Altersgrenze.

 

Argumentation vor Bundesgericht

Die Beklagte beanstandete das vorinstanzliche Urteil in verschiedener Hinsicht. Zusammengefasst machte sie geltend, die Vorinstanz sei aktenwidrig davon ausgegangen, die Klägerin sei wegen ihres Alters von der Schlichtungsverhandlung dispensiert worden. Die Klägerin sei nämlich aus „gesundheitlichen Gründen“ und damit wegen Krankheit dispensiert worden. Die Vorinstanz gehe auch fehl in der Annahme, die Klägerin habe ihr Dispensationsgesuch erst im erstinstanzlichen Verfahren beweisen müssen. Tatsächlich entscheide der Friedensrichter über das Dispensationsgesuch, während das erstinstanzliche Bezirksgericht die Gültigkeit der Klagebewilligung prüfe. Es sei daher notwendig, dass die gesuchstellende Partei ihr Gesuch vor der Schlichtungsverhandlung stelle, belege und begründe, was die Klägerin gerade nicht getan habe. Schliesslich habe die Vorinstanz auch Art. 204 Abs. 3 lit. b ZPO verletzt, indem sie bei der Klägerin aufgrund ihres Alters von einem zulässigen Dispensationsgrund ausgegangen sei.

 

Handeln nach Treu und Glauben

Das BGer setzte sich mit der Begründung der Vorinstanz und der Frage, ob das Alter per se einen Dispensationsgrund dargestellt, nicht auseinander. Es hält fest, dass verfahrensrechtliche Einwendungen bei erster Gelegenheit nach dessen Kenntnisnahme vorzubringen sind. Die Beklagte hätte deshalb bereits bei der Schlichtungsverhandlung auf die persönliche Teilnahme der Klägerin insistieren müssen. Sie könne sich vor Gericht deshalb nicht mehr auf die Ungültigkeit der Klagebewilligung berufen:

5.1. Alle am Zivilprozess beteiligten Personen haben nach Treu und Glauben zu handeln (Art. 52 ZPO; vgl. weiter Art. 5 Abs. 3 BV). Sie sind daher gehalten, verfahrensrechtliche Einwendungen so früh wie möglich vorzubringen, mithin bei erster Gelegenheit nach Kenntnisnahme des Mangels. Ansonsten können sie diese nicht mehr erheben (BGE 143 V 66 E. 4.3; 140 I 271 E. 8.4.3; 138 III 374 E. 4.3.2.). Aus diesem Grund muss die beklagte Partei, die am Schlichtungsverfahren teilnimmt, auf der persönlichen Teilnahme bzw. rechtskonformen Vertretung der klägerischen Partei insistieren (BGE 149 III 12 E. 3.2.1) und kann sich nicht mehr vor Gericht auf die Ungültigkeit der Klagebewilligung berufen (BGE 149 III 12146 III 265 E. 5.5.3). Demnach hätte im vorliegenden Fall zur erfolgreichen Geltendmachung der fehlenden Gültigkeit der Klagebewilligung die Beschwerdeführerin als Beklagte bereits im Schlichtungsverfahren ausdrücklich auf die persönliche Teilnahme der Beschwerdegegnerin bestehen müssen (vgl. BGE 140 III 70 E. 5).  

 

Autor: Nicolas Facincani

 

 

Weitere umfassende Informationen zum Arbeitsrecht finden Sie hier.

 

Umfassende Informationen zum Gleichstellungsrecht finden Sie hier.