Das Zürcher Verwaltungsgericht hielt für ein öffentlich-rechtliches Dienstverhältnis der Stadt Zürich fest: Die wiederholte Falscherfassung der Arbeitszeit zuungunsten der städtischen Arbeitgeberin stellt eine schwerwiegende Verletzung der Treuepflicht der Arbeitnehmerin und somit einen sachlichen Kündigungsgrund dar (einen solchen braucht es vorliegend – siehe unten) und rechtfertigt eine Kündigung ohne vorgängige Mahnung (siehe unten).

 

Sachverhalt

Dem Entscheid des Verwaltungsgerichts (VB.2023.00146 vom 14. März 2024) lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Die Arbeitnehmerin war ab dem 1. April 2006 bei der Stadt Zürich in der Abteilung C tätig. Ab dem 1. August 2010 arbeitete sie mit einem Beschäftigungsgrad von neu 40 % bei der Abteilung C. Im Rahmen von jährlichen Zielvereinbarungs- und Beurteilungsgesprächen (ZBG) wurde die Arbeitnehmerin von ihren Vorgesetzten jeweils mit einem „C“ („vollumfänglich erreicht“) beurteilt.

Der Arbeitsweg der Arbeitnehmerin führte zunächst mit dem Auto von ihrem Wohnort in D zu einem Parkplatz in der Nähe der Tramhaltestelle Kinkelstrasse in der Stadt Zürich. Von dort nahm sie das Tram bis zur Haltestelle Bahnhofplatz/Hauptbahnhof, bevor sie den Rest des Wegs an ihren (hauptsächlichen) Arbeitsort zu Fuss zurücklegte. Im Rahmen einer allgemeinen Überprüfung der Vergütungsansprüche von Kosten für ÖV-Billette kontrollierte die Abteilung C auch bereits eingereichte Spesenbelege (das heisst, Tageswahlkarten des Zürcher Verkehrsverbunds [ZVV] der Arbeitnehmerin). Dabei stellte sie fest, dass die Stempelzeiten auf den Billetten nicht mit den von der Arbeitgeberin im Zeiterfassungssystem (ProTime) erfassten Zeiten übereinstimmten. Insbesondere erfasste die Arbeitnehmerin mehrfach einen Arbeitsbeginn, der vor der auf der ZVV-Fahrkarte erfassten Stempelzeit lag.

Am 12. November 2018 fand ein Gespräch statt, an welchem die Arbeitnehmerin, eine Vertrauensperson von ihr, der Abteilungsleiter sowie die zuständige HR-Verantwortliche teilnahmen. Anlässlich desselben informierte die Abteilung C die Arbeitnehmerin über die Kündigungsabsicht wegen schwerwiegender Verhaltensmängel. Per 16. November 2018 wurde die Arbeitnehmerin vorsorglich freigestellt und am 23. November 2018 wurde ihr anlässlich eines Gesprächs das rechtliche Gehör dazu gewährt. Zur beabsichtigten Kündigung nahm die Arbeitnehmerin am 26. November 2018 schriftlich Stellung.

Mit Verfügung vom 29. November 2018 kündigte die Direktorin der Abteilung C das Anstellungsverhältnis mit der Arbeitnehmerin per 31. März 2019 und stellte sie ab dem 1. Dezember 2018 frei. Zur Begründung führte die Direktorin die Arbeitszeiterfassung sowie die Spesenabrechnung an. Unter letzterem Aspekt hielt die Abteilung C der Arbeitnehmerin vor, sie habe für zahlreiche Tage ZVV-Fahrkarten als Spesenbelege eingereicht, obwohl sie an diesen Tagen gar nicht spesenberechtigt gewesen wäre. Unter dem Titel der Arbeitszeiterfassung warf die Direktorin der Abteilung C der Arbeitnehmerin zusammengefasst vor, sie habe „ihre Arbeitszeit wesentlich falsch zu Ungunsten der Arbeitgeberin erfasst“. Das von der Arbeitnehmerin gestellte Begehren um Neubeurteilung wies der Stadtrat von Zürich am 15. Januar 2020 ab.

 

Anwendbare Rechtsnormen

Nach Art. 17 Abs. 2 PR setzt eine Kündigung durch die Stadt einen sachlichen Grund gemäss Art. 17 Abs. 3 PR voraus und darf nicht missbräuchlich nach den Bestimmungen des Obligationenrechts (OR, SR 220) sein. Ein sachlich zureichender Kündigungsgrund liegt nach Art. 17 Abs. 3 lit. b PR namentlich vor bei Mängeln in der Leistung oder im Verhalten, die trotz schriftlicher Mahnung anhalten oder sich wiederholten. Mit dem Erfordernis des sachlich zureichenden Kündigungsgrunds geht der öffentlich-rechtliche Kündigungsschutz weiter als die Missbrauchstatbestände des Obligationenrechts (BGr, 14. Dezember 2012, 8C_649/2012, E. 8.1, und 25. August 2011, 8C_594/2010, E. 4.4; VGr, 18. März 2021, VB.2020.00628, E. 3.1 Abs. 1).

 

Gründe von gewissem Gewicht

Die Gründe, die zur Kündigung Anlass gegeben haben, müssen von einem gewissen Gewicht sein. Allerdings ist nicht erforderlich, dass sie die Fortsetzung des Arbeitsverhält­nisses als unzumutbar erscheinen lassen; es reicht aus, wenn die Weiterbeschäftigung der oder des Angestellten einem öffentlichen Interesse, insbesondere demjenigen an einer gut funktionierenden Verwaltung, widerspricht. Dies kann sich aus einem unbefriedigenden Verhalten, mangelnder Verantwortungsbereitschaft oder Teamfähigkeit, erheblichen Störungen der Arbeitsgemeinschaft oder aus betrieblichen Motiven ergeben (vgl. BGr, 14. Dezember 2012, 8C_649/2012, E. 8.1 – 1. November 2010, 8C_690/2010, E. 4.2.2 − 1. Juli 2010, 8C_826/2009, E. 2 und 4.5). Stets zu beachten sind die allgemeinen verfassungsrechtlichen Schranken wie das Willkürverbot, das Verhältnismässigkeitsprinzip sowie der Grundsatz von Treu und Glauben. Nach dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit muss die Kündigung erstens ein geeignetes Mittel zur Problemlösung sein, muss sie zweitens in dem Sinn erforderlich sein, dass eine weniger einschneidende Massnahme nicht ebenfalls zum Ziel führen würde, und muss drittens eine Abwägung der gegenseitigen Interessen die Kündigung als gerechtfertigt erscheinen lassen (zum Ganzen VGr, 8. November 2017, VB.2017.00300, E. 4.2 Abs. 2 mit Hinweisen).

 

Kündigung mit vorgängiger Bewährungsfrist – Ausnahme bei schwerwiegenden Verhaltensmängeln

Bevor die Anstellungsinstanz eine Kündigung aufgrund mangelnder Leistung oder unbefriedigenden Verhaltens ausspricht, räumt sie der oder dem Angestellten eine angemessene Bewährungsfrist von mindestens zwei und höchstens sechs Monaten ein (Art. 18 Abs. 1 PR). Bei schwerwiegenden Verhaltensmängeln kann die Kündigung ohne Einräumen einer Bewährungsfrist erfolgen (Abs. 3). Ob bei einer ordentlichen Kündigung aufgrund schwerwiegender Verhaltensmängel gemäss Art. 18 Abs. 3 PR auf eine vorgängige (schriftliche) Mahnung verzichtet werden kann, ist aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls zu beurteilen (VGr, 22. Oktober 2014, VB.2014.00174, E. 4.5 f. mit Hinweisen; vgl. VGr, 25. Mai 2023, VB.2022.00343, E. 2.3, und 24. Juni 2020, VB.2019.00342, E. 3.3 Abs. 1).

 

Beweislast

Die Beweislast für das Vorliegen hinreichender Gründe für die (arbeitgeberseitige) Auflösung eines Anstellungsverhältnisses liegt bei der arbeitgebenden Partei (VGr, 16. März 2023, VB.2022.00541, E. 3.2, und 18. März 2021, VB.2020.00628, E. 3.2 Abs. 1). Erweist sich die Kündigung als missbräuchlich oder sachlich nicht gerechtfertigt, wird die oder der Angestellte von der Stadt Zürich mit der bisherigen oder, wenn dies nicht möglich ist, mit einer anderen zumutbaren Arbeit weiterbeschäftigt. Ist ausnahmsweise beides aus triftigen Gründen nicht möglich, so bemisst sich die Entschädigung nach den Bestimmungen des Obligationenrechts über die missbräuchliche Kündigung (Art. 17 Abs. 4 PR).

 

Falsche Zeiterfassung – auch fristlose Kündigung im Einzelfall möglich

Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung stellen Manipulationen des Zeiterfassungssystems oder Falschbuchungen darin einen schwerwiegenden Verstoss gegen die Treuepflicht der Arbeitnehmerin dar, wobei nicht die Höhe des beim Arbeitgeber entstandenen Schadens, sondern der damit verbundene Treuebruch entscheidend ist. Ob ein solches Verhalten die sofortige Beendigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigt, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab, wobei insbesondere von Bedeutung ist, wie lange das Arbeitsverhältnis bisher gedauert hat, ob das Verhalten wiederholt vorkam und ob der Arbeitnehmerin bekannt sein musste, dass Täuschungen oder Manipulationen im Bereich der Zeiterfassung nicht toleriert würden (BGr, 1. März 2018, 8C_301/2017, E. 4.3.3 – 12. Dezember 2017, 8C_800/2016, E. 3.6.2 – 2. November 2015, 4A_395/2015, E. 3.6 – 4. August 2005, 4C.114/2005, E. 2.5; vgl. VGr, 27. Februar 2020, VB.2019.00676, E. 4.2, und 11. Dezember 2019, VB.2019.00504, E. 3.3 Abs. 1).

 

Beurteilung durch das Verwaltungsgericht

Die Arbeitgeberin qualifizierte die Falschbuchungen der Beschwerdegegnerin im ProTime als schwerwiegenden Verhaltensmangel im Sinn von Art. 18 Abs. 3 PR. Als solche gälten Fälle von grobem Fehlverhalten, die zwar keine fristlose Auflösung des Anstellungsverhältnisses zulassen, aber auch keine Bewährungsfrist mehr rechtfertigen (Weisung des Stadtrats an den Gemeinderat vom 25. Oktober 2020, Erlass eines neues städtischen Personalrats [GR Nr. 2000/494], S. 6; vgl. auch VGr, 18. März 2021, VB.2020.00628, E. 5.1 [grenzüberschreitendes und diskriminierendes Verhalten gegenüber Arbeitskolleginnen und Kollegen sowie gegenüber Kundinnen und Kunden]). Diese Qualifikation ist gemäss Verwaltungsgericht nicht zu beanstanden, zumal Manipulationen des Zeiterfassungssystems oder Falschbuchungen darin – wie dargelegt – unter Umständen selbst eine fristlose Kündigung rechtfertigen könnten. Zu prüfen war daher einzig, ob aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls auf eine vorgängige (schriftliche) Mahnung der Beschwerdegegnerin verzichtet werden konnte. Die Arbeitgeberin brachte vor, dass aufgrund des „tiefgreifenden und unwiderruflichen“ Vertrauensverlusts eine Mahnung zwecklos gewesen wäre.

Das Veraltungsgericht (VB.2023.00146 vom 14. März 2024) schützte die Arbeitgeberin und erachtete die Kündigung als recht- und verhältnismässig. : Der Vertrauensverlust sei erstellt. Dass dieser tatsächlich vorlag, erhellt auch aus den zeitlichen Abläufen und insbesondere der Tatsache, dass die Arbeitnehmerin umgehend freigestellt wurde (zunächst [kurz nach dem Entdecken der nicht korrekten Zeiterfassung] vorsorglich und mit der Kündigungsverfügung definitiv). Hinweise darauf, dass die Arbeitgeberin den Tatbestand des Vertrauensverlusts lediglich anrufe, um die Schutzvorschriften bei einer Kündigung wegen mangelhafter Leistung oder mangelhaften Verhaltens zu umgehen, seien nicht ersichtlich. Wegen dieses Vertrauensverlusts war es nicht notwendig, gegenüber der Beschwerdegegnerin zunächst eine Mahnung auszusprechen (vgl. VGr, 11. November 2021, VB.2020.00762, E. 7, und 28. Oktober 2021, VB.2021.00258, E. 4.2.2 Abs. 2 mit Hinweisen):

6.3.1 Die Beschwerdegegnerin hatte ihre Arbeitszeit selbständig mittels einer Zeiterfassungs-Applikation zu erfassen und zu dokumentieren (vgl. Art. 157 Abs. 1 AB PR). Die Selbsterfassung ist grundsätzlich fehleranfälliger und auch leichter manipulierbar als etwa technische Zeiterfassungsgeräte wie Stempeluhren, weshalb sie von den Mitarbeitenden eine grössere Disziplin verlangt. Gleichzeitig bringt der Arbeitgeber allen Mitarbeitenden, die ihre Arbeitszeit selbständig mittels ProTime erfassen, ein grosses Vertrauen bezüglich der korrekten Erfassung der Arbeitszeit entgegen (vgl. BVGr, 29. August 2016, A-403/2016, E. 5.1).

Auf dieses Vertrauen nimmt die Beschwerdeführerin ausdrücklich Bezug, indem sie auf den Arbeitsort bzw. die Arbeitsorte der Beschwerdegegnerin hinweist. Denn diese arbeitete nicht nur in ihrem Büro in Zürich, sondern nahm auch regelmässig Aussentermine wahr. Zu Recht betont die Beschwerdeführerin in diesem Kontext, dass eine Kontrolle der Arbeitszeiten bei Aussenterminen schlicht nicht möglich sei. Diesem Aspekt kommt im Rahmen der hier vorzunehmenden Verhältnismässigkeitsprüfung ein nicht unerhebliches Gewicht zu. Es ist nachvollziehbar, dass das Vertrauen der Beschwerdeführerin in ihre Mitarbeiterin durch die Entdeckung der falschen Arbeitszeiterfassung (an einer Vielzahl von Arbeitstagen innerhalb eines beschränkten Zeitraums) erheblich beeinträchtigt wurde.

6.3.2 Bezüglich der Schwere der Pflichtverletzung der Beschwerdegegnerin fällt sodann ins Gewicht, dass die erwähnten Falschbuchungen am Morgen fast ausschliesslich zu ihren Gunsten erfolgten. Bereits deshalb bestehen erhebliche Zweifel, ob diese (teilweise) auf die erwähnte Nachlässigkeit der Beschwerdegegnerin bei der Zeiterfassung (vorn, E. 6.1.3) zurückzuführen sind.

6.3.3 Die Beschwerdeführerin bringt sodann zu Recht vor, dass die Höhe des durch die Fehlbuchungen entstandenen Schadens nicht von entscheidender Bedeutung sei, sondern der mit der Manipulation bei der Arbeitszeiterfassung verbundene Treuebruch. Diesem Aspekt mass die Vorinstanz zu wenig Gewicht bei, zumal der Beschwerdeführerin bereits aufgrund der Ausgestaltung ihrer Tätigkeit bzw. den dabei notwendigen Aussenterminen ein grosses Vertrauen entgegengebracht werden musste (vorn, E. 6.3.1).

6.4 Miteinzubeziehen ist sodann der Vorwurf, die Beschwerdegegnerin habe sich zu viele Spesen ausbezahlen lassen, indem sie für zahlreiche Tage ZVV-Fahrkarten als Belege eingereicht habe, obwohl sie an diesen Tagen gar nicht spesenberechtigt gewesen wäre. Die Beschwerdeführerin fasst diesen unter dem Titel der „falschen Spesenabrechnung“ zusammen. Dieser Vorwurf stellte zwar nicht den Hauptgrund für die Kündigung dar (vgl. auch act. …, woraus hervorgeht, dass es anlässlich der Gewährung des rechtlichen Gehörs zur beabsichtigten Kündigung „vor allem um die Zeit“ ging), er ist aber im Zusammenhang mit dem von der Beschwerdeführerin betonten Vertrauensverlust von Bedeutung. Der Beschwerdegegnerin musste klar sein, dass sie lediglich Anspruch auf Spesenersatz hatte, sofern sie Aussentermine wahrnahm und dafür Ausgaben tätigte (vgl. Art. 97 Abs. 1 AB PR, wonach anfallende Spesen zurückzuerstatten sind, soweit sie notwendig und massvoll sind, und Art. 106 AB PR zu den Spesen bei Beschäftigung ausserhalb des üblichen Arbeitsorts). Ebenso musste der Beschwerdegegnerin bewusst sein, dass ihr Arbeitsweg, den sie teilweise mit dem Tram zurücklegte, nicht vergütet wurde. Dass sie der Auffassung gewesen sein will, das HR hätte ihre Stempelkarten daraufhin prüfen müssen, ob ein Ersatzanspruch besteht, ist nicht nachvollziehbar. Vielmehr legt die Beschwerdeführerin überzeugend dar, dass das HR „bei Angestellten in Funktionen mit regelmässigen Dienstfahrten“ darauf vertrauen (können) muss, dass lediglich spesenberechtigte Fahrten zur Vergütung eingereicht werden. Weitergehende Abklärungen diesbezüglich können vom HR nicht verlangt werden. Vor diesem Hintergrund ist nicht entscheidend, ob eine Mitarbeiterin des HR der Beschwerdegegnerin „explizit mitgeteilt [hat], dass nur spesenberechtigte Belege eingereicht werden dürfen und private Fahrten von der Beschwerdegegnerin zu markieren sind“. Auf die in diesem Zusammenhang beantragte Zeugenbefragung kann verzichtet werden.

 

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Autor: Nicolas Facincani

 

 

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