Berechnet sich eine Frist nach Tagen und bedarf sie der Mitteilung an die Parteien, so beginnt sie an dem auf ihre Mitteilung folgenden Tage zu laufen (Art. 20 Abs. 1 VwVG [SR 172.021]). Die Behörde eröffnet Verfügungen den Parteien schriftlich (Art. 34 Abs. 1 VwVG). Die Verfügung entfaltet ihre Rechtswirkungen vom Zeitpunkt der ordnungsgemässen Zustellung an, womit auch die Rechtsmittelfristen zu laufen beginnen (MOSER ET AL., Prozessieren vor dem Bundesverwaltungsgericht, 3. Aufl. 2022, Rz. 2.114). Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichts gilt eine Zustellung als erfolgt, wenn die Verfügung in den Machtbereich der Adressatin oder des Adressaten gelangt und sie oder er demzufolge von ihr Kenntnis nehmen kann (BGE 142 III 599 E. 2.4.1; 122 I 139 E. 1; Urteil 2C_424/2024 vom 12. Februar 2025 E. 4.2). Allerdings genügt es nicht, dass die Sendung in den Machtbereich der Empfängerin oder des Empfängers gelangt, wenn besondere Zustellvorschriften bestehen – wie etwa in Art. 85 Abs. 2 StPO, der eine Zustellung durch eingeschriebene Postsendung oder auf andere Weise gegen Empfangsbestätigung vorsieht; diesfalls ist vielmehr die tatsächliche Kenntnisnahme durch die Adressatin oder den Adressaten massgebend (BGE 145 IV 252 E. 1.3.2; 144 IV 57 E. 2.3.2).

 

Zustellung, sofern Partei anwaltlich vertreten ist

Ist eine Partei ordnungsgemäss vertreten, so hat die verfügende Behörde gemäss Art. 11 Abs. 3 VwVG Mitteilungen und Verfügungen der bevollmächtigen Person zuzustellen. Diese Bestimmung ist nicht eine blosse Ordnungsvorschrift. Sie dient im Interesse der Rechtssicherheit dazu, allfällige Zweifel zu beseitigen, ob die Mitteilungen an die Partei selber oder an ihre Vertretung zu erfolgen haben, sowie um klarzustellen, welches die für einen Fristenlauf massgebenden Mitteilungen sein sollen (BGE 119 V 111 E. 1d; 99 V 177 E. 3; Urteil 9C_266/2020 vom 24. November 2020 E. 2.2). Die Regel, wonach Mitteilungen ausschliesslich an die Rechtsvertretung zugestellt werden – falls eine solche besteht -, ist auch in der Schweizerischen Zivilprozessordnung und der Schweizerischen Strafprozessordnung enthalten (vgl. Art. 137 ZPO bzw. Art. 87 Abs. 3 StPO). Das Bundesgericht hat dazu ausgeführt, dass es sich um zwingende Normen handelt, die unter anderem Rechtssicherheit schaffen sollen (BGE 144 IV 64 E. 2.5; 143 III 28 E. 2.2.1).

 

Mangelhafte Zustellung

Die Zustellung einer beschwerdefähigen Verfügung an die Partei persönlich anstatt an ihre Rechtsvertretung stellt eine mangelhafte Eröffnung dar (BGE 99 V 177 E. 3; Urteil 9C_791/2010 vom 10. November 2020 E. 2.2; RES NYFFENEGGER, in: DIKE Kommentar zum VwVG, 2. Aufl. 2019, N. 30 zu Art. 11; MARANTELLI-SONANINI/HUBER, in: Praxiskommentar VwVG, 3. Aufl. 2023, N. 30 zu Art. 11). Dies bedeutet indes nicht, dass die Rechtsmittelfrist in keinem Fall anfängt zu laufen. Nach Art. 38 VwVG dürfen einer Partei aus einer mangelhaften Eröffnung allerdings keine Nachteile erwachsen. Wenn eine objektiv mangelhafte Eröffnung trotz ihres Mangels ihren Zweck erreicht, ist dem Rechtsschutzinteresse Genüge getan. Wer mit zumutbarem Aufwand die Folgen einer mangelhaften Eröffnung abwenden könnte, kann sich nicht auf einen Eröffnungsmangel berufen (NYFFENEGGER, a.a.O., N. 30 zu Art. 11). Die Rechtsmittelfrist beginnt somit auch bei mangelhafter Eröffnung ab jenem Zeitpunkt zu laufen, in welchem eine Partei nach dem Grundsatz von Treu und Glauben im Besitz aller für die erfolgreiche Wahrung ihrer Rechte wesentlichen Elemente ist (BGE 144 IV 57 E. 2.3.2; 143 IV 40 E. 3.4.2). Wenn die Rechtsvertretung Kenntnis von einem solchen Eröffnungsmangel hat, so muss sie innert nützlicher Frist die ordnungsgemässe Eröffnung verlangen oder das Rechtsmittel einlegen (MARANTELLI-SONANINI/HUBER, a.a.O., N. 30 zu Art. 11; NYFFENEGGER, a.a.O., N. 30 zu Art. 11; vgl. auch Urteil des BVGer F-1923/2021 vom 20. Dezember 2021, E. 1.5).

 

Gleichzeitige Zustellung an Partei und Vertretung

Wird die Verfügung sowohl der Partei selbst wie auch der Rechtsvertretung zugestellt, ist gemäss der Lehre – soweit sie sich zu dieser Konstellation überhaupt äussert – einzig der Zeitpunkt der Eröffnung an die Rechtsvertretung massgebend für die Auslösung der Beschwerdefrist (MADELEINE HIRSIG-VOUILLOZ, Commentaire romand: PA, 2025, N. 43 zu Art. 11; MICHAEL DAUM, Kommentar zum Gesetz über die Verwaltungsrechtspflege im Kanton Bern, 2. Aufl. 2020, N. 6 zu Art. 15; EVA-MARIA STROBEL, Kommentar ZPO Baker & McKenzie, 2010, N. 7 zu Art. 137; vgl. auch LUKAS HUBER, ZPO-Kommentar DIKE, 3. Aufl. 2025, N. 25 zu Art. 137, der ausführt, dass vor Einführung der ZPO einige Kantone in diesem Falle ausschliesslich auf die Zustellung an die Vertretung abgestellt haben, während andere stets das spätere Zustelldatum als massgebend erachteten).

 

BGer 1C_713/2024 vom 5. März 2025

Im Entscheid BGer 1C_713/2024 vom 5. März 2025 hatte sich das Bundesgericht mit der Frage des Beginns einer Rechtsmittelfrist zu befassen.

Diesen Entscheid lag der folgende Sachverhalt zugrunde:

Die Arbeitnehmerin arbeitete seit dem 1. April 1996 in einem Pensum von 80 % als Juristin beim Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV). Seit dem 3. Dezember 2020 ist sie krankheitsbedingt voll oder teilweise arbeitsunfähig. Am 23. Mai 2024 erliess das BSV einer Verfügung.

Dagegen führte die Arbeitnehmerin vertreten durch ihre Rechtsanwältin mit Eingabe vom 1. Juli 2024 Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht. Mit Urteil vom 29. Oktober 2024 trat dieses zufolge Fristversäumnis nicht auf die Beschwerde ein.

Es stellte sich in der Folge die Frage, ob die Beschwerde zu spät erhoben wurde.

Das Bundesverwaltungsgericht hat dazu ausgeführt, die Arbeitnehmerin habe die ihr persönlich zugestellte Verfügung des BSV vom 23. Mai 2024 am 25. Mai 2024 in Empfang genommen. Zwei Tage später, am 27. Mai 2024, habe sie diese ihrer Rechtsvertreterin per E-Mail übermittelt. Ab diesem Zeitpunkt sei die Verfügung somit im Machtbereich der Rechtsvertreterin und damit dieser eröffnet gewesen. Der Fristenlauf habe somit am 28. Mai 2024 begonnen und am 26. Juni 2024 geendet. Die Beschwerde vom 1. Juli 2024 erweise sich somit als verspätet, weshalb darauf nicht eingetreten werden könne.

Die Arbeitnehmerin macht dagegen geltend, der vorinstanzliche Entscheid verletze das Willkürverbot (Art. 9 BV). Sie führt aus, die betreffende Verfügung des BSV sei sowohl ihr selbst wie auch ihrer Rechtsvertreterin zugestellt worden. Während sie die Verfügung bereits am 25. Mai 2024 in Empfang genommen habe, habe ihre Rechtsvertreterin dies erst am 30. Mai 2024 getan. Da die korrekte Eröffnung der Verfügung an die Rechtsvertretung massgebend sei, sei die Beschwerde vom 1. Juli 2024 fristgerecht eingereicht worden. Indem das Bundesverwaltungsgericht auf das Datum der Übermittlung der Verfügung per Mail an ihre Rechtsvertreterin abgestellt habe, sei es in Willkür verfallen. Es liege auch ein Verstoss gegen Treu und Glauben (Art. 9 BV) vor, denn in Vertretungsverhältnissen käme es notorisch häufig vor, dass die Betroffenen ihrer Rechtsvertretung den Inhalt der Verfügung vorsorglich weiterleiten würden. Dies ändere aber nichts daran, dass das Datum der Eröffnung an die Rechtsvertreterin massgebend sei.

 

Entscheid des Bundesgerichts

Das Bundesgericht schützte die Arbeitnehmerin und kam zum Schluss, dass die Beschwerde nicht zu spät erhoben worden sei.

Im vorliegenden Fall stellte das BSV die betreffende Verfügung vom 23. Mai 2024 gleichzeitig der Arbeitnehmerin persönlich und ihrer damaligen Rechtsvertreterin mit eingeschriebener Post zu. Das Amt hat somit die Bestimmung von Art. 11 Abs. 3 VwVG korrekt angewandt. Es liege folglich entgegen der Auffassung der Vorinstanz kein Fall einer mangelhaften Eröffnung vor.

Was den zeitlichen Ablauf betreffe, sei unbestritten, dass die Beschwerdeführerin die Verfügung am Samstag, dem 25. Mai 2024, in Empfang genommen habe und diese am Montag, dem 27. Mai 2024, ihrer Rechtsvertreterin per E-Mail übermittelt habe. Die Rechtsvertreterin ihrerseits habe die an sie selbst adressierte Verfügung am Donnerstag, dem 30. Mai 2024, in Empfang genommen.

Bei dieser Sachlage stellt die ordnungsgemässe Zustellung an die Rechtsvertreterin der Beschwerdeführerin das fristauslösende Ereignis dar, und zwar unabhängig davon, ob die Verfügung – wie hier – auch gleichzeitig noch der Beschwerdeführerin persönlich zugestellt worden ist. Art. 11 Abs. 3 VwVG diene genau dazu, im Sinne der Rechtssicherheit klarzustellen, welche die für einen Fristenlauf massgebende Mitteilung sein soll. Erfolgte eine gesetzeskonforme, korrekte Eröffnung der Verfügung an die Rechtsvertretung, ist eine zusätzliche – vorgängige oder nachträgliche – Zustellung an die Partei nicht relevant, um die Beschwerdefrist zu bestimmen. Wollte man nämlich – wie die Vorinstanz – das fristauslösende Ereignis bereits darin sehen, dass die Arbeitnehmerin die Verfügung ihrer damaligen Rechtsvertreterin per E-Mail übermittelt hat, würde dies die durch Art. 11 Abs. 3 VwVG geschaffene Rechtssicherheit wiederum in Frage stellen und letztlich dessen Zweck vereiteln.

Die Beschwerdefrist habe somit am 31. Mai 2024 zu laufen begonnen und am Samstag, dem 29. Juni 2024, geendet. Ist der letzte Tag der Frist ein Samstag, ein Sonntag oder ein vom Bundesrecht oder vom kantonalen Recht anerkannter Feiertag, so endet sie am nächstfolgenden Werktag (Art. 20 Abs. 3 VwVG). Die Frist endete somit am Montag, dem 1. Juli 2024, womit die Beschwerde an die Vorinstanz entgegen deren Ausführungen fristgerecht eingereicht worden ist.

Im Sinne einer Eventualbegründung führte das Bundesgericht sodann das Folgende aus:

5.2. Aber sogar wenn man – wie die Vorinstanz – davon ausgehen wollte, dass die Eröffnung der Verfügung an die Beschwerdeführerin relevant und diese mangelhaft erfolgt sei, käme man zum gleichen Ergebnis. Zwar erhielt die Rechtsvertreterin die betreffende Verfügung von ihrer Klientin per E-Mail am 27. Mai 2024 und hatte somit ab diesem Zeitpunkt Kenntnis von der Verfügung. Gestützt auf den Grundsatz von Treu und Glauben hätte sie sich diesfalls an sich an das BSV wenden und eine korrekte Eröffnung an sie selbst verlangen müssen. Allerdings konnte die Rechtsvertreterin der Verfügung entnehmen, dass diese ohnehin auch an sie selbst und zwar ebenfalls per eingeschriebenem Brief versendet worden war und somit eine gesetzeskonforme Eröffnung in Aussicht stand. Es hätte für sie folglich keine Veranlassung bestanden, sich beim BSV zu melden, um eine mängelfreie Zustellung zu verlangen. Bei dieser Sachlage durfte sie sich ohne den Grundsatz von Treu und Glauben zu verletzen darauf verlassen, dass die Beschwerdeinstanz bei der Fristberechnung auf die gesetzeskonforme, korrekte Eröffnung abstellen würde. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass die Rechtsvertreterin noch weitere drei Tage zuwartete, bevor sie das an sie adressierte Exemplar der Verfügung in Empfang nahm, besteht doch keine Verpflichtung, eine eingeschriebene Sendung vor dem letzten Tag abzuholen.

 

Weitere Beiträge zum öffentlichen Dienstrecht (nicht abschliessend):

 

Autor: Nicolas Facincani

 

 

Weitere umfassende Informationen zum Arbeitsrecht finden Sie hier.

 

Umfassende Informationen zum Gleichstellungsrecht finden Sie hier.