Das Sozialversicherungsgericht hat in einer Serie von Entscheiden entschieden, dass es sich bei den Uber-Fahrern um unselbständige Erwerbstätige handelt. Der Entscheid betrifft das Jahr und die rechtliche Situation im Jahr 2014. Demnach muss Uber oder eine Tochtergesellschaft für das Jahr 2014 Sozialversicherungsbeiträge bezahlen. Uber hatte als Beschwerdeführerin den Entscheid der Sozialversicherungsanstalt beim Sozialversicherungsgericht angefochten (wenn nachfolgend von Beschwerdeführerin gesprochen wird, ist Uber gemeint).
Das Gericht hielt aber auch für die Situation im Jahr 2014 fest, dass es Konstellationen geben könnte, wo die Uber-Vertragspartner als Selbständige gelten könnten:
Allerdings sind (wenigstens theoretisch) Fallkonstellationen vorstellbar, in denen «Kunden» derart viele Fahrer angestellt haben, dass ein typisches Unternehmerrisiko zu bejahen wäre. Das würde allerdings nicht nur von der Anzahl der angestellten Fahrer, sondern auch von weiteren Faktoren abhängen, wie beispielsweise der Frage, ob die Fahrer nur bei Bedarf angestellt werden (Arbeit auf Abruf) oder ob der «Kunde» das Risiko trägt, dass die angestellten Fahrer keine Fahrgäste befördern und trotzdem ihren Lohn erhalten.
Abgrenzung selbständige und unselbständige Erwerbstätigkeit
Die Wegleitung über den massgebenden Lohn in der AHV, IV und EO (WML) hält die verschiedenen Kriterien fest, welche es für die Bestimmung, ob eine Tätigkeit in selbständiger oder unselbständiger Funktion ausgeübt wird, zu prüfen gilt:
Die unselbständige Tätigkeit wird wie folgt umschrieben (1018):
In unselbstständiger Stellung ist grundsätzlich erwerbstätig, wer kein spezifisches Unternehmerrisiko trägt und von einer Arbeitgeberin oder einem Arbeitgeber in wirtschaftlicher bzw. arbeitsorganisatorischer Hinsicht abhängig ist.
Merkmale für das Bestehen eines Unternehmerrisikos sind namentlich (1019)
- das Tätigen erheblicher Investitionen,
- die Verlusttragung,
- das Tragen des Inkasso- und Delkredererisikos,
- die Unkostentragung, – das Handeln in eigenem Namen und auf eigene Rechnung,
- das Beschaffen von Aufträgen,
- die Beschäftigung von Personal,
- eigene Geschäftsräumlichkeiten.
Das wirtschaftliche bzw. arbeitsorganisatorische Abhängigkeitsverhältnis Unselbstständigerwerbender kommt namentlich zum Ausdruck beim Vorhandensein (1020)
- eines Weisungsrechtes,
- eines Unterordnungsverhältnisses,
- der Pflicht zur persönlichen Aufgabenerfüllung,
- eines Konkurrenzverbots,
- einer Präsenzpflicht.
Keine Vermutung
Die WML hält klar fest: Es besteht keine Vermutung für unselbstständige oder selbstständige Erwerbstätigkeit (1021). Die Vielfalt der im wirtschaftlichen Leben anzutreffenden Sachverhalte zwingt dazu, die beitragsrechtliche Stellung einer erwerbstätigen Person jeweils unter Würdigung der gesamten Umstände des Einzelfalles zu beurteilen. Weil dabei vielfach Merkmale beider Erwerbsarten zutage treten, muss sich der Entscheid danach richten, welche dieser Merkmale im konkreten Fall überwiegen (1023). Den Elementen Unternehmerrisiko und Abhängigkeitsverhältnis sowie ihren einzelnen Ausprägungen kann je nach der Art der zu beurteilenden Umstände unterschiedliches Gewicht zukommen (1024).
Uber-Entscheid
Auch im Entscheid des Sozialversicherungsgericht wendete diese die vorgenannten Kriterien an, um zu beurteilen, ob es sich bei den Uber-Fahrern aus sozialversicherungsrechtlicher Perspektive um Arbeitnehmer handelt oder nicht:
2.1 Nach der Rechtsprechung beurteilt sich die Frage, ob im Einzelfall selbständige oder unselbständige Erwerbstätigkeit vorliegt, nicht auf Grund der Rechtsnatur des Vertragsverhältnisses zwischen den Parteien. Entscheidend sind vielmehr die wirtschaftlichen Gegebenheiten. Die zivilrechtlichen Verhältnisse vermögen dabei allenfalls gewisse Anhaltspunkte für die AHV-rechtliche Qualifikation zu bieten, ohne jedoch ausschlaggebend zu sein. Als unselbständig erwerbstätig ist im Allgemeinen zu betrachten, wer von einer odereinem Arbeitgebenden in betriebswirtschaftlicher beziehungsweise arbeitsorganisatorischer Hinsicht abhängig ist und kein spezifisches Unternehmerrisiko trägt. Aus diesen Grundsätzen allein lassen sich indessen noch keine einheitlichen, schematischanwendbaren Lösungen ableiten. Die Vielfalt der im wirtschaftlichen Leben anzutreffenden Sachverhalte zwingt dazu, die beitragsrechtliche Stellung einer erwerbstätigen Person jeweils unter Würdigung der gesamten Umstände des Einzelfalles zu beurteilen. Weil dabei vielfach Merkmale beider Erwerbsarten zu Tage treten, muss sich der Entscheid oft danach richten, welche dieser Merkmale im konkreten Fall überwiegen (BGE 146 V 139 E. 3.1 mit Hinweis).
2.2 Selbständige Erwerbstätigkeit liegt im Regelfall dann vor, wenn die beitragspflichtige Person durch Einsatz von Arbeit und Kapital in frei bestimmter Selbstorganisation und nach aussen sichtbar am wirtschaftlichen Verkehr teilnimmt mit dem Ziel, Dienstleistungen zu erbringen oder Produkte zu schaffen, deren Inanspruchnahme oder Erwerb durch finanzielle oder geldwerte Gegenleistungen abgegolten wird (BGE 115 V 161 E. 9a mit Hinweisen). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts sind die Tätigung erheblicher Investitionen, die Benützung eigener Geschäftsräumlichkeiten sowie die Beschäftigung von eigenem Personal charakteristische Merkmale einer selbständigen Erwerbstätigkeit. Das spezifische Unternehmerrisiko besteht dabei darin, dass unabhängig charakteristische Merkmale Kosten anfallen, die der Versicherte selber zu tragen hat. Für die Annahme selbständiger Erwerbstätigkeit spricht sodann die gleichzeitige Tätigkeit für mehrere Gesellschaften in eigenem Namen, ohne indessen von diesen abhängig zu sein. Massgebend ist dabei nicht die rechtliche Möglichkeit, Arbeiten von mehreren Auftraggebern anzunehmen, sondern die tatsächliche Auftragslage (BGE 122 V 169 E. 3c mit Hinweisen).
Von unselbständiger Erwerbstätigkeit ist auszugehen, wenn die für den Arbeitsvertrag typischen Merkmale vorliegen, das heisst wenn die versicherte Person Dienst auf Zeit zu leisten hat, wirtschaftlich von der oder dem «Arbeitgebenden» abhängig ist und während der Arbeitszeit auch im Betrieb der oder des Arbeitgebenden eingeordnet ist, praktisch also keine andere Erwerbstätigkeitausüben kann. Indizien dafür sind das Vorliegen eines bestimmten Arbeitsplans, die Notwendigkeit, über den Stand der Arbeiten Bericht zu erstatten, sowie das Angewiesensein auf die Infrastruktur am Arbeitsort. Das wirtschaftliche Risiko der versicherten Person erschöpft sich diesfalls in der (alleinigen) Abhängigkeit vom persönlichen Arbeitserfolg oder, bei einer regelmässig ausgeübten Tätigkeit, darin, dass bei Dahinfallen des Erwerbsverhältnisses eine ähnliche Situation eintritt, wie dies beim Stellenverlust von Arbeitnehmenden der Fall ist (BGE 122 V 169 E. 3c mit Hinweisen). Die Abhängigkeit der eigenen Existenz vom von Arbeitnehmenden ist praxisgemäss nur dann als Risiko einer Selbständigerwerbenden Person zu werten, wenn beträchtliche Investitionen zu tätigen oder Angestelltenlöhne zu bezahlen sind (BGE 119 V 161 E. 3b). Hervorzuheben ist, dass sich die Frage nach Investitionen zu regelmässig nach der äusseren Erscheinungsform wirtschaftlicher Sachverhalte und nicht nach allfällig davon abweichenden internen Vereinbarungen der Beteiligten beurteilt, was jeweils unter Würdigung der gesamten Umstände des Einzelfalls zu geschehen hat. Entscheidend ist dabei, ob geleistete Arbeit, ein Unterordnungsverhältnis und die Vereinbarung des Einzelfalls in irgendeiner Form vorliegen (Urteil des Bundesgerichts 8C_790/2018 vom 8. Mai 2019 E. 3.2 mit Hinweis).
2.3
2.3.1 Gemäss der vom Bundesamt für Sozialversicherungen herausgegebenen Wegleitung über den massgebenden Lohn in Draht, IV und EO (WML; in der seit 1. Januar 2021 gültigen Fassung) ist in unselbständiger Stellung erwerbstätig, wer kein Draht trägt und von einer Arbeitgeberin oder einem Arbeitgeber in wirtschaftlicher und arbeitsorganisatorischer Hinsicht abhängig ist (Rz 1018). Merkmale für das Bestehen eines Unternehmerrisikos sind namentlich (Rz 1019):
- das Tätigen erheblicher Investitionen,
- die Verlusttragung,
- die Unkostentragung,
- das Handeln in eigenem Namen und auf eigene Rechnung,
- das Beschaffen von Aufträgen,
- die Beschäftigung von Personal,
- eigene Geschäftsräumlichkeiten.
Auf der anderen Seite kommt das wirtschaftliche respektive arbeitsorganisatorische Abhängigkeitsverhältnis Unselbständigerwerbender namentlich zum Ausdruck beim Vorhandensein (Rz 1020):
- eines Weisungsrechts,
- eines Unterordnungsverhältnisses,
- einer Pflicht zur persönlichen Aufgabenerfüllung,
- eines Konkurrenzverbots,
- einer Präsenzpflicht.
Gemäss Wegleitung gelten Taxichauffeusen und -chauffeure im Allgemeinen als Unselbständigerwerbende. Dies auch dann, wenn sie ein eigenes Fahrzeug besitzen, aber einer Taxizentrale angeschlossen sind (Rz 4086). Sie gelten als selbständigerwerbend, soweit sie ein Unternehmerrisiko tragen und arbeitsorganisatorisch nicht in besonderem Masse von den Auftraggebenden abhängig sind (Rz4088). Für die Qualifikation von Taxifahrern, die sich einer Zentrale angeschlossen hatten, als unselbständig Erwerbstätige sprach sich das Bundesgericht etwa in seinem Urteil 8C_357/2014 vom 17. Juni 2014 aus.
2.3.2 Verwaltungsweisungen richten sich an die Durchführungsstellen und sind für das Sozialversicherungsgericht nicht verbindlich. Dieses soll sie bei seiner Entscheidung aber berücksichtigen, sofern sie eine dem Einzelfall angepasste und gerecht werdende Auslegung der anwendbaren gesetzlichen Bestimmungen zulassen. Das Gericht weicht also nicht ohne triftigen Grund von Verwaltungsweisungen ab, wenn diese eine überzeugende Konkretisierung der rechtlichen Vorgaben darstellen. Insofern wird dem Bestreben der Verwaltung, durch interne Weisungen eine rechtsgleiche Gesetzesanwendung zu gewährleisten, Rechnung getragen (BGE 133 V 587 E. 6.1; 133 V 257 E. 3.2 mit Hinweisen; vgl. BGE 133 II 305 E. 8.1).
Begründung
Die Zusammenarbeit zwischen den Beschwerdeführerinnen und den Fahrern wurde im Jahr 2014 im Wesentlichen durch die sogenannten «Partnerbedingungen» (PB) geregelt. Später wurden diese Partnerbedingungen durch den sogenannten «Dienstleistungsvertrag» (DLV) und den «Fahrernachtrag zum Dienstleistungsvertrag» (FDLV) ersetzt.
Abhängigkeitsverhälntis/Weisungsrecht
Das Sozialversicherungsgericht kam zum Schluss, dass Uber ein Weisungsrecht zustand:
Zur Thematik der arbeitsorganisatorischen Abhängigkeit ergebe sich aus dem Dienstleistungsvertrag (DLV) und dem Fahrernachtrag zum Dienstleistungsvertrag (FDLV) sowie den Partnerbedingungen (PB), dass in allen Verträgen weder von einem eigentlichen Weisungsrecht noch von einem Subordinationsverhältnis (arbeitsorganisatorische Einordnung) die Rede sei. Diese würden sich jedoch direkt oder indirekt aus diversen Einzelbestimmungen ergeben:
- Nach Ziff. 2.2 DLV und Ziff. 2.2 FDLV wird den Fahrern «empfohlen» mindestens zehn (10) Minuten am angegebenen Abholungsort auf den Benutzer (also den Fahrgast) zu warten.
- Der Fahrer muss nach Ziff. 2.3 DLV beziehungsweise Ziff. 2.2 FDLV alle Benutzer gemäss den Anweisungen des jeweiligen Benutzers und ohne unerwünschte Unterbrechung oder unerwünschte Zwischenstopps direkt zu ihrem angegebenen Zielort befördern.
- In Ziff. 2.4 DLV und Ziff. 2.3 FDLV wird zwar darauf hingewiesen, dass die Beschwerdeführerinnen den Fahrer im Allgemeinen oder bei der Erbringung der Beförderungsdienstleistungen oder der Instandhaltung von Fahrzeugen nicht anwiesen oder ihn kontrollierten; allerdings muss sich jeder Fahrer einverstanden erklären, von seinen Fahrgästen bewertet zu werden (Ziff. 2.6 DLV und Ziff. 2.4.1FDLV sowie Ziff. 4.3 PB). In Ziff. 2.6.2 DLV und Ziff. 2.4.2 FDLV wird dann geregelt, was mit einem Fahrer passiert, wenn er die sogenannte Mindestdurchschnittsbewertung nicht erreicht, die von den Beschwerdeführerinnen «nach alleinigem Ermessen» aktualisiert wird: Man kann dem Fahrer eine Bewährungsfrist ansetzen und ihn bei Nichtbestehen von der Verwendung der X.___-Appausschliessen. Gemäss Ziff. 8.2 lit. a PB kann unter anderem eine grosse Zahl von Fahrgast-Beschwerden zur fristlosen Kündigung der Vertragsbeziehung berechtigen.
- Die Fahrer müssen sich einverstanden erklären, dass sie, wenn sie in der Fahrer-App angemeldet sind, sich «bemühen» werden, einen wesentlichen Anteil der Benutzeranfragen nach Beförderungsdienstleistungen anzunehmen. Der Fahrer anerkenne, dass er, wenn er Benutzeranfragen nach Beförderungsdienstleistungen wiederholt nicht annimmt, während er bei der App angemeldet ist, eine «negative Erfahrung» verursacht (Ziff. 2.6.2 DLV und Ziff. 2.4.2 FDLV).
- Gemäss Ziff. 2.8 DLV und Ziff. 2.6 FDLV muss sich jeder Fahrer einverstanden erklären, dass seine geographischen Ortungsinformationen über ein Gerät an die X.___-Services übermittelt werden. Seine geographischen Ortungsinformationen dürfen von den X.___-Services «beobachtet und verfolgt» werden. Ziff. 9.4 PB spricht von Überwachung durch GPS-Tracking. Gespeichert werden diese Daten unter anderem auch zur Behandlung von Beschwerden.
- In Ziff. 4 DLV werden die finanziellen Bedingungen geregelt: Die Beschwerdeführerinnen berechnen den Fahrpreis und sind Inkassobevollmächtigte des «Kunden». Dem Kunden wird erlaubt, einen niedrigeren Fahrpreis zu verlangen, wobei allerdings die von den Beschwerdeführerinnen verlangte Servicegebühr nicht gesenkt wird. Einen höheren Preis als denjenigen, der von den Beschwerdeführerinnen vorgeschlagen wird, darf der Fahrer jedoch offensichtlich nicht verlangen (vgl. Ziffern 4.1 und 4.4 DLV sowie Ziff. 5 PB).
- Die Beschwerdeführerinnen können den Fahrpreis anpassen, wenn beispielsweise der Fahrer eine ungünstige Strecke gefahren ist, oder den Fahrpreis ganz stornieren, wenn der Fahrer Dienstleistungen nicht erbracht hat. Die Beschwerdeführerinnen versprechen, angemessen zu handeln (Ziff. 4.3 DLV).
- Die Quittungen für die erbrachten Dienstleistungen werden den Benutzern von den Beschwerdeführerinnen im Namen des Kunden und des Fahrers ausgestellt. Auf der Quittung ist vermerkt, dass Reklamationen innerhalb von drei (3) Geschäftstagen schriftlich «bei X.___» eingereicht werden müssen (Ziff. 4.6 DLV; vgl. dazu auch Ziff. 5.4.2 PB). Auf der Quittung ist überdies das Logo «X.___» ersichtlich (Urk. 1/1 S. 18).
- Die Beschwerdeführerinnen können gemäss Ziff. 12.2 DLV den Dienstleistungsvertrag unter gewissen Umständen (etwa bei Nichteinhaltung der Richtlinien der Beschwerdeführerinnen) «unverzüglich und fristlos» kündigen oder den Kunden «deaktivieren». Und diese Rechte nehmen sich die Beschwerdeführerinnen nicht nur gegenüber den Kunden, sondern auch gegenüber deren Fahrern (mithin ihren Angestellten) heraus (vgl. dazu auch Ziff. 8 PB).
All dies zeige eine dominierende Stellung der Beschwerdeführerinnen auf, die den Kunden und Fahrern faktisch keine bedeutenden Entscheidungsspielräume mehr zulasse. Zwar hätten die Beschwerdeführerinnen in ihren Vertragswerken keine besonderen Abschnitte mit den Titeln «Weisungsrecht» und «Stellung im Unternehmen» einfügen lassen, sondern betonten vielmehr die Unabhängigkeit und Eigenständigkeit ihrer Kunden und Fahrer (vgl. insbesondere Ziff. 13 DLV). Wie oben dargelegt, würden die Einzelbestimmungen jedoch in eine andere Richtung weisen:
Die «empfohlene» Wartefrist, die faktische Vorgabe der Wegstrecke durch das System, die Bewertung der Fahrer durch die Fahrgäste mit festgelegter Sanktionierung, die ständige technische Überwachung, die faktische Preisbindung sowie die dominierende Stellung der Beschwerdeführerinnen bei Inkasso, Quittungsausstellung und Preisstreitigkeiten lassen zum einen zwingend auf ein Unterordnungsverhältnis schliessen. Zum anderen üben die Beschwerdeführerinnen (etwa über die Bewertung der Fahrer und die Überwachung) indirekt auch ein Weisungsrecht aus. In diesem Kontext ist der Umstand, dass die Beschwerdeführerinnen die Einhaltung einer Wartezeit von mindestens zehn Minuten lediglich empfehlen, irrelevant, denn jeder Fahrer, der sich nicht an diese «Empfehlung» hält, muss mit einer entsprechend schlechten Bewertung durch den verspäteten Fahrgast rechnen. Paradigmatisch zeigt dies auf, dass die Beschwerdeführerinnen ihre Weisungen einfach in Form von «Empfehlungen» kleiden und sie mit Hilfe von «Bewertungen» durchsetzen. In dieses Bild passt auch, dass die Beschwerdeführerinnen von ihrem Fahrpreis als «Preisempfehlung» sprechen, von der der Kunde indes nur nach unten hin und ausschliesslich zu seinen eigenen Lasten abweichen darf.
Es könnte festgehalten werden, dass die Vorgaben der Beschwerdeführerinnen den Charakter von Weisungen hätten, und zwar nicht nur inhaltlich, sondern auch funktionell, weil sie entgegen ihrer Bezeichnung als blosse «Empfehlung» sanktionsbewehrt seien. Faktisch seien somit die Beschwerdeführerinnen gegenüber den Kunden und Fahrern weisungsbefugt. Aus denselben Gründen ergebe sich sowohl ein rechtliches als auch wirtschaftliches Unterordnungsverhältnis der Kunden und Fahrer unter den Willen der Beschwerdeführerinnen.
Unternehmensrisiko
Des Weiteren wurde vom Sozialversicherungsgericht das Vorliegen eines Unternehmensrisikos für die Uber-Fahrer verneint:
Nach der Rechtsprechung sind erhebliche Investitionen als bedeutsamer Anhaltspunkt für die Annahme einer selbständigen Erwerbstätigkeit und namentlich für das Vorliegen eines wesentlichen Unternehmerrisikos in der Anschaffung und im Unterhalt eines für einen Taxibetrieb geeigneten Motorfahrzeuges in aller Regel nicht zu erblicken (Urteil des Bundesgerichts 8C_571/2017 vom 9. November 2017 E. 4.1).
Entsprechendes gilt für die allfällige Anschaffung eines Smartphones und die Kosten für die Datendienste eines Mobilfunkanbieters (vgl. Ziff. 2.7 DLV), wobei zudem die Möglichkeit besteht, dass die Beschwerdeführerinnen dem Kunden und den Fahrern «X.___-Geräte» zur Verfügung stellen (vgl. Ziff. 2.7.1 und Ziff. 2.5 FDLV). Insgesamt ist jedenfalls festzuhalten, dass die Kunden und Fahrer der Beschwerdeführerinnen keine erheblichen Investitionen tätigen müssen.
Zum Handeln in eigenem Namen und auf eigene Rechnung ist zu bemerken, dass es den Kunden und Fahrern nicht erlaubt ist, den Namen, Logos oder Farben der Beschwerdeführerin 1 oder eines mit ihr verbundenen Unternehmens auf den Fahrzeugenanzubringen. Des Weiteren dürfen keine Uniform oder andere Kleidungsstücke getragen werden, die auf «X.___» hinweisen (Ziff. 2.4DLV; vgl. auch Ziff. 2.2.1 PB). Gemäss Ziff. 2.2.1 PB dürfen die Fahrer nicht als Repräsentanten der Beschwerdeführerin 1 auftreten. Allerdings ist klar, dass die Dienstleistungen des Beigeladenen und der anderen Kunden und Fahrer von den Fahrgästen nicht aufgrund der Person des Fahrers gebucht werden, sondern weil sie über die App der Beschwerdeführerinnen verfügen. Der potentielle Fahrgast bucht mit anderen Worten eine «X.___»-Fahrt und nicht eine Fahrt mit dem Beigeladenen oder einem anderen Fahrer. Auch das Entschädigungssystem (etwa die Art und Weise der Fahrpreisberechnung, die Inkassobevollmächtigung durch die Beschwerdeführerinnen und die Ausstellung der Quittungen [vgl. Ziff. 4 DLV und Ziff. 5 PB]) zeigt mit aller Deutlichkeit auf, dass die Person des Fahrers irrelevant ist: Es geht nicht um das Zusammenführen von Fahrgästen mit einem bestimmten, sondern mit einembeliebigem Fahrer, der allerdings den Anforderungen der Beschwerdeführerinnen genügen muss. Es wurde bereits festgehalten, dass die Quittungen für die erbrachten Dienstleistungen den Benutzern von den Beschwerdeführerinnen im Namen des Kunden und des Fahrers ausgestellt werden. Auf der Quittung ist vermerkt, dass Reklamationen innerhalb von drei (3) Geschäftstagen schriftlich «bei. ___» eingereicht werden müssen (Ziff. 4.6 DLV). Auf der Quittung ist überdies das Logo «X.___» ersichtlich (Urk. 1/1 S. 59). Aussicht ihrer Fahrgäste handeln der Beigeladene und die übrigen X.___-Fahrer weder in eigenem Namen noch auf eigene Rechnung. Auch das Kriterium «Handeln in eigenem Namen und auf eigene Rechnung» ist demzufolge nicht erfüllt, was auf eine Rechnung. Auch hindeutet.
Das Beschaffen von Aufträgen ist den Fahrern in Bezug auf das Verhältnis zu den Beschwerdeführerinnen gar nicht möglich. Fahrgäste melden sich nicht bei den einzelnen Fahrern, sondern ausschliesslich über die App der Beschwerdeführerinnen. Den Kunden ist überdies verboten, Fahrgäste zu kontaktieren (Ziff. 2.2 DLV). Es ist ihnen also beispielsweise verwehrt, ein Reservoir von eigenen Stammkunden aufzubauen. Die Werbung, mithin die Akquirierung von neuen Kunden ist einzig Aufgabe von «X.___» (vgl. Ziff. 4.7 DLV). Den Kunden und Fahrern ist es in Bezug auf die für die Beschwerdeführerinnen ausgeübte Tätigkeit faktisch gar nicht möglich, Werbung für sich zu machen. Die Fahrer gehen vollends und weitgehend entpersonalisiert im Heer der X.___-Fahrer auf. Das ist für eine selbständige Erwerbstätigkeit nicht charakteristisch.
Selbst wenn einige Kunden beziehungsweise Fahrer – aus welchen Gründen auch immer – eigene Geschäftsräumlichkeiten haben mögen, sind diese in Bezug auf das Verhältnis zu den Beschwerdeführerinnen nicht notwendig. Der gesamte Kontakt erfolgt auf elektronischem Wege (Smartphone oder X.___-Gerät). Der Umstand, dass keine eigenen Geschäftsräumlichkeiten notwendig sind, ist ein weiteres (wenn auch nicht sehr gewichtiges) Indiz für eine unselbständige Erwerbstätigkeit.
In Bezug auf die Tätigkeit für die Beschwerdeführerinnen hat der Beigeladene nur am Rande Verluste zu tragen; ist ein Inkasso- und Delkredererisiko trifft ihn, wenn überhaupt, nur marginal. Soweit die Beschwerdeführerinnenvorbringen liessen, dass die Fahrgäste die Kunden beziehungsweise die Fahrer erst nach Durchführung der Fahrt bezahlen würden und deshalb die Kunden ein Ausfallrisiko für den Fall trügen, dass die Kreditkarte nicht funktioniere (Urk. 1/1 S. 57), ist darauf hinzuweisen, dass sich dieses Risiko in der Praxis nur sehr selten realisieren dürfte. Einem klassischen unternehmerischen Inkasso-und Delkredererisiko kommt es jedenfalls nicht gleich, wenn auch ein gewisses Ausfallrisiko vorliegen mag.
Vom Beigeladenen zu tragenden Verluste sind denkbar bei Haftpflichtansprüchen, Schäden am Fahrzeug, welche er zu reparieren hat, oder bei Verlust des Fahrzeugs bei einem Totalschaden. Die entsprechenden Versicherungen, die ihm zum Teil von den Beschwerdeführerinnen vorgeschrieben werden (vgl. Ziff. 8 DLV und Ziff. 4.2.2 PB), hat er allerdings selber zu bezahlen. Dies ist bis zu einem gewissen Grad ein Indiz für eine selbständige Erwerbstätigkeit.
Die Unkosten sind von den Kunden zu zahlen, der Entschädigungsanspruch gegenüber den Beschwerdeführerinnen erschöpft sich im jeweils «vorgeschlagenen» beziehungsweise vereinbarten Fahrpreis abzüglich der von den Beschwerdeführerinnen einbehaltenen Gebühren («Servicegebühr» und «Stornierungsgebühren»; vgl. dazu Ziff. 4 DLV, insbesondere Ziffern 4.4 und 4.5 DLV, sowie Ziff. 5.2PB). Auch das ist ein Indiz für eine selbständige Erwerbstätigkeit (vgl. dazu allerdings das in E. 4.4.1 zum Unterhalt von Motorfahrzeugen Ausgeführte).
Die Beschwerdeführerinnen erlauben ihren Kunden die Beschäftigung von (weiteren) Fahrern (vgl. dazu insbesondere die Bestimmungen des FDLV sowie Ziffern 2 und 3 DLV; vgl. dazu auch Ziffern 1.1.1 und 2.2.1 PB). Der Beigeladene hat jedoch offenbar selbst keine Fahrer beschäftigt. Insgesamt deutet dieses Kriterium zwar auf das Vorliegen einer selbständigen Erwerbstätigkeit hin, ist jedoch im Fall des Beigeladenen mangels Anstellung von Fahrern von vornherein nur von geringer Relevanz.
4.4.3 Betreffend Unternehmerrisiko ergibt sich, dass die Kriterien, die für eine unselbständige Erwerbstätigkeit sprechen, absolut im Vordergrund stehen. Es ist zu wiederholen, dass es sich dabei um eine Gewichtung der einzelnen Elemente geht und nicht bloss um einen arithmetischen Vergleich von einzelnen erfüllten und nicht erfüllten Kriterien. Zur Verneinung eines typischen Unternehmerrisikos führen vor allem das Fehlen von erheblichen Investitionen und der Umstand, dass die Kunden und Fahrer ihre Fahraufträge nicht selbst akquirieren. Auch der Umstand, dass zumindest aus Sicht des Publikums weder in eigenem Namen noch auf eigene Rechnung gehandelt wird, fällt zusätzlich ins Gewicht. Dagegen weisen diejenigen Kriterien, die (eher) für das Vorliegen eines Rechnung gehandelt sprechen (Ausfallrisiko betreffend Kreditkarte, Verlusttragung und Unkosten) beziehungsweise vorliegend irrelevant sind (Möglichkeit, Personal anzustellen), ein viel geringeres Gewicht auf.
Allerdings sind (wenigstens theoretisch) Fallkonstellationen vorstellbar, in denen «Kunden» derart viele Fahrer angestellt haben, dass ein typisches Unternehmerrisiko zu bejahen wäre. Das würde allerdings nicht nur von der Anzahl der angestellten Fahrer, sondern auch von weiteren Faktoren abhängen, wie beispielsweise der Frage, ob die Fahrer nur bei Bedarf angestellt werden (Arbeit auf Abruf) oder ob der «Kunde» das Risiko trägt, dass die angestellten Fahrer keine Fahrgäste befördern und trotzdem ihren Lohn erhalten.
Fazit
Zusammenfassend hielt das Sozialversicherungsgericht das Folgende fest:
5. Zusammenfassend ergibt sich, dass verschiedene Punkte für eine selbständige Erwerbstätigkeit sprechen. Insbesondere die Flexibilität bei der Arbeitszeit und die Freiheit, sich nach Belieben überhaupt als Dienstleister für die Beschwerdeführerinnen bereit zu halten, sprechen hierfür. Auch die fehlende Pflicht zur persönlichen Aufgabenerfüllung, das Tragen der Unkosten durch die Kunden und die Möglichkeit, eine konkurrenzierende Tätigkeit auszuüben, sprechen für eine selbständige Erwerbstätigkeit.
Der Schwerpunkt der gewichteten Gesichtspunkte spricht indes beim Beigeladenen (und auch bei anderen Fahrern, die in ähnlichen Konstellationen tätig sind) eindeutig für eine unselbständige Erwerbstätigkeit. Hierzu gehören folgende entscheidende Kriterien:
- Das Vorliegen eines ausgeprägten Subordinationsverhältnisses sowie eines wirtschaftlichen und rechtlichen Abhängigkeitsverhältnisses der «Kunden» und Fahrer von den Beschwerdeführerinnen.
- Das in Form von «Empfehlungen» gefasste Weisungsrecht der Beschwerdeführerinnen, das sie mittels eines Systems von Überwachung, Bewertung durch Fahrgäste und vertraglichen Sanktionen durchsetzen können.
- Das Fehlen von erheblichen Investitionen.
- Die fehlende Akquise von Fahrgästen durch die Kunden und Fahrer; die Fahrgäste werden ausschliesslich von den Beschwerdeführerinnen beziehungsweise ihrer App «geliefert».
- Die Kunden und Fahrer handeln (insbesondere aus Sicht des Publikums) weder in eigenem Namen noch auf eigene Rechnung. Der Name des Fahrers ist irrelevant und zufällig. Das Publikum möchte von einem, von irgendeinem «X.___»-Fahrer gefahren werden und bezahlt den Fahrpreis (nach eigener Wahrnehmung) an «X.___». Reklamationen sind denn auch an «X.___» zu richten, nicht Anden Fahrer oder Kunden.
Die Tätigkeit des Beigeladenen für die Beschwerdeführerinnen beziehungsweise eine der beiden Beschwerdeführerinnen ist nachdem Gesagten als unselbständige Erwerbstätigkeit zu qualifizieren.
Zur Qualifikation der Verträge siehe auch:
- Lausanner Gericht: Uber ist Arbeitgeber, Uber-Fahrer sind Arbeitnehmer
- Angestellt oder nicht?
- Der CEO ohne Arbeitsvertrag
- Unterrichtsvertrag oder Arbeitsvertrag?
- „Beratungsvertrag“ mit Einmann-AG als Arbeitsverhältnis
- Unterrichtsvertrag oder Arbeitsvertrag?
- Abgrenzung des Arbeitsvertrages vom Auftrag
Autor: Nicolas Facincani
Weitere umfassende Informationen zum Arbeitsrecht finden sie hier.