Die obere kantonale Instanz des Kantons Waadt hatte sich mit der Frage zu befassen, ob die Entlassung eines arbeitsunfähigen Arbeitnehmers nach Ablauf der Schutzfrist im konkreten Fall missbräuchlich war (Arrêt de la Cour d’appel civile vaudoise HC / 2022 / 482 du 19 juillet 2022).

Die Gültigkeit der Kündigung war unbestritten, da offenbar die zu beachtenden Sperrfristen abgelaufen war.

Im vorliegenden Fall begründete der Arbeitgeber die Kündigung des Berufungsklägers damit, dass die Schutzfrist für den Arbeitnehmer bei Arbeitsunfähigkeit abgelaufen sei und die Arbeitsunfähigkeit noch andauere. Trotz dieses legitimen Kündigungsgrundes machte der Arbeitnehmer jedoch eine missbräuchliche Kündigung geltend, da es am Arbeitsplatz zu einem Konflikt mit dem Küchenchef gekommen sei, was der Grund für seine Arbeitsunfähigkeit gewesen sei. Aus der Sicht des Gericht war daher zu prüfen, ob die Arbeitsunfähigkeit auf eine Verletzung der Schutzpflicht des Arbeitgebers zurückzuführen ist.

 

Analogie zu BGer 4A_390/2021

Das Waadtländer Gericht machte eine Analogie zu Entscheid BGer 4A_390/2021 vom 1. Februar 2022, welcher im Zusammenhang mit einer verpönten Alterskündigung ergangen war. Darin präzisierte das Bundesgericht seine Rechtsprechung zur missbräuchlichen Alterskündigung dahingehend, dass eine Kündigung nicht missbräuchlich sei, wenn – obwohl die gebotenen Sorgfaltspflichten im Zusammenhang mit älteren Arbeitnehmenden mit langer Dienstzeit nicht beachtet werden – eine Unfähigkeit vorliege, aufgrund einer Krankheit irgendeine Arbeitsleistung zu erbringen, und nicht die Beziehungen zu anderen Arbeitnehmern oder die vorhandene, aber als unzureichend erachtete Arbeitsleistung die Grundlage für die Kündigung bilde.

 

Konflikt im Team

Vorliegend war gemäss den Feststellungen des Gerichts von einer schlechten Stimmung in der Küche und einem Konflikt zwischen dem Berufungskläger und dem Küchenchef  auszugehen. Die Arbeitgeber sei bereits im April 2017 über die Situation in der Küche informiert worden. Daraufhin hätten zahlreiche Gespräche mit dem Arbeitnehmer stattgefunden, in denen er seine Beschwerden wiederholte. Angesichts dieser Situation hätte die Arbeitgeberin aufgrund ihrer Pflicht zum Schutz der Persönlichkeit des Arbeitgebers handeln und konfliktbereinigende Massnahmen ergreifen müssen, was sie nicht getan habe. Tatsächlich habe aber die Arbeitgeberin nicht versucht, den Konflikt zu entschärfen, obwohl dies aufgrund seiner Schutzpflicht erforderlich gewesen wäre. Es wurde kein Zeitplan festgelegt und dem Arbeitnehmer auferlegt, um die besprochenen Ziele zu erreichen, da keine diesbezüglichen Unterlagen vorgelegt wurden. Aus den Akten gehe auch nicht hervor, dass dem Arbeitnehmer in Bezug auf die aufgetretenen Probleme Alternativen angeboten wurden, wie etwa eine Mediation mit seinem Chef, ein möglicher Stellenwechsel, eine Schulung mit einem Dritten über neue Methoden in der Küche usw. Die Arbeitgeberin habe auch nicht den Eindruck erweckt, dass der Arbeitnehmer in der Lage gewesen wäre, die Probleme zu lösen.

Im Gegenteil, die Arbeitgeberin habe den Arbeitnehmer stigmatisiert, indem sie ihm ein Problem mit seiner Einstellung zur Zusammenarbeit vorwarf oder auch, dass er seine Ziele nicht erfülle, obwohl diese faktischen Elemente nicht zufriedenstellend nachgewiesen wurden, (…).

Aus den vorgelegten medizinischen Dokumenten ging zudem hervor, dass die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers durch die Situation am Arbeitsplatz verursacht worden sei, die die Arbeitgeberin nicht behoben hatte.

 

Weitere Beiträge zur missbräuchlichen Kündigung (Auswahl):

 

Autor: Nicolas Facincani

 

 

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