Im Entscheid vom 25. März 2024 (4A_55/2023) befasste sich das Bundesgericht mit der Thematik der formlosen Kündigung: Ein Broker wurde während der Probezeit krank und erfragte bei der Arbeitgeberin, ob er ein Arztzeugnis einzureichen habe. Dabei teilte die Arbeitgeberin mit, dass er die Probezeit aufgrund schlechter Leistung ohnehin nicht bestanden hatte und kündigte dem Arbeitnehmer telefonisch. Die Arbeitgeberin stellte sich auf den Standpunkt die Kündigung sei per Telefon rechtsgültig erfolgt und versuchte dies mit Zeugenaussagen zu belegen, wobei sie nicht durchzudringen vermochte, wie nachfolgend aufgezeigt wird. Dabei lag dem Urteil folgender Sachverhalt zu Grunde:

 

Sachverhalt

Mit einem Arbeitsvertrag vom 8. Mai 2018 stellte die A.AG – eine Finanzdienstleistungsgesellschaft (nachfolgend Arbeitgeberin) – B. als Broker (nachfolgend Arbeitnehmer) ein. Dabei wurde der Arbeitnehmer mit einem unbefristeten Vertrag mit einer Probezeit von drei Monaten zu einem monatlichen Lohn von CHF 3’500 brutto bei einer Auslastung von 80 % zuzüglich allfälliger Provisionen angestellt. Das Arbeitsverhältnis begann am 24. Mai 2018 und der Arbeitnehmer übte einen Teil seiner Tätigkeit im Home-Office aus. Am 15. November 2018 teilte B. der A. SA per E-Mail mit, dass er krank sei, und fragte, ob er ihr ein ärztliches Zeugnis schicken solle. Der Arbeitgeber antwortete ihm, dass er kein ärztliches Attest benötige, da das Arbeitsverhältnis am 24. August 2018 beendet worden sei, da er die Probezeit nicht bestanden habe, wie ihm bereits telefonisch mitgeteilt worden sei. Der Arbeitnehmer focht dies an, verlangte die Zahlung seines Lohns und machte geltend, dass ihm die Beendigung des Arbeitsvertrags nicht mitgeteilt worden sei, so dass er weiterhin von zu Hause aus gearbeitet habe. Der Arbeitnehmer verlangte die Zahlung von CHF 18’375 zuzüglich Zinsen als Lohnnachzahlung, insbesondere für die Zeit vom 24. Mai bis 31. Mai 2018 sowie für die Monate September 2018 bis Januar 2019 geltend. Die Arbeitgeberin bestritt den Anspruch und obsiegte vor erster Instanz. Mit Berufung am Appellationsgericht Tessin focht der Arbeitnehmer das erstinstanzliche Urteil an und verlangte die selbe Lohnnachzahlung wie bereits vor der ersten Instanz. Das Appellationsgericht hiess die Berufung gut und stellte fest, dass die Arbeitgeberin die Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht bewiesen habe. Die Arbeitgeberin ficht dieses Urteil mit Beschwerde in Zivilsachen an.

 

Generelle Ausführungen des Bundesgerichts

Das Bundesgericht machte zunächst generelle Ausführungen zur Kündigung, insbesondere dass es sich um eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung handelt (Art. 335 OR). Eine gesetzliche Form ist nicht vorgesehen, wobei die Absicht, das Arbeitsverhältnis zu beenden, klar und unmissverständlich zum Ausdruck gebracht werden muss (vgl. BGE 135 III 441, E. 3.3).

 

Erwägungen des Bundesgerichts im konkreten Fall

Vorliegend liegt die Beweislast für das Vorliegen der Kündigung und deren Zustellung bei der Arbeitgeberin. Dabei bestreitet sie weder die ihr obliegende Beweislast, noch rügt sie die Verletzung von Bundesrecht. Sie machte lediglich geltend, dass sie hinreichend dargelegt habe durch ein Telefonat, welches vor Ablauf der Probezeit stattgefunden habe, über die Beendigung des Arbeitsvertrages informiert zu haben. Somit betrifft die strittige Frage die Tatsachenfeststellung und die Beweiswürdigung und wurde daher vom Bundesgericht unter dem Gesichtspunkt des Willkürverbots (Art. 9 BV; vgl. BGE 127 III 519 E. 2) geprüft.

Erstens brachte die Arbeitgeberin vor, dass die Zeugenaussagen von C., D. und E., welche im erstinstanzlichen Verfahren erhoben worden sind, mit Vorsicht zu geniessen seien, da diese der Arbeitgeberin nahestehen würden. C. sei die einzige Person, welche am Verfahrensausgang interessiert gewesen sei, da er der Verwaltungsratspräsident der A. AG ist. Dabei sei D. lediglich ein externer Mitarbeiter und nicht mehr Aktionär der Gesellschaft. E. wäre ebenfalls nur ein Verwaltungsangestellter. Das Bundesgericht erkennt hierbei lediglich appellatorische Kritik der Arbeitgeberin, welche sich nicht mit dem Urteil des Appellationsgericht auseinandersetzt: „Con queste argomentazioni la ricorrente si limita ad esporre in modo appellatorio una sua opinione sulla rilevanza delle dichiarazioni rilasciate dalle citate persone, ma non sostanzia d’arbitrio la valutazione della Corte cantonale“ (BGer 4A_55/2023 vom 25. März 2024, E. 4.2). Das Bundesgericht nimmt der Arbeitgeberin sodann direkt den Wind aus den Segeln, denn E. sei –  gemäss Appellationsgericht – beim fragwürdigen Telefonat gar nicht anwesend gewesen. Zudem habe D. seit mehreren Jahren (über eine Holdinggesellschaft) Aktien der Arbeitgeberin gehalten, welche auf dessen Sohn (G.) übertragen wurden. G. ist heute Direktor der Arbeitgeberin. Inwiefern D. diesbezüglich nicht am Verfahrensausgang interessiert sein solle, wurde von der Arbeitgeberin nicht anforderungsgemäss (Art. 106 Abs. 2 BGG) dargelegt. Dasselbe gilt für die Aussagen von E.: „Perché tale conclusione sarebbe non soltanto opinabile, bensì manifestamente insostenibile, e quindi arbitraria, la ricorrente non lo spiega con una motivazione conforme alle esigenze dell‘art. 106 cpv. 2 LTF (BGer 4A_55/2023 vom 25. März 2024, E. 4.2).

 Zweitens brachte die Arbeitgeberin vor, dass die Kündigung telefonisch von D. (externer Mitarbeiter) in Anwesenheit von C. ausgesprochen worden sei, der sie dann sofort bestätigt habe. Obwohl D. ein externer Mitarbeiter gewesen sei, habe er im Namen der Klägerin gehandelt und sei vertretungsberechtigt gewesen. Dabei stellte das Appellationsgericht fest, dass D. zu diesem Zeitpunkt lediglich ein externer Berater des Unternehmens war und dass er sich, als er die angebliche Kündigung telefonisch mitteilte, dem Arbeitnehmer nicht als Vertreter des Arbeitgebers vorstellte. Diese Feststellung blieb von der Arbeitgeberin unangefochten und ist für das Bundesgericht somit verbindlich (Art. 105 Abs. 1 BGG). Mit dem blossen Hinweis, der Verwaltungsratspräsident sei Zeuge des angeblichen Telefongesprächs gewesen, bringt die Arbeitgeberin lediglich eine andere Meinung zum Ausdruck. Die Feststellung des Appellationsgerichts, dass die telefonisch ausgesprochene Kündigung durch einen bloss externen Mitarbeiter des Arbeitgebers eine ungewöhnliche Form der Entlassung darstellt, wurde indessen nicht begründet: „Limitandosi a rilevare che il presidente del consiglio di amministrazione aveva assistito all’asserita telefonata, la ricorrente espone semplicemente una sua diversa opinione, ma non sostanzia d’arbitrio la considerazione della Corte cantonale secondo cui la disdetta data telefonicamente da parte di un semplice collaboratore esterno della datrice di lavoro costituisce una modalità di licenziamento anomala.“ (BGer 4A_55/2023 vom 25. März 2024, E. 5.2).

Drittens bringt die Arbeitgeberin vor, dass der Arbeitsvertrag keine besondere Form der Kündigung vorsehe. Dieser könne auch mündlich ausgesprochen werden. So sei dem Arbeitnehmer, welcher für das Projekt eingestellt worden sei, bereits mit der Abschlusssitzung zum Projekt Ende Mai 2018 bekannt gewesen, dass sein Arbeitsverhältnis ende. Die Kündigung sei dem engen Zeitplan, dem nahen Ablauf der Probezeit, der Nichterreichbarkeit des Arbeitnehmers unter der von ihm angegebenen Adresse und der urlaubsbedingten Abwesenheit geschuldet und somit telefonisch erfolgt. Auch diesbezüglich setzt sich – gemäss Bundesgericht – die Arbeitgeberin nicht mit dem Urteil der Vorinstanz auseinander und belegt die gerügten Erwägungen nicht: „Con queste argomentazioni, e riportando stralci delle conclusioni scritte presentate dinanzi al giudice di primo grado, come pure richiamando le dichiarazioni corrispondenti delle persone interrogate durante l’istruttoria, la ricorrente non si confronta con il contenuto del citato considerando e non lo sostanzia quindi d’arbitrio.“ (BGer 4A_55/2023 vom 25. März 2024, E. 6.2). Insbesondere verweist das Bundesgericht auf die Tatsache, dass die Arbeitgeberin über drei E-Mail-Adressen des Arbeitnehmers verfügte (zwei berufliche und eine private): „Nel considerando in questione, la Corte cantonale ha infatti accertato che la ricorrente disponeva di tre recapiti di posta elettronica dell’opponente (due professionali e uno privato) ed ha rilevato l’assenza di un qualsiasi scritto di conferma della disdetta, anche solo per via elettronica, o di una prova documentale a sostegno dell’asserita telefonata.“ (BGer 4A_55/2023 vom 25. März 2024, E. 6.2). Somit legt die Arbeitgeberin nicht dar, weshalb das kantonale Gericht die Beendigung des Arbeitsverhältnisses bezweifeln konnte: „La ricorrente non spiega per quali ragioni, alla luce di queste circostanze, vincolanti per il Tribunale federale (art. 105 cpv. 1 LTF), la Corte cantonale non potesse sostenibilmente nutrire quantomeno dei dubbi sull’avvenuta disdetta del contratto di lavoro.“ (BGer 4A_55/2023 vom 25. März 2024, E. 6.2).

Viertens brachte die Arbeitgeberin vor, dass das genaue Datum des streitigen Telefonats nicht feststehe und dass nach den Feststellungen des Appellationsgerichts auf der Grundlage der Zeugenaussage das Scheitern des vom Arbeitnehmer verfolgten Projekts an der Sitzung im Juli 2018 besprochen worden sei, es aber keine formelle Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegeben habe. Die Arbeitgeberin erwähnte deshalb, es sei ihr nicht zuzumuten, die Telefonaufzeichnungen über Jahre nach dem Ereignis zu finden. Die Feststellung des genauen Tages der Kündigung habe ohnehin keine absolute Relevanz, da das Verhalten des Arbeitnehmers unmittelbar danach es erlauben würde, die Kündigung als unbestritten –  bis zum 24. August 2018 – anzusehen. Hierzu erwog das Bundesgericht, dass die nicht genaue Feststellung des Datums nicht als willkürlich gerügt wurde, sondern räumte diesbezüglich eine Unsicherheit ein. Was die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers nach der Sitzung im Mai bis November 2018 betrifft, hat das Appellationsgericht tatsächlich festgestellt, dass der Arbeitnehmer mit potenziellen Finanzpartnern gearbeitet und interagiert und E-Mails ausgetauscht hat. Dies ist nicht von Willkür geprägt: „Con questa argomentazione, la ricorrente non censura d’arbitrio l’accertamento relativo alla mancata, precisa, determinazione della data della telefonata, riconoscendo anzi un’incertezza al riguardo. Quanto al generico richiamo al comportamento dell’opponente dopo la supposta telefonata, la Corte cantonale ha in realtà accertato ch’egli aveva continuato a lavorare, interagendo e scambiando messaggi di posta elettronica con il back office della ricorrente e i potenziali partner finanziari almeno fino alla metà di novembre del 2018. Questo accertamento non è sostanziato d’arbitrio. Di natura appellatoria, la censura non deve essere vagliata oltre.“ (BGer 4A_55/2023 vom 25. März 2024, E. 7.2).

Als fünften und letzten Punkt brachte die Arbeitgeberin vor, die erstinstanzliche Rüge der Löhne September und Oktober 2018 falsch beurteilt zu haben. Gemäss Arbeitgeberin habe der Arbeitnehmer selbst darum gebeten, die Zusammenarbeit unter anderen Bedingungen fortsetzen zu dürfen. Zu diesem Zweck sei ihm dann angeboten worden, mit der H. Ltd, einer englischen Tochtergesellschaft der Arbeitgeberin, deren E-Mail-Adresse zu verwenden. Das Bundesgericht äussert sich hierzu rudimentär und sagt, dass mit diesen Argumenten die Arbeitgeberin lediglich ihre Version des Sachverhalts präsentiert, sich aber nicht mit einer den Anforderungen von Art. 106 Abs. 2 BGG genügenden Begründung auseinandersetzt und keine Willkür rügt. Die Arbeitgeberin behauptet, der Arbeitnehmer habe nur das geschäftliche E-Mail der H.Ltd. verwendet. Sie setzt sich aber nicht mit der Feststellung des Appellationsgericht auseinander, dass der Arbeitnehmer beide geschäftlichen E-Mails verwendet hat und sich sowohl als Mitarbeiter der A. SA als auch der H. Ltd. ausgegeben habe. Zudem lässt die Arbeitgeberin ausser Acht, dass die H.Ltd. eine Mantelfimra war, die zu 100 % der A. SA gehörte und nur dazu diente, den Namen der A. SA auf dem Finanzplatz London zu führen. Folglich wurde nicht dargelegt, warum diese Feststellung, die sich im Übrigen auf die Aussagen ihres Verwaltungsratspräsidenten stützt, offensichtlich im Widerspruch zu den Akten steht: „Con queste argomentazioni, la ricorrente si limita nuovamente a ribadire la sua versione dei fatti, ma non si confronta con gli accertamenti e le valutazioni della Corte cantonale sostanziandoli d’arbitrio con una motivazione conforme alle esigenze dell‘art. 106 cpv. 2 LTF. Adduce che l’opponente avrebbe utilizzato esclusivamente l’e-mail professionale di H. Ltd, ma non sostanzia d’arbitrio l’accertamento della Corte cantonale secondo cui, durante tutto il periodo in esame, egli ha usato entrambe le e-mail aziendali, presentandosi come dipendente sia di A. SA sia di H. Ltd. La ricorrente disattende altresì che i giudici cantonali hanno accertato che H. Ltd era una società vuota, interamente detenuta da A. SA, che serviva esclusivamente per portare il nome di quest’ultima sulla piazza finanziaria londinese. Non spiega per quali ragioni questo accertamento, fondato peraltro sulle dichiarazioni del suo presidente di amministrazione, sarebbe manifestamente in contrasto con gli atti.“ (BGer 4A_55/2023 vom 25. März 2024, E. 8.2).

 Zusammenfassend vermochte die Arbeitgeberin weder durch die gerügten Zeugenaussagen, noch die Tatsache, dass die Kündigung telefonisch erfolgte, vorzubringen, dass die vorinstanzliche Feststellungen von Willkür geprägt waren.

 

 

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Autoren: Nicolas Facincani Matteo Ritzinger

 

 

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