Nach Art. 30 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK hat jede Person, deren Sache in einem gerichtlichen Verfahren beurteilt werden muss, Anspruch darauf, dass ihre Streitsache von einem unbefangenen, unvoreingenommenen und unparteiischen Gericht beurteilt wird. Es soll garantiert werden, dass keine sachfremden Umstände, die ausserhalb des Prozesses liegen, in sachwidriger Weise zugunsten oder zulasten einer Partei auf das gerichtliche Urteil einwirken. Art. 30 Abs. 1 BV soll zu der für einen korrekten und fairen Prozess erforderlichen Offenheit des Verfahrens im Einzelfall beitragen und damit ein gerechtes Urteil ermöglichen (BGE 147 III 89 E. 4.1; 144 I 159 E. 4.3; 142 III 732 E. 4.2.2). Die Garantie des verfassungsmässigen Gerichts wird bereits verletzt, wenn bei objektiver Betrachtung Gegebenheiten vorliegen, die den Anschein der Befangenheit oder die Gefahr der Voreingenommenheit zu begründen vermögen. Voreingenommenheit und Befangenheit in diesem Sinne werden nach der Rechtsprechung angenommen, wenn im Einzelfall anhand aller tatsächlichen und verfahrensrechtlichen Umstände Gegebenheiten aufscheinen, die geeignet sind, Misstrauen in die Unparteilichkeit des Gerichts zu erwecken. Dabei ist nicht auf das subjektive Empfinden einer Partei abzustellen. Das Misstrauen in die Unvoreingenommenheit muss vielmehr in objektiver Weise begründet erscheinen. Es genügt, wenn Umstände vorliegen, die bei objektiver Betrachtung den Anschein der Befangenheit und Voreingenommenheit hervorrufen. Für die Ablehnung wird nicht verlangt, dass die Gerichtsperson tatsächlich befangen ist (BGE 147 III 89 E. 4.1; 142 III 732 E. 4.2.2; 140 III 221 E. 4.1).

Nach Art. 47 hat eine Gerichtsperson tritt in den Ausstand zu treten, wenn sie aus anderen Gründen, insbesondere wegen Freundschaft oder Feindschaft mit einer Partei oder ihrer Vertretung, befangen sein könnte, insbesondere wenn sie:

  • in der Sache ein persönliches Interesse hat;
  • in einer anderen Stellung, insbesondere als Mitglied einer Behörde, als Rechtsbeiständin oder Rechtsbeistand, als Sachverständige oder Sachverständiger, als Zeugin oder Zeuge, als Mediatorin oder Mediator in der gleichen Sache tätig war;
  • mit einer Partei, ihrer Vertreterin oder ihrem Vertreter oder einer Person, die in der gleichen Sache als Mitglied der Vorinstanz tätig war, verheiratet ist oder war, in eingetragener Partnerschaft lebt oder lebte oder eine faktische Lebensgemeinschaft führt;
  • mit einer Partei in gerader Linie oder in der Seitenlinie bis und mit dem dritten Grad verwandt oder verschwägert ist;
  • mit der Vertreterin oder dem Vertreter einer Partei oder mit einer Person, die in der gleichen Sache als Mitglied der Vorinstanz tätig war, in gerader Linie oder im zweiten Grad der Seitenlinie verwandt oder verschwägert ist;
  • aus anderen Gründen, insbesondere wegen Freundschaft oder Feindschaft mit einer Partei oder ihrer Vertretung, befangen sein könnte.

 

BGer 4A_101/2024 vom 14. März 2024

Im Entscheid BGer 4A_101/2024 vom 14. März 2024 hatte sich das Bundesgericht mit einem Ausstandbegehren gegen eine nebenamtliche Arbeitsrichterin zu befassen. Arbeitsgerichte sind im Kanton Zürich (unter Vorbehalt der Zuständigkeit des Präsidenten als Einzelrichter) paritätisch besetzt.

Der Kläger (Beschwerdeführer) beantragte, die betreffend Arbeitsrichterin sei durch eine „arbeitsfähige“ und „zur Gruppe der Arbeitnehmenden gehörende nebenamtliche“ Gerichtsperson zu ersetzen, und verlangte die Wiederholung der Hauptverhandlung.

 

Erstinstanz

Der Beschwerdeführer hatte bereits im Jahr 2022 ein Ausstandsgesuch gegen die nebenamtliche Arbeitsrichterin gestellt. Zur Begründung hatte er im Wesentlichen vorgebracht, sie sei zusammen mit dem früheren CEO der Beschwerdegegnerin im Vorstand des Schweizerischen Arbeitgeberverbands. Damals habe die Vorinstanz die Zugehörigkeit zum selben Gremium bei objektiver Betrachtung als ungeeignet erachtet, Misstrauen in die Unparteilichkeit der nebenamtlichen Arbeitsrichterin zu wecken. Auf diese Ausführungen hatte die Erstinstanz im vorliegenden Fall verwiesen und erwogen, auf die Argumente, welche der Beschwerdeführer bereits im früheren Ausstandsverfahren erfolglos geltend gemacht habe, sei nicht mehr einzugehen.

Allerdings mache der Beschwerdeführer geltend, dass der frühere CEO der Beschwerdegegnerin zwischenzeitlich zum Präsidenten des Arbeitgeberverbands gewählt worden sei. Nunmehr sei ihm die nebenamtliche Arbeitsrichterin direkt unterstellt. In seiner Antrittsrede habe er als Hauptziel des Arbeitgeberverbands ausdrücklich den Kampf gegen den Kündigungsschutz genannt, um den es auch im vorliegenden Verfahren gehe. Die nebenamtliche Arbeitsrichterin unterliege folglich einem unauflösbaren Interessenskonflikt. Zudem habe der frühere CEO der Beschwerdegegnerin aufgrund seines Fehlverhaltens mit Regressforderungen der Beschwerdegegnerin zu rechnen. Daher sei undenkbar, dass die nebenamtliche Arbeitsrichterin unabhängig über die Forderungen entscheiden könne, die ihren Vorstandskollegen persönlich belasten würden. Vielmehr sei davon auszugehen, dass er über die nebenamtliche Arbeitsrichterin direkt in den gerichtlichen Entscheidungsprozess eingreife.

Dazu hatte die Erstinstanz erwogen, es bestünden keinerlei Hinweise, dass der frühere CEO der Beschwerdegegnerin die nebenamtliche Arbeitsrichterin beeinflusst habe oder dies in Zukunft beabsichtige. Seine neue Position als Präsident des Arbeitgeberverbands ändere daran nichts. Dass der frühere CEO Regressforderungen der Beschwerdegegnerin zu gewärtigen habe, sei durch nichts belegt. Den Behauptungen des Beschwerdeführers stehe die Stellungnahme der nebenamtlichen Arbeitsrichterin gegenüber, dass sie den früheren CEO der Beschwerdegegnerin persönlich überhaupt nicht kenne. Gemäss Erstinstanz zählt der fragliche Vorstand 63 Mitglieder. Daher sei durchaus plausibel, dass die Mitglieder sich untereinander nicht kennten, auch wenn sie sich vielleicht an Sitzungen begegneten.

 

Vorinstanz und Entscheid des Bundesgerichts

Die Vorinstanz hiel fest, dass weder die Parteizugehörigkeit noch die politische Überzeugung und Aktivität einer Gerichtsperson für sich genommen einen Ausstandsgrund darstellen (vgl. Urteil 5A_625/2019 vom 22. Juli 2020 E. 5.2.2).

Keine Befangenheit begründet in miet- oder arbeitsrechtlichen Verfahren die reine Mitgliedschaft in einem Berufsverband oder einer Interessenorganisation. Dies gilt vor allem für die Gruppenvertretungen in einer paritätisch zusammengesetzten Gerichtsbehörde. Diese können aufgrund ihrer Verbundenheit mit den interessierten Kreisen nicht ganz unabhängig sein und es liegt in der Natur der Sache und dem Entscheid des Gesetzgebers, dass sie deren Interessen in den Vordergrund stellen. Problematisch kann die gemeinsame Mitgliedschaft in einer Interessengruppe dann sein, wenn sie eine Freundschaft indiziert, was bei Vereinigungen zur gegenseitigen Förderung und Unterstützung mit stark eingeschränktem und intransparentem Mitgliederkreis vermutet werden darf (STEPHAN WULLSCHLEGER, in: Sutter-Somm/Hasenböhler/ Leuenberger [Hrsg.], Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung [ZPO], 3. Auflage, 2016, N. 41 ff. zu Art. 47 ZPO mit zahlreichen Hinweisen).

Eine solche Situation liegt hier aber gemäss Bundesgericht nicht vor. Die Vorinstanz liess offen, ob sich die nebenamtliche Richterin und der frühere CEO der Beschwerdegegnerin persönlich kennen würden. Dessen Präsidentenstellung begründe aber keine Nähe, welche den objektiven Anschein einer Befangenheit erwecke. Bereits die Anzahl der Vorstandsmitglieder indiziere eine bloss lose Beziehung zum Präsidenten. Zudem wirke die nebenamtliche Arbeitsrichterin ehrenamtlich für den Arbeitgeberverband. Selbst bei einem Ausschluss aus dem Vorstand hätte sie keine gravierenden Konsequenzen zu befürchten. Die nebenamtliche Arbeitsrichterin habe ihre Stellungnahme zum Ausstandsgesuch auf dem Briefpapier des Verbands verfasst. Auch dies stelle ihre Unabhängigkeit nicht in Frage, sondern dürfte einen rein praktischen Grund haben, sei sie doch Geschäftsführerin jenes Verbands.

Nachdem die Vorinstanz zum Schluss gelangt sei, dass das Ausstandsgesuch gegen die nebenamtliche Arbeitsrichterin unbegründet ist, habe sie gemäss Bundesgericht folgerichtig festgehalten, dass kein Ersatz zu bestellen ist. Ohnehin hätte der Ersatz gemäss § 15 Abs. 1 GOG/ZH ebenfalls der Gruppe der Arbeitgebenden angehören müssen.

 

Autor: Nicolas Facincani

 

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