Art. 329 Abs. 3 OR lautet wie folgt: Dem Arbeitnehmer sind im Übrigen die üblichen freien Stunden und Tage und nach erfolgter Kündigung die für das Aufsuchen einer anderen Arbeitsstelle erforderliche Zeit zu gewähren.

 

Zeit für Stellensuche

Das Gesetz sagt nicht, wieviel Zeit für das Aufsuchen einer neuen Stelle zu Gewähren ist. Daher bestimmt sich die „für das Aufsuchen einer anderen Arbeitsstelle erforderliche Zeit“ nach den konkreten Umständen des Einzelfalls (z.B. angestrebte Arbeit, allgemeine Arbeitsmarktsituation; vgl. etwa Prinz/Geel, Art. 329 N 20 ff., in: Etter/Facincani/Sutter (Hrsg.), Kommentar zum Arbeitsvertrag, Bern 2021). Der Zweck von Art. 329 Abs. 3 OR besteht darin, dem Arbeitnehmer, der ein Bewerbungsgespräch in der Regel bloss während der „normalen“ Arbeitszeit führen kann, eine unmittelbare Weiterführung seiner beruflichen Tätigkeit an einer neuen Arbeitsstelle zu ermöglichen. Die Zeit, welche einem Arbeitnehmer für die Stellensuche einzuräumen ist, muss vom Arbeitgeber nach Treu und Glauben bestimmt werden. In der Praxis hat sich die Dauer von einem halben Tag pro Woche, welcher auch in 2 x 2 Stunden unterteilbar sein soll, eingebürgert. Es ist aber nur für die effektiv benötigte Zeit frei zu geben. Ein Arbeitnehmer darf nicht einfach während der Kündigungsfrist einen halben Tag pro Woche frei machen.

Anerkannt ist aber, dass sich der Zeitbedarf bei kurzer Kündigungsfrist oder bei speziellen Verhältnissen (wie etwa die Arbeitsmarktsituation oder spezielle Verhältnisse des Arbeitgebers (etwa das Alter)) die Dauer der ausserordentlichen Freizeit für die Stellensuche erhöht werden muss.

Auch die Dauer des Weges zu einem Vorstellungsgespräch ist für die Dauer zu berücksichtigen. Wird die Dauer der gewährten Freizeit, welche mit dem Arbeitgeber rechtzeitig abzusprechen ist, überschritten, muss die Zeit nachgeholt werden.

Nicht zulässig ist es grundsätzlich, dass die Zeit für die Stellensuche davon abhängig gemacht wird, dass der Arbeitnehmer die Adresse des Vorstellungsgespräches nennt.

Der Anspruch besteht für Termine bei möglichen Arbeitgebern wie Bewerbungsgespräche oder Eignungsgespräche, nicht aber für die allgemeine Stellensuche wie etwa das Durforsten von Bewerbungsportalen oder Zeiten. Dies hat in der normalen Freizeit zu erfolgen.

 

Freie Zeit für den Aufbau des eigenen Betriebs?

Aber auch für den Aufbau eines eigenen Betriebs besteht ein Anspruch auf Freizeit, sofern diese erforderlich ist. Es ist in jedem Fall aufzuzeigen, weshalb die Vorbereitungshandlungen für die eigenen Betrieb nicht in der Freizeit erfolgen können. Dies hielt das Arbeitsgericht im Entscheid 2002 Nr. 10 fest:

„Nach Art. 329 Abs. 3 OR hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer nach erfolgter Kündigung – unabhängig davon, wer die Kündigung erklärte (BK-Rehbinder, N 18 zu Art. 329 OR) – die für das Aufsuchen einer anderen Arbeitsstelle erforderliche Zeit zu gewähren. Art. 329 Abs. 3 OR sagt jedoch nichts darüber aus, ob der Arbeitnehmer während dieser Zeit einen Lohnfortzahlungsanspruch hat. Im Zusammenhang mit dieser Frage ist Art. 324a Abs. 1 / Abs. 2 OR einschlägig. Nach Art. 324a Abs. 1 / Abs. 2 OR hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer im Falle des Vorliegens eines subjektiven persönlichen Leistungshindernisses während einer beschränkten Zeit – wenn sich der Arbeitnehmer noch im ersten Dienstjahr befindet: während drei Wochen – den Lohn weiterhin zu bezahlen. Als subjektives persönliches Leistungshindernis im Sinne von Art. 324a Abs. 1 OR ist auch die Suche nach einer neuen Arbeitsstelle zu verstehen (vgl. BK-Rehbinder, N 11 zu Art. 324a OR). Der Zweck von Art. 329 Abs. 3 OR besteht darin, dem Arbeitnehmer, der ein Bewerbungsgespräch in der Regel bloss während der „normalen“ Arbeitszeit führen kann, eine unmittelbare Weiterführung seiner beruflichen Tätigkeit an einer neuen Arbeitsstelle zu ermöglichen (BK, Rehbinder, N 18 zu Art. 329 OR). Nicht nur das Aufsuchen einer anderen Arbeitsstelle, sondern auch die Vorbereitung der selbständigen Erwerbstätigkeit kann die Vorbereitungshandlungen während der „normalen“ Arbeitszeit erforderlich machen. Der Arbeitnehmer, der sich selbständig machen will, ist jedoch nicht im gleichen Masse wie der Arbeitnehmer, der eine neue Arbeitsstelle aufsuchen will, darauf angewiesen, dass ihm während der „normalen“ Arbeitszeit Freizeit eingeräumt wird; denn z.B. der Einkauf von Büromaterial lässt sich ohne weiteres auch am Abend oder am Wochenende erledigen.

Der Beklagte unterliess es denn auch, Ausführungen dazu zu machen, welche seiner Vorbereitungshandlungen unbedingt während der „normalen“ Arbeitszeit erfolgen mussten. Weil sich der Fall, dass ein Arbeitnehmer eine neue Stellen suchen will, vom Fall, dass sich ein Arbeitnehmer selbständig machen will, folglich erheblich unterscheidet, verbietet sich vorliegend die analoge Anwendung von Art. 329 Abs. 3 OR und konsequenterweise auch die Anwendung von Art. 324a Abs. 1 / Abs. 2 OR. Es ist also davon ausgehen, dass sich der Beklagte – unbezahlte – Fehlstunden anrechnen lassen muss, weshalb die Klage in diesem Umfang gutzuheissen ist.“.

 

Auskunftspflicht des Arbeitnehmers

Es besteht keine Auskunftspflicht des Arbeitnehmers, den möglichen künftigen Arbeitgeber bekanntzugeben (OGer LU, JAR 1989, S. 178). Nimmt der Arbeitnehmer ungerechtfertigt zu viel Zeit frei, darf der Arbeitgeber die überflüssige Zeit an die Ferien anrechnen oder die Kompensation anordnen (AGer ZH, JAR 1999, S. 201).

 

Nur nach erfolgter Kündigung?

Entgegen dem zu engen Gesetzeswortlaut („nach erfolgter Kündigung“) muss auch gegen Ende von befristeten Arbeitsverhältnissen die entsprechende Freizeit gewährt werden, wobei der Zeitpunkt massgebend sein sollte, in dem bei unbestimmter Vertragszeit gekündigt werden könnte (Entscheid des Kantonsgerichts Freiburg 605 2019 46 vom 27. Februar 2020, E. 4.2.3).

 

Befristete Arbeitsverhältnisse

Aufgrund des Wortlautes des Gesetzes könnte davon ausgegangen werden, dass die Regelung nur für unbefristete, nicht aber für befristete Arbeitsverhältnisse gelten soll. In der Praxis ist anerkannt, dass auch einem Arbeitnehmer mit befristetem Arbeitsvertrag die Zeit für die Stellensuche zu gewähren ist. In einem solchen Fall, wir die hypothetische Kündigungsfrist bestimmt, welche nach Art. 335b und 335c OR anwendbar wäre und geschaut, wann gekündigt werden müsste, damit das Arbeitsverhältnis, sofern es unbefristet wäre, am Enddatum des Arbeitsvertrages enden würde.

 

Nachholen der Abwesenheit

Oft wird von Arbeitgebern verlangt, dass die gewährte Zeit für die Stellensuche nachzuholen sein. Dies ist als allgemeine Regel nicht zutreffend. Anerkannt ist, dass wenn der Arbeitsvertrag hierzu keine Regelung enthält, die Zeit für die Stellensuche nicht zu kompensieren ist. Umstritten ist, ob eine diesbezügliche Regelung in einem Arbeitsvertrag bindend wäre. Dies wäre wohl nur (wenn überhaupt) in dem Umfang zulässig, als kein Lohnanspruch für die Dauer der Stellensuche besteht (zum Lohnanspruch siehe nachfolgend).

In jedem Fall unzulässig ist eine Kompensation, wenn ein Fall von Art. 324a OR (unverschuldete Arbeitsverhinderung) vorliegt.

 

Lohnanspruch

Ein höchstrichterlicher Entscheid existiert nicht. Massgebend ist die Vereinbarung der Parteien, wenn keine existiert, die Übung (Art. 322 OR – siehe hierzu den Beitrag zur Lohnhöhe). Es hat sich die folgende Praxis entwickelt:

  • Bei Monats- und Wochenlöhnen erfolgt kein Abzug, bei Stunden-, Tag- und Akkordlöhnen wird nur die Zeit entschädigt, während der gearbeitet wird.
  • Liegt ein Fall von Art. 324a OR (unverschuldete Arbeitsverhinderung) vor, ist der Lohn geschuldet.

 

Teilzeitarbeit

Es ist in jedem Fall gesondert zu beurteilen, ob ein Teilzeitangestellter Anspruch auf eine kurzfristige Arbeitsbefreiung hat (Art. 329 Abs. 3 OR). Bei Teilzeitangestellten ist insbesondere zu prüfen, ob die Verrichtung auch während der arbeitsfreien Zeit zumutbar ist. Ist dies der Fall, besteht kein Anspruch auf kurzfristige Arbeitsbefreiung.

 

Kündigung wegen Stellensuche

Der Arbeitnehmer hat das Recht zur Stellensuche. Nimmt er sein Recht war, darf ihm grundsätzlich nicht fristlos gekündigt werden. Eine fristlose Entlassung wäre etwa denkbar, wenn der Arbeitnehmer zwar Zeit für die Stellensuche beansprucht, aber die Zeit anderweitig verwendet oder eigenmächtig (bei berechtigter Verweigerung der Zeit für die Stellensuche durch den Arbeitgeber) die Stelle für die Stellensuche verlässt. Es wäre aber stets der Einzelfall zu prüfen.

 

Weitere Beiträge zum Ferienrecht (Auswahl):

 

Autor: Nicolas Facincani 

 

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