In der Schweiz ist ein arbeitsrechtlicher, geschlechtsübergreifender Gleichbehandlungsgrundsatz anerkannt (Gleichbehandlungspflicht). Dieser Gleichbehandlungsgrundsatz leitet sich aus der Pflicht des Arbeitgebers zum Schutz der Persönlichkeit der Arbeitnehmer ab (Fürsorgepflicht – Art. 328 OR). Eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung stellt eine Persönlichkeitsverletzung der Arbeitnehmer dar.
Verbot der willkürlichen Diskriminierung
Eine persönlichkeitsverletzende Ungleichbehandlung liegt nur im Falle einer willkürlichen (also sachlich ungerechtfertigten), individuellen Diskriminierung vor. Gemäss Bundesgericht kann jedoch auch eine unsachliche Entscheidung des Arbeitgebers nur dann als Persönlichkeitsverletzung und damit als Verstoss gegen das individuelle Diskriminierungsverbot gelten, wenn darin eine den Arbeitnehmer verletzende Geringschätzung seiner Persönlichkeit zum Ausdruck kommt, was von vornherein nur dann gegeben sein kann, wenn ein einzelner Arbeitnehmer gegenüber einer Vielzahl von Arbeitnehmern deutlich schlechter gestellt wird – nicht jedoch, wenn nur ein einzelner Arbeitnehmer bessergestellt wird.
Das Zürcher Obergericht hat diesbezüglich spezifiziert, dass die gewählte Einzahl „ein Arbeitnehmer“ wohl nicht wörtlich zu verstehen sei; auch die vom Bundesgericht angeführten Literaturstellen gingen davon aus, auch eine ganze (wenn auch kleine) Gruppe von Arbeitnehmern könne rechtswidrig schlechter gestellt sein (ZR 104/2005 S. 141, 10.03.2004, Obergericht Zürich, S. 141–147). Sodann stellte das Zürcher Obergericht fest, dass der streitige Fall einen Grenzfall darstelle: Ein Sechstel der Mitarbeitenden resp. der Stellenprozente (welche i.c. diskriminiert wurden) sei an sich zwar bereits ein relativ erheblicher Teil der ganzen Belegschaft. Anderseits könne es stossend sein, eine klare persönlichkeitsverletzende Schlechterstellung (nur) aufgrund dieses zahlenmässigen Verhältnisses als unangreifbar zu behandeln.
Entscheide des Arbeitsgerichts Zürich 2022, Fall Nr. 4
Das Arbeitsgericht Zürich hatte einen Fall zu beurteilen, wo ein gekündigter Arbeitnehmer (Kläger) geltend machte, er sei im Zusammenhang mit Bonuszahlungen diskriminiert worden. Umstritten war, ob die Beklagte den Kläger im Rahmen des Sozialplanes in persönlichkeitsverletzender Weise diskriminierend schlechter stellte als andere Mitarbeiter, indem sie ihm keinen Bonus mehr auszahlte.
Der Kläger beantragt die Edition sämtlicher Unterlagen betreffend Bonuszahlungen im Jahr 2020 an die Belegschaft der Beklagten, auf die der Sozialplan 2019 anwendbar gewesen sei. Die Beklagte habe offenzulegen, welchen Mitarbeitenden sie im Jahr einen Bonus bezahlt habe, in welcher Höhe, und welche Mitarbeitenden überhaupt keinen Bonus erhalten hätten. Ebenfalls sei das Halbjahres- und Jahresergebnis des Teams des Klägers im Jahr 2019 zu edieren.
Der Kläger macht geltend, es liege keine fishing expetition vor, wenn man sämtliche Bonuszahlungen derjenigen Kadermitarbeiter erhalten möchte, die an diesem Sozialplan teilgenommen hätten. Nur so könne die Diskriminierung substantiiert werden.
Das Arbeitsgericht Zürich wies das Begrehen um Edition ab. Das Arbeitsgericht stellte klar, dass Urkundeneditionen dazu gedacht sind, einen Prozessstandpunkt zu beweisen und nicht um diesen zu begründen. Dies erebe sich aus dem Sinn und Zweck der Edition, die kein Mittel zur Informationsbeschaffung, sondern ein Mittel zum Beweis von konkreten einzelnen Tatsachen sei, die eine Partei schon genau zu kennen behauptet. Reine unsubstantiierte Mutmassungen würden nicht genügen.
3.2.3.2. Festzuhalten ist, dass der Urkundenedition grundsätzlich durch das Verbot der Ausforschung der Gegenpartei („fishing expedition“) Schranken gesetzt ist. Ein Editionsantrag für Akten, die erst die Begründung des Prozessstandpunktes einer Partei ermöglichen sollen, ist deshalb unzulässig (BSK ZPO-Schmid, Art. 160 N 24 m.w.H.). Dies ergibt sich aus dem Sinn und Zweck der Edition, die kein Mittel zur Informationsbeschaffung, sondern ein Mittel zum Beweis von konkreten einzelnen Tatsachen ist, die eine Partei schon genau zu kennen behauptet. Reine unsubstantiierte Mutmassungen genügen nicht. Alles andere würde auf eine Ausforschung, d.h. auf ein Sammeln neuer Argumente hinauslaufen, die man bis dahin noch nicht substantiieren konnte (vgl. Mark Livschitz/Oliver Schmid, in: AJP 2011 S. 739 ff., Sie wollen klagen – Ihr Gegner hat die Beweise: Beweisausforschungsstrategien und ihre Abwehr: Neuerungen im Kontext der eidgenössischen Prozessordnungen aus Sicht der Praxis, S. 740 f.). Eine Edition muss sich grundsätzlich auf verhältnismässig wenige und bestimmt zu bezeichnende Aktenstücke beziehen (BSK ZPO-Schmid, Art. 160 N 24 m.w.H.).
[…]
Der Kläger unterliess es, konkrete Tatsachenbehauptungen aufzustellen. So verlangt er unspezifisch Unterlagen betreffend Bonuszahlungen im Jahr 2020 an die Belegschaft der Beklagten bzw. Kadermitarbeiter, auf welche der Sozialplan 2019 anwendbar gewesen sei. Um was für Unterlagen es sich dabei konkret handeln soll (Korrespondenz, Verträge [Arbeitsverträge/Vereinbarung betreffend COACH-Prozess] etc.) wurde nicht substantiiert vorgebracht. Wie viele Kadermitarbeiter bzw. Personen der Belegschaft der Beklagten entlassen wurden und unter den Sozialplan 2019 fielen, wurde nicht ansatzweise ausgeführt. Unklar ist, auf wie viele der 1019 Empfänger von Abfindungszahlungen im Jahr 2020 sich das Editionsbegehren des Klägers bezieht und ob dieses verhältnismässig wenige Aktenstücke umfasst. Die zu edierenden Unterlagen wurden vom Kläger zudem – wie ausgeführt – nicht. rechtsgenügend bestimmt bezeichnet. Das Editionsbegehren ist somit abzuweisen. Der Kläger hat nicht rechtsgenügend belegt, dass eine Ungleichbehandlung mit anderen vergleichbaren Personen stattgefunden hat und es zum Ausdruck einer verletzenden Geringschätzung seiner Persönlichkeit gekommen ist.
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Autor: Nicolas Facincani